Krebs ist gefährlich – Diabetes nicht?

Antje Thiel

Nur wenige Menschen schätzen ihr hohes Risiko für Diabetes realistisch ein, wie ein Telefonsurvey des Robert Koch-Instituts zeigt. Nur wenige Menschen schätzen ihr hohes Risiko für Diabetes realistisch ein, wie ein Telefonsurvey des Robert Koch-Instituts zeigt. © owen – stock.adobe.com

Die meisten Menschen haben eine recht klare Vorstellung davon, welche Faktoren das Risiko für einen Typ-2-Diabetes erhöhen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es sie persönlich trifft, schätzen sie überwiegend trotzdem völlig falsch ein. Erklärungsansätze dafür liefert unter anderem die Verhaltensbiologie. 

Als der britische König Charles im Februar 2024 seine Krebsdiagnose bekannt gab, löste das weltweit große Anteilnahme und Mitgefühl aus. Hätte er stattdessen einen frisch diagnostizierten Typ-2-Diabetes öffentlich gemacht, wäre die Reaktion ganz anders ausgefallen, vermutete der Psychologe Professor Dr. Bernhard Kulzer vom Diabetes Zentrum Mergentheim. „Man hätte ihm vielleicht vorgeworfen, seine Krankheit selbst verschuldet zu haben, und möglicherweise Zweifel an seiner Eignung als König geäußert“, sagte er weiter.

Falsches Sicherheitsgefühl bei Typ-2-Diabetes

Krebs gilt – trotz verbesserter Therapiemöglichkeiten und steigender Überlebensraten – als eine schicksalhafte, schwere und lebensbedrohliche Erkrankung. Typ-2-Diabetes hingegen wird eher als leichte Erkrankung bzw. alterstypischer Zustand wahrgenommen, der durch eine ungesunde Lebensweise selbst verschuldet und mit entsprechenden Stigmata behaftet ist. „Diabetes macht keine Angst, er erscheint zu alltäglich“, erklärte Prof. Kulzer.

Ein Grund hierfür liege im häufig fehlerhaften Bewusstsein von Menschen für komplexe Risiken. Eine Krankheit wie Typ-2-Diabetes, die nicht spürbar ist und als kontrollierbar angesehen wird, vermittele Betroffenen oft ein falsches Sicherheitsgefühl, denn: „Ereignisse, die man glaubt kontrollieren zu können, werden als weniger risikoreich eingeschätzt“, erklärte Prof. Kulzer. In Bezug auf Diabetes heiße das, dass die Prognose zu einem großen Teil vom eigenen Therapieverhalten abhängt: „Ich könnte es ja kontrollieren – und wenn nicht morgen, dann eben übermorgen.“

In einem Telefonsurvey des Robert Koch-Instituts nach ihrer subjektiven Einschätzung des persönlichen Diabetesrisikos gefragt, antworten sogar Menschen mit objektiv hohem Risiko infolge von Alter, familiärer Vorbelastung, Übergewicht, Bewegungsmangel oder Rauchen ganz überwiegend, dass sie ihr Risiko als gering einschätzen. „Nur ca. 3 % der Teilnehmer mit einem erhöhten oder hohen Risiko für Typ-2-Diabetes schätzen dies auch so ein“, berichtete Prof. Kulzer. „Aus der Risikoforschung wissen wir, dass die Risiken des eigenen Handelns häufig unterschätzt, die eigenen Fähigkeiten hingegen überschätzt werden“, erklärte der Referent.

Entsprechend ist die Diagnose selbst nur für die wenigsten ein Weckruf für notwendige Verhaltensänderungen – anders als bei Krebsdiagnosen, wo Betroffene oft sofort Maßnahmen ergreifen, wie beispielsweise mit dem Rauchen aufzuhören. Tatsächlich neigen viele Menschen sogar dazu, nach der Manifestation eines Typ-2-Diabetes noch weniger körperlich aktiv zu sein als zuvor.

Risikooptimismus ist der Grund für Fehleinschätzungen

Diese auf den ersten Blick schwer nachvollziehbaren Fehleinschätzungen haben ihren Ursprung auch in der Verhaltensbiologie, hebt Dr. Nadja Kairies-Schwarz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hervor. Wenn Menschen ihre eigenen Gesundheits-Outcomes positiver einschätzen als die anderer Menschen in ähnlichen Situationen, sprechen Forscher*innen wie sie von einem „unrealistischen vergleichenden Risikooptimismus“.

Einfacher gesagt: „Krank werden immer die anderen.“ Doch auch die erstmals 1979 von Kahneman und Tversky beschriebene „Verlustaversion“ spielt eine Rolle, wonach Menschen einen Verlust etwa doppelt so stark empfinden wie einen Gewinn. In Bezug auf das Leben mit Diabetes bedeutet dies: Der Verzicht z. B. auf Hochkalorisches, Alkohol und Rauchen wiegt für viele schwerer als der potenzielle Gewinn an Gesundheit und Lebensqualität – zumal die durchaus bekannten Risiken nicht unmittelbar eintreten, sondern kumuliert: „Menschen treffen intertemporale Entscheidungen. Die Pizza von heute macht mich nicht sofort übergewichtig.“

Lösungsansätze liegen in Kommunikation und Schulung – aber auch in strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem

Um das Risikobewusstsein und die Bereitschaft zur Lebensstiländerung zu erhöhen, sind nach Einschätzung der Expert*innen eine emotionale Ansprache, klare Kommunikation und systemische Präventionsprogramme entscheidend. Schulungen direkt nach der Diagnose von T2DM, affektive Risikokommunikation und strukturelle Veränderungen im Gesundheitssystem sind notwendig, um die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. So erklärte Professor Dr. Wolfgang Rathmann, Deutsches Diabetes-Zentrum, Düsseldorf: „Es ist grundfalsch, dass Diabetes keine angstbesetzte Erkrankung ist.“ Es scheine kein Bewusstsein dafür zu geben, dass T2DM die Lebenserwartung um durchschnittlich vier Jahre reduziert. „Aber wenn man in der Onkologie ein Lebenszeitverlängerung um nur vier Monate erreicht, dann überschlagen sich alle gleich.“ 

Prof. Kulzer wiederum plädierte dafür, „mit Menschen am Anfang über ihr Krankheitsverständnis zu sprechen, die Kontrollierbarkeit der Risiken zu betonen – und dass Diabetes nichts mit Charakterschwäche zu tun hat.“ Es gehe weniger darum, Komplikationen als dunkle Wolken am Horizont zu zeigen, sondern die Gewinne einer Lebensstiländerung aufzuzeigen. Deshalb macht er sich für Schulungen für alle Menschen mit Typ-2-Diabetes stark – und zwar unmittelbar nach der Diagnose. Zudem forderte er ein umfassenderes Präventionssystem, wie es in Großbritannien existiert. Dort werden Risikopatienten regelmäßig von Hausärzten gescreent und in spezialisierte lokale Einrichtungen für Lebensstilinterventionen überwiesen. „Eine solche Kombination aus Verhaltens- und Verhältnisprävention fände ich auch in Deutschland sehr sinnvoll.“

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Nur wenige Menschen schätzen ihr hohes Risiko für Diabetes realistisch ein, wie ein Telefonsurvey des Robert Koch-Instituts zeigt. Nur wenige Menschen schätzen ihr hohes Risiko für Diabetes realistisch ein, wie ein Telefonsurvey des Robert Koch-Instituts zeigt. © owen – stock.adobe.com