Pankreas- und Leberkrebs Welche Patient:innen mit Diabetes eine spezielle Überwachung benötigen

Diabetes Kongress 2024 Autor: Dr. Miriam Sonnet

Welche Diabetes Patient:innen benötigen eine spezielle Überwachung auf bestimmte Krebsarten?
Welche Diabetes Patient:innen benötigen eine spezielle Überwachung auf bestimmte Krebsarten? © Jo Panuwat D – stock.adobe.com

Bislang gibt es kein Screening für Pankreaskrebs. Bei Patient:innen über 60 Jahre mit neu aufgetretenem Typ-2-Diabetes und Gewichtsverlust sollte man aber an einen Tumor der Bauchspeicheldrüse denken. Eine Überwachung auf Leberkrebs lohnt in der Gruppe der Erkrankten mit Typ-2-Diabetes ab einem FIB-4 von 1,3 und einer Elastografie ≥ 8 kPa.

Ein Typ-2-Diabetes erhöht das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Wie Prof. Dr. Hans Scherübl, Vivantes-Klinikum Am Urban, Berlin, erläuterte, gilt das unter anderem für das Pankreaskarzinom, das in Deutschland die dritthäufigste tumorbedingte Todesursache darstellt.1 Effiziente Maßnahmen zur Früherkennung gibt es bisher allerdings nicht.

Die Beziehung zwischen Bauchspeicheldrüsenkrebs und Typ-2-Diabetes sei bidirektional, so der Referent: Ein langjähriger Diabetes Typ 2 (> fünf Jahre) erhöhe das Risiko für ein Pankreaskarzinom um 50–100 %. Umgekehrt verursache der Tumor in 80–85 % der Fälle eine gestörte Glukosetoleranz. 25–30 % der Patient:innen mit Bauchspeicheldrüsenkrebs haben zuvor einen neu aufgetretenen Diabetes. „Der Prozess ist umkehrbar“, sagte Prof. Scherübl. Gelingt bei adipösen Menschen eine langfristige Remission (über zehn Jahre) des Typ-2-Diabetes, so sinkt das Krebsrisiko im Vergleich zu fortbestehender Erkrankung um die Hälfte.

Der Großteil der Pankreaskarzinom-Diagnosen erfolgt in der palliativen Situation. In nur rund 20 % der Fälle kann der Tumor noch reseziert werden. Aber: 1–3 Jahre vor der Diagnose „passiert etwas“, sagte der Experte. Etwa 80 % der Patient:innen befänden sich hier bereits aufgrund unspezifischer Symptome in ärztlicher Behandlung.

Der Bauchspeicheldrüsenkrebs sei eine metabolische Erkrankung und gehe mit Beschwerden wie Bauch- und Rückenschmerzen, Appetitlosigkeit, Sarkopenie, Gewichtsverlust und weiteren GI-Symptomen einher. Eine wichtige Rolle spielen extrazelluläre Vesikel, die Onkometabolite enthalten. „Der Tumor reguliert über die Stoffe, die er freisetzt, seine Metastasierung und sein eigenes Wachstum“, erläuterte Prof. Scherübl. Darüber hinaus interagiere der Krebs mit den Beta-Zellen des Pankreas, sodass es zu einer gestörten Insulinsekretion kommt. Die Interaktion mit Adipozyten, Hepatozyten und Muskelzellen wiederum führe zu einer Insulinresistenz. Infolgedessen entstehen Diabetes, Muskelschwund und Kachexie. Möglicherweise treten diese Veränderungen frühzeitig auf.

Früherkennung bei Diabetespatienten

Menschen über 50 Jahre mit einem BMI < 25 kg/m2, bei denen ein Diabetes neu auftritt und die an Gewicht verlieren, haben ein um den Faktor 20 gesteigertes Risiko für ein Pankreaskarzinom. Aber auch diejenigen mit Übergewicht zeigten diese Assoziation, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt. Dieser Zusammenhang lässt sich potenziell für eine Frühererkennung nutzen „In angelsächsischen Ländern setzt man das schon im Alltag um“, betonte Prof. Scherbül. 

Angewandt wird hier der END-PAC*-Score. Beträgt dieser ≥ 3, könne man zumindest an einen Tumor der Bauchspeicheldrüse denken. Ins Gewicht fallen hierbei ein Alter > 50 bzw. 60 Jahre, Gewichtsverlust und neu aufgetretener Diabetes. Das NICE-Institut in London empfiehlt in diesem Fall (aber erst ab 60 Jahren) eine Schnittbildgebung des Pankreas innerhalb von 14 Tagen. Abschließend riet Prof. Scherübl, Diabetespatient:innen regelmäßig zur Krebsfrüherkennung der GKV zu schicken.

Welche Erkrankten überwachen?

Prof. Scherübl präsentierte eine Studie, in der Patient:innen mit neu aufgetretenem Diabetes (< ein Jahr) nach der Resektion ihres Pankreaskarzinoms hinsichtlich des OS besser abschnitten als diejenigen ohne. „Daher kommt das Interesse der Pankreaschirurg:innen an der Untergruppe mit neu aufgetretenem Diabetes“, so der Referent. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen japanische Forschende in einer retrospektiven Studie. Zurzeit laufen prospektive Untersuchungen hinsichtlich der Früherkennung bei ausgewählten Personen mit rezenter Diabetesdiagnose. „Wir müssen die nächsten Jahre abwarten, ob es mit diesen Studien gelingt, die Patient:innen besser zu definieren, die man vielleicht überwachen sollte“, erläuterte Prof. Scherübl.

Etwas weiter mit Screening bzw. Überwachung ist man beim Leberkrebs. Prof. Dr. Münevver Demir, Charité – Universitätsmedizin Berlin, erinnerte daran, dass die Inzidenz des hepatozellulären Karzinoms (HCC) in der Gruppe der Menschen mit Diabetes rund dreimal so hoch liegt wie bei Personen ohne.2 Das Risiko steigt, je schlechter der Blutzucker eingestellt ist. Entscheidend bleibe aber das Stadium der Fibrose; am höchsten sei die Gefahr im Falle einer Leberzirrhose.

Die deutsche HCC-Leitlinie fokussiert sich auf die Lebererkrankung und die Fibrose, erläuterte Prof. Demir. Eine generelle Empfehlung für die Surveillance von Personen mit Typ-2-Diabetes gibt es nicht. Die Autor:innen raten, bei Patient:innen mit chronischer Lebererkrankung das Fibrosestadium wiederholt zu erheben, um das HCC-Risiko besser einzuschätzen. Liegt gleichzeitig ein nicht-insulinabhängiger Diabetes mellitus vor, sollte man eine Behandlung mit Metformin prüfen, um das HCC-Risiko zu senken. Auch in der europäischen Leitlinie findet sich keine Empfehlung zu einem generellen Screening, da der Nutzen der HCC-Surveillance nicht für alle Risikogruppen nachgewiesen wurde.

Um Gefahr für eine MASLD** – bis vor Kurzem noch als nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) bezeichnet – einzuschätzen, und damit auch den Fibrosegrad und letztendlich das HCC-Risiko, eigne sich folgender Algorithmus: 

  • FIB-4 < 1,3 (niedriges Risiko): Die Überwachung bleibt in der primärärztlichen Versorgung oder in der diabetologischen Praxis
  • FIB-4 > 1,3 und < 2,67 (intermediäres Risiko) und FIB-4 > 2,67 (hohes Risiko): Spezialisierte Versorgung (Gastroenterologie, Hepatologie oder zugehörige Hochschulambulanzen)

Aktuell publiziert und neu in den Expert:innengremien der Diabetologischen Gesellschaften: Der diagnostische Algorithmus „Liver Health Check“. Wie Prof. Demir berichtete, wird nun empfohlen, diesen in die Standard-Überwachung bei Typ-2-Diabetes mit zu integrieren. Der Check beinhaltet die Bestimmung des FIB-4:

  • FIB-4 < 1,3: jährlicher Check
  • FIB-4 ≥ 1,3: Elastografie oder weiterer nicht-invasiver Fibrosetest (ELF-Test); bei Elastografie ≥ 8 kPa oder ELF ≥ 9,8: Überweisung in die spezialisierte Versorgung; dort erfolgt die HCC-Surveillance mittels Ultraschall alle sechs Monate

* Enriching New-onset Diabetes for Pancreatic Cancer
** Metabolic Dysfunction-associated Steatotic Liver Disease

Quellen:
1. Scherübl H. Diabetes-Kongress 2024; Vortrag: „Diabetes und Pankreaskrebsfrüherkennung“
2. Demir M. Diabetes-Kongress 2024; Vortrag: „Leberkrebsprävention und -früherkennung bei Typ 2-Diabetes “