Lebenslange Plättchenhemmung für bestimmte KHK-Patienten

Dr. Carola Gessner; Foto: fotolia, Kaulitzky

Kürzer als ein Jahr? Oder doch etwas länger? Vielleicht sogar für viele Jahre? Die Diskussion um die optimale Dauer der dualen Plättchenhemmung bei Herzinfarkt-Patienten ist angesichts neuer Daten brandaktuell. Kardiologen aus aller Welt berieten anhand einer Kasuistik.

Der jetzt 74-jährige Patient hat vor einem Jahr ein akutes Koronarsyndrom (ACS) erlitten. Seine angiographische Diagnose lautete: Dreigefäß-Erkrankung. Die schuldigen Stenosen in rechter und linker Kranzarterie (RCA, LAD) wurden mittels Angioplastie (PTCA) und medikamentenfreisetzenden Stents versorgt, eine weitere nicht signifikante Stenose des R. circumflexus blieb unbehandelt. Jetzt stellt sich der Patient ambulant zur Kontrolle vor und will wissen: Soll er seine Medikamente weiter nehmen wie bisher? Und muss er noch einmal zur Katheteruntersuchung?

Angina pectoris sei bei dem Mann seit dem Ereignis nicht mehr aufgetreten, „allenfalls ganz leichter Druck bei extremer körperlicher Belastung“, informierte Professor Dr. Christian W. Hamm von der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim sein Auditorium. Weitere wichtige Fakten: Das Belastungs-EKG absolviert der 74-Jährige bravourös mit 150 Watt ohne ST-Strecken-Veränderungen. Sein LDL-Cholesterin liegt bei 150 mg/dl. Vor wenigen Monaten hat der Patient eine Hämorrhoidenblutung erlitten, weshalb er mit ASS kurzfristig pausierte. Seine aktuelle Medikation: Ramipril (2 x 5 mg), Hydrochlorothiazid (12,5 mg), Atorvastatin (40 mg), ASS (100 mg), Ticagrelor (2 x 90 mg).

Ärzte streiten über Dauer der Dualen Antikoagulation

„Wie geht es jetzt weiter mit der Thrombozytenhemmung?“, fragte Prof. Hamm in die Runde. Über 50 % der Kollegen würden ASS allein weiter geben, ergab die Abstimmung. Etwa 15 % stimmten für eine Fortführung der dualen Plättchenhemmung. Für weitere Optionen wie die dreifache Gerinnungshemmung unter Hinzunahme eines NOAK fand sich nur eine Minderheit. Eine Angiographie hielt keiner der internationalen Herzspezialisten für erforderlich.

Prof. Hamm hätte es in diesem Fall bevorzugt, die duale Plättchenhemmung fortzusetzen, aber mit einer niedrigeren Dosis des ADP-Ant­agonisten. Leider ist in Deutschland die 60-mg-Dosis für Ticagrelor noch nicht verfügbar, musste der Referent jedoch seinem Patienten erklären. Dieser entschied sich nach umfassender Information dafür, auf die 60-mg-Dosis zu warten und so lange nur ASS einzunehmen. Seine Bedenken hinsichtlich einer weiteren Hämorrhoidenblutung waren einfach zu groß.

Natürlich muss man bei dualer Anti-Plättchen-Therapie (DAPT) die Gefahr größerer Blutungen sehr ernst nehmen, mahnte Prof. Hamm. Hämorrhoidenblutungen zählen allerdings für ihn nicht dazu – diese seien üblicherweise nicht lebensbedrohlich.

Aktuelle Stents erweisen sich als zuverlässig

„Bei einem solchen Risikopatienten mit zwei Stents in situ wäre mir mit verlängerter DAPT auf jeden Fall wohler“, kommentierte ein spanischer Kollege. Prof. Hamm entgegnete, seine Sorge richte sich eigentlich weniger auf die Stentthrombosen: „Die brauchen wir bei den modernen Stents nach einem Jahr nicht mehr zu fürchten.“ In dieser Hinsicht könne man eigentlich sogar eine verkürzte DAPT vertreten. „Ich sorge mich eher um den Zustand des Koronarsystems überhaupt, also die weiteren Stenosen, die der 74-Jährige aufweist.“

Dann wäre es in solchen Fällen aber doch ratsam, erneut Koronardiagnostik zu betreiben, schlug ein weiterer Kollege aus dem Auditorium vor – vor allem, wenn es sich bei betroffenen Patienten um Diabetiker handelt. Zwar war dies bei dem 74-Jährigen nicht der Fall, „doch ich gebe Ihnen Recht, bei einem Diabetiker würde ich zumindest ein Stress-Echo oder Stress-MRT vornehmen“, antwortete Prof. Hamm.

Cholesterin senken, um Folgeschäden zu vermeiden

„Und was hätten Sie getan, wenn bei dem Patienten nach drei Monaten eine gastrointestinale Blutung aufgetreten wäre?“, wollte Professor Dr. Keith A.A. Fox von der Universität Edinburgh wissen. „Da bin ich froh, dass Sie drei Monate gesagt haben und nicht zwei“, so Prof Hamm, „ich hätte ASS gestoppt und zunächst nur mit Ticagrelor weiterbehandelt.“

Die nächste Frage des schottischen Kollegen bezog sich auf die Dauer der DAPT bei dem 74-Jährigen, z.B. mit einer 60 mg Dosis. Prof. Hamm plädierte in diesem Fall für lebenslang, „denn sein Koronarstatus wird sich nicht mehr groß verändern.“

Im Hinblick auf erneute Plaquerupturen müsse man aber noch mehr tun, erinnerte ein belgischer Kollege, und zwar aggressiver das Cholesterin senken. Dem pflichtete der Referent bei: Bei dem 74-Jährigen bleibe in dieser Hinsicht einiges zu tun, man solle auf jeden Fall einen LDL-Wert < 70mg/dl anstreben.

Quelle: Kongress der European Society of Cardiology, London, September 2015

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