
Plättchen hemmen, aber wie?

Die Task-Force um Dr. Jean-Philippe Collet von der Kardiologie der Hôpitaux Universitaires Pitié-Salpêtrière in Paris hat sich intensiv mit Problemen unter dualer Plättchenhemmung beschäftigt. Vier Beispiele verdeutlichen, was man alles falsch machen kann:
Fall 1
Rechte Koronararterie und Ramus interventricularis anterior des 52-Jährigen sind vollständig verschlossen, die Angina aber stabil. Das erste Gefäß hat jetzt drei beschichtete Stents bekommen, der Patient nimmt ASS und Ticagrelor. Die Versorgung des zweiten soll fünf Monate später stattfinden. Doch bei der Aufnahme findet sich dann eine profunde Anämie mit einem Hb von 7,3 g/l. Auf genaueres Nachfragen gibt der Mann an, drei Monate nach dem ersten Eingriff Blut im Stuhl gehabt zu haben.
Der Patient erhält nun zunächst zwei Erythrozytenkonzentrate, die Gastroskopie liefert keine Blutungsquelle, aber die Spiegelung des unteren Gastrointestinaltraktes bringt ein Ulkus im Rektum ans Licht. Nachdem der Hämoccult negativ bleibt und der Hb bei 12,9 g/dl liegt, setzen die Kollegen die ursprüngliche Blutverdünnung wieder an.
Bluttransfusion steigert Risiko für ischämische Ereignisse
Drei Wochen später ist der Mann wieder anämisch, es erfolgen eine einwöchige Pause der dualen Antiplättchentherapie (DAPT) und ein Hämorrhoidalclipping. Nach Abheilung des Ulkus wird dann das kardiologische Procedere wie geplant fortgesetzt, bei der Plättchenhemmung gibt es allerdings einen Wechsel von Ticagrelor auf Clopidogrel.
Die Task-Force bemängelt zunächst die Bluttransfusionen, da sie das Risiko für ischämische Ereignisse erhöhen – erst recht, da der Mann kreislaufstabil war. Den primären Einsatz von Ticagrelor beurteilt sie als unangemessen und off label bei stabiler Angina pectoris ohne stattgehabten Infarkt. Und auch die Rückkehr zu dieser Substanz nach der ersten Blutungsepisode hält sie für fragwürdig, besser wäre es gewesen, schon hier auf Clopidogrel zu deeskalieren.
Fall 2
Ein STEMI bei Eingefäßstenose führt zur Aufnahme eines 75-Jährigen. Anamnestisch berichtet er über eine zwei- bis dreitägige Rotfärbung des Urins vor einem Vierteljahr, der er keine weitere Bedeutung beimaß. Nach der Koronarintervention verlässt er mit ASS und Ticagrelor die Klinik. Acht Tage später folgt die nächste Einweisung mit Makrohämaturie und Anämie.
Tirofiban zur Überbrückung bei Eingriffen geeignet
Die weitere Diagnostik ergibt ein Blasenkarzinom mit multiplen mikropapillären Läsionen, das eine komplette Resektion erforderlich macht. Die OP findet unter fortlaufender ASS-Therapie statt, das Ticagrelor nimmt der Mann fünf Tage davor das letzte Mal. Als Ersatz dient perioperativ eine Infusion des Thrombozytenaggregationshemmers Tirofiban. Zwölf Stunden nach dem Eingriff geht es dann mit Ticagrelor wieder weiter und die DAPT verursacht im weiteren Verlauf keine Komplikationen.
Kurz nach Infarkt maximal drei Tage vor OP pausieren
Nach Ansicht der Experten schwebte der Patient so kurz nach dem Infarkt in großer Gefahr für eine Stentthrombose und man kann in solchen Fällen Ticagrelor bis zum dritten präoperativen Tag belassen. Die Überbrückung mit Tirofiban stellt aber eine akzeptable Alternative dar. Übrigens: Niedermolekulare Heparine bieten keinen Ausweg. Niemand konnte bisher belegen, dass sie das Risiko eines Stentverschlusses mindern können.
Fall 3
Zwölf Monate nach einem STEMI stellt sich bei der 51-Jährigen die Frage: Doppelte Plättchenhemmung absetzen oder fortführen? Diese Frage lässt sich mit dem DAPT-Score beantworten, erklären die Kollegen. Er ermittelt Ischämie- und Blutungsrisiko nach verschiedenen Kriterien (s. Kasten) und erlaubt so nach einem Jahr die Therapieentscheidung. Im vorliegenden Fall ergab sich ein Wert von 3, d.h., die Frau muss ASS und Ticagrelor für weitere zwölf Monate einnehmen.
Der DAPT-Score | |
---|---|
Variable | Punkte |
Alter < 65 Jahre 65 bis 74 Jahre ≥ 75 Jahre | 0 -1 -2 |
Diabetes mellitus | 1 |
Rauchen | 1 |
Myokardinfarkt oder perkutane koronare Intervention in der Anamnese | 1 |
kongestive Herzinsuffizienz oder EF < 30 % | 2 |
Indexprozedur: |
1 |
paclitaxelfreisetzender Stent | 1 |
Stentdurchmesser < 3 mm | 1 |
Bei Werten < 2 überwiegt das Blutungsrisiko, es empfiehlt sich, die DAPT zu stoppen. Mit einem Score ≥ 2 herrscht mehr Ischämiegefahr, die DAPT wird besser verlängert. |
Fall 4
Bei einem 55-Jährigen steht wegen einer stabilen Angina pectoris eine elektive Herzkatheteruntersuchung an. Einen Tag vorher bekommt er eine loading dose ASS und während der Intervention 600 mg Clopidogrel. Die Angio zeigt eine komplexe Mehrgefäßerkrankung mit Hauptstammstenose. Periprozedural erleidet der Mann offenbar einen Myokardinfarkt, erkennbar am Anstieg des hochsensitiven kardialen Troponins auf 1450 ng/l. Ungeachtet dessen erfolgt am nächsten Tag die Entlassung unter ASS und Clopidogrel.
Zehn Tage später macht eine Stentthrombose mit kardiogenem Schock die sofortige – und erfolgreiche Reintervention erforderlich. Im Anschluss gibt es einen Austausch von Clopidogrel gegen Ticagrelor. Bei diesem Koronarbefund hätte man durchaus auch einen Bypass diskutieren können, meint die Task-Force. Außerdem ergibt es einen Sinn, wenn eine Gefäßversorgung zu erwarten ist, den P2Y12-Rezeptor-Blocker schon vorher einzusetzen.
Quelle: Collet JP et al. Eur Heart J 2018; 39: e1-e33
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