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Duale Plättchenhemmung: Vier Fallbeispiele zeigen, wo es hakt

Zum Thema duale Antiplättchentherapie (DAPT) gab es in diesem Jahr ein Update der ESC*. Wie sich das in die Praxis implementieren lässt, schildert eine Arbeitsgruppe von ESC und EACTS** um Dr. Jean-Philippe Collet von der Kardiologie am Hôpitaux Universitaires Pitié-Salpêtrière in Paris anhand von Fallbeispielen.
Fall 1:
Der 77-Jährige kommt mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) in die Klinik. Die Lyse verläuft erfolgreich und der Mann erhält die Loading-Dosis ASS plus Clopidogrel. Die anschließende Angio zeigt eine Stenose in der rechten Koronararterie, die mit einem unbeschichteten Stent versorgt wird.
Am nächsten Morgen erbricht der Patient Blut, setzt Teerstuhl ab und wird hämodynamisch instabil. Bei einem Hb von 8,5 g/dl erhält er eine Transfusion, außerdem PPI i.v., die Plättchenhemmer kommen weg und er wird an die Gastroenterologen überwiesen.
In der Endoskopie finden die Kollegen eine große Mallory-Weiss-Läsion. Drei Stunden später bietet der Patient eine pulslose ventrikuläre Tachykardie. Sie lässt sich zwar durch Defibrillieren stoppen, dafür resultieren ein AV-Block dritten Grades und eine neuerliche ST-Hebung. Die rechte Koronarie ist dicht, den Thrombus holt man nun mittels Aspirationskatheter heraus.
Durchgehende Medikation bei schneller Endoskopie
Die Task Force äußert hierzu die Vermutung, dass Fibrinolyse, Anämie und kardiogener Schock die Thrombozytenaggregation begünstigten, unterstützt natürlich durch das Absetzen der Plättchenhemmer. Ihrer Ansicht nach hätte man die Medikation beibehalten können, wenn die Endoskopie schneller erfolgt wäre. Außerdem stellt sie den Nutzen der Bluttransfusion infrage. Er sollte immer gegen das erhöhte Risiko ischämischer Ereignisse abgewogen werden.
Zu guter Letzt kritisieren die Experten den Zeitpunkt der kardiologischen Intervention. Nach geglückter Lyse besteht keine Notwendigkeit, sofort zu katheterisieren, stattdessen empfiehlt sich die verzögerte Angio nach drei bis zwölf Stunden.
Der DAPT-Score | |
---|---|
Variable | Punkte |
Alter: < 65 Jahre 65 bis 74 Jahre ≥ 75 Jahre |
0 -1 -2 |
Diabetes mellitus | 1 |
Rauchen | 1 |
Myokardinfarkt oder perkutane koronare Intervention in der Anamnese | 1 |
kongestive Herzinsuffizienz oder EF < 30 % | 2 |
Indexprozedur: akuter Herzinfarkt bei Erstvorstellung perkutane Koronarintervention eines venösen Bypass |
1 2 |
paclitaxelfreisetzendender Stent | 1 |
Stentdurchmesser < 3mm | 1 |
Bei Werten < 2 überwiegt das Blutungsrisiko, es empfiehlt sich, die daPT zu stoppen. Mit einem Score ≥ 2 herrscht mehr ischämiegefahr, die daPT wird besser verlängert. |
Fall 2:
Mit unstillbarem Nasenbluten präsentiert sich die 82-jährige Hypertonikerin. Zur Epistaxis gesellen sich noch rezidivierende Brustschmerzen und transiente neurologische Ausfälle bei schlechter Blutdruckkontrolle. Bereits vor acht Jahren stellten die Ärzte eine bypassbedürftige Dreigefäßerkrankung fest, die Dame lehnte den Eingriff aber ab. Das Management erfolgte daher konservativ mit ASS und Clopidogrel.
Die Blutung lässt sich trotz Tamponade und Absetzen des P2Y12-Rezeptor-Blockers zunächst nicht stoppen. Daher unterbrechen die Kollegen auch die ASS-Therapie und überbrücken mit Trimetazidin, einem Antiischämikum, das die Beta-Oxidation hemmt. Jetzt kommt der nasale Strom zum Erliegen und ein paar Wochen später startet man die Plättchenhemmung erneut, aber nur noch mit ASS.
Die Task Force erklärt, dass bei der langjährigen stabilen koronaren Herzkrankheit der Patientin gar keine Indikation zur DAPT bestand. Und wenn schon, hätten beide Substanzen nach der Blutung sofort abgesetzt werden müssen. Die Fortsetzung der Monotherapie dagegen sei gerechtfertigt.
Fall 3:
Ein 66-Jähriger stellt sich mit Brustschmerzen vor, ähnliche Beschwerden hatte er schon einmal vor einem Monat. Das EKG zeigt einen STEMI inferior sowie Q-Wellen anterior. Zwei Verschlüsse stecken dahinter und er bekommt zwei Stents, in der Echokardiographie stellt sich aber auch ein großer intraventrikulärer Thrombus dar.
Der Mann wird auf ein Triple aus ASS, Clopidogrel und Vitamin-K-Antagonist für geplante sechs Monate eingestellt. In der Sonokontrolle nach vier Monaten ist der Thrombus verschwunden, allerdings persistiert eine apikal-anteriore Akinesie. Der Vitamin-K-Antagonist kommt nun weg. Das bleibt nicht ohne Folgen: Weitere zwei Monate später sieht man erneut ein Gerinnsel. Also zurück zum Triple – dieses Mal für ein Jahr.
Kommentar der Task Force: Eigentlich entsprach das Absetzen des Vitamin-K-Antagonisten nach der unauffälligen Bildgebung durchaus den Leitlinien. In diesem Fall fiel die Entscheidung aber offenbar zu früh. Die anhaltene Akinesie hätte eventuell die Alarmglocken schrillen lassen und dazu führen sollen, das geplante Therapiefenster beizubehalten.
Fall 4:
Der STEMI der 44-Jährigen war mit zwei resorbierbaren Stents behandelt worden, die DAPT bestand aus ASS und Ticagrelor. Sieben Monate später entwickelt die Frau durch eine subakute Genitalblutung eine Anämie (Hb 7,9 g/dl) und braucht drei Erykonzentrate. Um zu entscheiden, ob die doppelte Plättchenhemmung vorzeitig beendet werden kann, führen die Kollegen eine erneute Angio durch, die ein gutes Einheilen der Gefäßstützen belegt. Daher fällt die Entscheidung, Ticagrelor abzusetzen.
Das halten die Experten der ESC und EACTS für vertretbar, aber nicht ungefährlich. Bei resorbierbaren Stents liegt das Thromboserisiko etwa zweifach höher als bei modernen beschichteten Varianten. Die größte Gefahr besteht im ersten Monat. Eigentlich sollte also die DAPT über mindestens zwölf Monate laufen.
* European Society of Cardiology
** European Society of Cardio-Thoracic Surgery
Quelle: Collet JP et al. European Heart Journal 2017; online first
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