Akutes Koronarsyndrom
Der Begriff „Akutes Koronarsyndrom (ACS) fasst verschiedene klinische Zustände zusammen, deren führendes Symptom Thoraxschmerzen sind. Anhand des initialen EKGs und der Troponin-Bestimmung unterscheidet man:
- NSTEMI: Nicht-ST-Streckenhebungsinfarkt mit Anstieg von Troponin, aber ohne persistierende ST-Hebung (evtl. ST/T-Alterationen)
- STEMI: ST-Streckenhebungsinfarkt Anstieg von Troponin plus persistierende ST-Hebung (> 20 Minuten)
- Instabile Angina pectoris ohne Troponinanstieg
ACS ohne persistierende ST-Hebung treten häufiger auf als STEMI; die kurzfristige Prognose von NSTEMI-Patienten ist besser als bei STEMI-Patienten (Krankenhausmortalität 5 % versus 7 %).
ICD10-Code: I20-I21
Instabile Angina pectoris und NSTEMI
Die klinische Symptomatik von Patienten mit ACS ohne ST-Hebung (NSTE-ACS) reicht von Personen, die bei der Vorstellung symptomfrei sind bis zu Patienten mit bestehender Ischämie, elektrischer oder hämodynamischer Instabilität oder mit Herzstillstand. Das pathologische Korrelat auf Myokardebene ist eine Nekrose von Kardiomyozyten (NSTEMI) oder (seltener) eine Myokardischämie ohne Zelluntergang (instabile Angina pectoris).
Die Thoraxschmerzen bei instabiler Angina pectoris treten in Ruhe oder bei geringer körperlicher Belastung auf und strahlen teilweise in den linken Arm, Nacken oder Kiefer aus. Oft werden die Thoraxschmerzen von Schwitzen, Übelkeit, Atemnot oder Synkopen begleitet. Ein fließender Übergang in NSTEMI ist möglich: Crescendo-Charakter der Schmerzen, ausgeprägtere vegetative Begleitsymptome, starkes Schwitzen und Angst.
STEMI (ST-Streckenhebungsinfarkt)
Patienten mit STEMI klagen oft über typische persistierende Schmerzen, die in den Hals, Unterkiefer oder in den linken Arm ausstrahlen. Ein wichtiger Hinweis ist das Vorliegen einer bekannten koronaren Herzkrankheit. Manche Patienten stellen sich mit einer weniger typischen Symptomatik vor, beispielsweise mit Kurzatmigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Palpitationen oder Synkope. Insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus kann der typische Infarktschmerz fehlen.
Sofortmaßnahmen
Besteht Verdacht auf ein ACS, ist ein Notarztwagen anzufordern (Tel. 112), und der Patient muss mit Notarztbegleitung und unter Defibrillationsbereitschaft in die Klinik transportiert werden. Weiteres Prozedere finden Sie weiter unten unter Notfallmanagement.
Elektrokardiographie
Das EKG ist die wichtigste Diagnosemaßnahme bei Patienten mit ACS-Verdacht. Ein EKG sollte innerhalb von 10 Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt abgeleitet werden.
Infarkttypische Veränderungen zeigen sich bei 60 bis 70% aller Erst-EKGs von Infarkt-Patienten. In rund 20% sind die Veränderungen atypisch, in ca. 15% ist das EKG unauffällig. Im Verlauf lässt sich in rund 95% ein Herzinfarkt im EKG nachweisen.
- Persistierende (>20 Minuten) ST-Hebung am J-Punkt in zwei benachbarten Ableitungen.
- Neu aufgetretener Linksschenkelblock (LSB).
Cave: Finden sich im Aufnahme-EKG infarkttypische ST-Hebungen oder ein neuer LSB, muss von einem Verschluss eines proximalen Koronargefäßes und vitaler Bedrohung des Patienten ausgegangen werden. Notfall! Keine weiteren diagnostischen Schritte nötig (etwa Warten auf kardiale Marker), sondern rasche Reperfusion des Infarktgefäßes z.B. durch primäre Angioplastie oder fibrinolytische Therapie anstreben!
Nicht infarkttypische EKG-Veränderungen
- ST-Segment-Depression: Die ST-Senkung kann Ausdruck einer reversiblen Ischämie sein. Eine ST-Segment-Depression ≥ 0,5 mm in mindestens zwei Ableitungen mit typischer klinischer Symptomatik weist auf einen NSTEMI hin.
- T-Wellen-Veränderungen
- AV-Blockierungen
Die Anzahl der Ableitungen mit ST-Senkung bzw. das Ausmaß der ST-Segment-Depression erlauben Rückschlüsse auf Ausdehnung und Ausprägung der Ischämie und korrelieren mit der Prognose.
Kardiale Marker
Bei allen Patienten mit vermutetem ACS ist die Bestimmung eines Biomarkers für die Schädigung von Herzmuskelzellen (z.B. hochsensitives Troponin) durchzuführen. (Siehe Labor)
Transthorakale Echokardiographie
Bei allen Patienten, die aufgrund eines NSTE-ACS stationär aufgenommen werden, sollte von geschulten Ärzten eine transthorakale Echokardiographie durchgeführt und interpretiert werden.
Das Echo kann zur Diagnose anderer Erkrankungen beitragen, die mit Thoraxschmerzen einhergehen, beispielsweise akute Aortendissektion, Perikarderguss, Aortenklappenstenose, hypertrophe Kardiomyopathie oder rechtsventrikuläre Dilatation mit Verdacht auf akute Lungenembolie.
Bei Patienten mit hämodynamischer Instabilität, für die eine kardiale Ursache vermutet wird, ist die Echokardiographie das diagnostische Verfahren der Wahl.
Die Bestimmung eines Biomarkers für die Schädigung von Herzmuskelzellen, z.B. des hochsensitiven kardialen Troponins (hs-cTn), ist bei allen Patienten mit vermutetem ACS obligat.
Troponin I und T (hsTn)sind herzmuskelspezifisch und entscheidende Biomarker zum Nachweis eines Myokardinfarktes.
Der Marker hsTn hat eine hohe Sensitivität von 80 % nach 3 Stunden und von 100 % im Zeitfenster 10 Stunden bis 5 Tage nach Herzinfarkt. Sein Maximum hat er nach etwa 12 Stunden erreicht, nach 1 bis 2 Wochen normalisiert er sich. Troponin T, gemessen 4 Tage nach Herzinfarkt, korreliert mit der Infarktgröße.
Zu beachten ist, dass auch andere Erkrankungen zu einer Troponin-Erhöhung führen können (z.B. schwere Herzinsuffizienz, Lungenembolie, Aortendissektion, Myokarditis, Hypothyreose u.a.).
Die Parameter CK, GOT, LDH und HBDH dienen der nachträglichen Bestätigung der Infarktdiagnose und zur Einschätzung von Infarktgröße und –zeitpunkt.
Bei Patienten, die mit akutem Thoraxschmerz in die Notaufnahme kommen, können folgende Krankheitsprävalenzen erwartet werden:
- 5 bis 10 % STEMI
- 15 bis 20 % NSTEMI
- 10 % instabile Angina pectoris
- 15 % andere Herzerkrankungen (z.B. Kardiomyopathie, Myoperikarditis, akute Herzinsuffizienz, hypertensiver Notfall, Tako-Tsubo-Kardiomyopathie)
- 50 % nicht-kardiale Erkrankungen (z.B. Lungenembolie, Aortendissektion, Ösophagitis, Reflux, muskuloskelettale Erkrankungen, Angststörungen)
Medikamentöse Therapie
Die medikamentöse Behandlung verfolgt mehrere Ziele, u.a. die Beseitigung der Symptomatik, Verhinderung von mit dem ACS zusammenhängenden Komplikationen und Prävention erneuter kardiovaskulärer Ereignisse im Langzeitverlauf.
Dabei kommen unterschiedliche Strategien zum Einsatz:
- Antikoagulation
- Antithrombozytäre Therapie
- Antiischämische und kardioprotektive Maßnahmen
Antikoagulation und antithrombozytäre Therapie greifen direkt in die Pathophysiologie des ACS ein, daher kommt diesen Maßnahmen ein besonderer Stellenwert zu.
- Antikoagulation in der Akutphase: Mit unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularen Heparinen.
- Antikoagulation in der chronischen Phase: Mit Rivaroxaban oder Vorapaxar.
- Antithrombozytäre Therapie: Mit ASS, Thienopyridinen (Clopidogrel, Ticlopidin, Prasugrel), weiteren P2Y12-Antagonisten (Ticagrelor, Cangrelor) oder GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten (Abciximab, Eptifibatid, Tirofibran).
Patienten mit akutem Thoraxschmerz und ACS-Verdacht müssen rasch im Krankenhaus von einem erfahrenen Arzt evaluiert werden, am besten in einer spezialisierten Chest Pain Unit. Parallel zur initialen Evaluation wird mit der Erstbehandlung des Patienten begonnen. (Siehe Erstbehandlung im Abschnitt Notfallmanagement)
EKG: Eine persistierende ST-Hebung (> 20 Minuten) in mindestens zwei Ableitungen oder ein neu aufgetretener Linksschenkelblock weisen auf einen STEMI hin, der einer dringlichen Reperfusion bedarf. Bei STEMI-Patienten ist eine PCI die bevorzugte Reperfusionstherapie - vorausgesetzt, sie kann innerhalb von 120 Minuten nach der Diagnosestellung durchgeführt werden. Ist das nicht möglich, empfiehlt die aktuelle ESC-Guideline eine Fibrinolyse mit anschließendem Transport des Patienten in ein PCI-Zentrum.
Risikobeurteilung und Differenzialdiagnostik
Das weitere therapeutische Management bei ACS-Verdacht basiert auf weiteren diagnostischen Ergebnissen und klinischen Zusatzinformationen:
- Labordiagnostik: Kardiale Marker bei Aufnahme und nach 3 Stunden, weitere Parameter zur Abklärung möglicher Differenzialdiagnosen (D-Dimer, BNP u.a.).
- EKG erneut nach 3 bis 6 Stunden ableiten; optimal: kontinuierliche Überwachung des ST-Segments.
- Echokardiographie und evtl. MRI, CT etc. zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen.
- Klinische Beobachtung: Schmerzen? Ansprechen auf antianginöse Therapie?
- Rhythmusüberwachung.
- Risikoassessment mit etabliertem Instrument, z.B. GRACE-Score (gracescore.org). Der GRACE 2.0 Risiko-Rechner ermöglicht eine Risikoeinschätzung der Sterblichkeit während des stationären Aufenthalts, nach sechs Monaten, einem und drei Jahren.
- Bestimmung des Blutungsrisikos, z.B. mit dem CRUSADE-Blutungsscore (gravierende Blutungen nach PCI erhöhen das Sterbe- und das Reinfarktrisiko).
- Parallel hierzu nichtkardiale Differenzialdiagnosen (z.B. Lungenembolie, Aortendissektion) ausschließen.
Therapiestrategie und Timing festlegen
Ob und wann eine invasive Therapie durchgeführt werden soll, wird anhand bestimmter Kriterien entschieden (Tab. 1).
Eine primär konservative Strategie (keine oder elektive Angiographie) wird bei allen Patienten ohne rezidivierende Angina pectoris, ohne Herzinsuffizienz-Zeichen, ohne EKG-Veränderungen (initial oder nach 6 Stunden) und ohne Troponinanstieg (initial oder nach 3 bis 6 Stunden) eingeschlagen. Bei dieser Patientengruppe empfiehlt sich eine nichtinvasive Diagnostik zum Nachweis induzierbarer Ischämien und – bei positivem Ergebnis – ein elektiv invasives Vorgehen.
Kriterien für sehr hohes Risiko (invasive Therapie innerhalb von 120 Minuten empfohlen) |
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Kriterien für ein hohes Risiko (invasive Therapie innerhalb von 24 Stunden empfohlen) |
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Kriterien für intermediäres Risiko (invasive Therapie innerhalb von 72 Stunden empfohlen) |
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Koronarangiographie und Revaskularisation
Mithilfe der Koronarangiographie soll u.a. ein ACS auf der Basis einer Koronarobstruktion bestätigt oder ausgeschlossen und ggf. die „Culprit lesion“ („schuldige Läsion“) identifiziert werden. Zudem wird bei der Koronarangiographie die Indikation für eine Revaskularisation gestellt und die Koronaranatomie beurteilt, damit entschieden werden kann, ob eine PCI oder eine Bypass-Operation besser geeignet ist.
Durch eine Revaskularisation sollen Schmerzen beseitigt, die Ischämie beendet und die Prognose verbessert werden. Im Vergleich zur alleinigen PTCA kann eine Stentimplantation das Risiko für einen akuten Gefäßverschluss oder eine Restenose erheblich reduzieren.
Da dem ACS in vielen Fällen eine koronare Herzkrankheit (KHK) zugrunde liegt, wird hier auf die Präventionsmaßnahmen bei KHK verwiesen. (Siehe Prävention im Kapitel Koronare Herzkrankheit)
Bei Patienten mit akutem Thoraxschmerz und ACS sollte innerhalb von zehn Minuten ein 12-Kanal-EKG abgeleitet werden. So können einerseits lebensbedrohliche Rhythmusstörungen erkannt und, falls erforderlich, eine Defibrillation durchgeführt werden. Weist das EKG Zeichen eines STEMI auf, sollte der Patient in ein Krankenhaus gebracht werden, das perkutane Koronarinterventionen (PCI) durchführt. Der Krankentransport in die Klinik erfolgt mit Notarztbegleitung.
Erstbehandlung
- Bei Atemnot und akuter Herzinsuffizienz Oberkörper erhöht lagern.
- Sauerstoff über Nasensonde verabreichen (4 bis 8 l/min) bei Sauerstoffsättigung < 95% (Pulsoxymetrie).
- Nitroglyzerin 1 bis 3 Hübe sublingual verabreichen, in der Klinik über Perfusor. Kontraindiziert bei Blutdruck unter 90 mmHg!
- Morphin i.v. bei starken Schmerzen. Wiederholte Gaben bis zur Schmerzfreiheit.
- Antiemetika bei Übelkeit/Erbrechen.
- Thrombozytenaggregationshemmer:
o Alle ACS-Patienten erhalten ASS
o Bei STEMI und NSTEMI duale Plättchenhemmung und Heparin
Darüber hinaus wird die frühzeitige Einleitung einer Betablocker-Therapie bei Patienten mit bestehenden ischämischen Symptomen empfohlen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen.
Die weitere Therapie richtet sich nach den Ergebnissen der Diagnostik und der Risikovalidierung.
1. Herold G et al.: Innere Medizin 2017. Eigenverlag, Köln 2017
2. Stierle U (Hrsg.): Klinikleitfaden Kardiologie. 6. Aufl., Elsevier, München 2017
3. Roffi M et al.: 2015 Guidelines for the Management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation. European Heart Journal 2016; 37: 267-315
4. ESC Pocket Guidelines: Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTE-ACS), Version 2015. Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. https://www.dgk.org
5. Ibanez B et al.: 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. European Heart Journal 2017; 00:1-66
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