Aorteninsuffizienz

Definition

Unter Aorteninsuffizienz bzw. Aortenklappeninsuffizienz versteht man die Schlussunfähigkeit der Semilunarklappen zwischen Aorta und linkem Ventrikel aufgrund einer Deformierung oder Zerstörung der Semilunarklappen, Dilatation der Aortenwurzel oder Prolaps einer Aortenklappentasche.

Die Aorteninsuffizienz kann akut auftreten (selten) oder chronisch bestehen. Wichtige Ursachen für eine akute Aorteninsuffizienz sind infektiöse Endokarditis und Dissektion der Aorta ascendens.

Die chronische Aorteninsuffizienz ist häufig angeboren (bikuspide Aortenklappe), kann aber auch im Zusammenhang mit rheumatischem Fieber oder einer infektiösen Endokarditis auftreten. Dilatationen der Aortenwurzel und des Klappenrings sind weitere mögliche Ursachen einer Aorteninsuffizienz, z.B. atherosklerotisch bedingte Dilatation bei über 60-Jährigen oder Erkrankungen der Aortenwurzel im Rahmen eines Marfan- oder Ehlers-Danlos-Syndroms.

Anzeige
Symptomatik

Bei der Aorteninsuffizienz fließt während der Diastole Blut aus der Aorta zurück in den linken Ventrikel (Regurgitation), da die Semilunarklappen nicht richtig schließen. Es resultiert ein großes Schlagvolumen, das im Lauf der Erkrankung zu einer exzentrischen linksventrikulären Hypertrophie führt.

Eine leicht- bis mittelgradige Aorteninsuffizienz kann über Jahre bis Jahrzehnte asymptomatisch bleiben. Schließlich klagen betroffene Patienten über:

  • Palpitationen
  • Abnahme der Leistungsfähigkeit, rasche Ermüdbarkeit
  • Dyspnoe als Zeichen einer Linksherzinsuffizienz
  • Angina pectoris, Schwindel, Synkopen und plötzlicher Herztod treten seltener auf als bei der Aortenstenose

Die akute Aorteninsuffizienz führt innerhalb kurzer Zeit zur Linksherzdekompensation und Lungenödem (akute Dyspnoe und Tachykardie, Schock).

Anzeige
Untersuchung
  • Große Blutdruckamplitude (hoher systolischer Wert aufgrund des großen Schlagvolumens, relativ niedriger diastolischer Wert bei Windkesseleffekt durch Blutreflux), Pulsus celer et altus („Wasserhammerpuls“).
  • Klinische Zeichen eines großen Schlagvolumens: pulssynchrone Bewegungen von Kopf, Kehlkopf und/oder Uvula, sichtbar pulsierende Gefäße z.B. an Schläfe und Hals.
  • Herzspitzenstoß bei exzentrischer Linkshypertrophie hyperdynam, nach links und unten verlagert.

Auskultation

  • Normaler 1. Herzton bei leichter bis mittelschwerer Aorteninsuffizienz; bei schwerer oder dekompensierter Aorteninsuffizienz leise oder nicht mehr hörbar.
  • Diastolisches Decrescendogeräusch unmittelbar nach dem 2. Herzton, gut hörbar im 3. ICR links parasternal.
  • Spindelförmiges Systolikum aufgrund der relativen Aortenstenose (Missverhältnis zwischen normal großer Klappenöffnung und abnorm hohem Schlagvolumen)
  • Austin-Flint-Geräusch („rumpelndes“ spätdiastolisches Geräusch, da die Mitralklappenöffnung durch den diastolischen Blutreflux behindert wird).

EKG

  • Linkshypertrophiezeichen (Sokolow-Lyon-Index: SV1 + RV5 oder RV6 > 3,5 mV).
  • Typisch für eine Volumenhypertrophie sind betonte Q-Zacken; anders als bei der Aortenstenose (Druckhypertrophie) kommt es jedoch erst spät zur T-Negativierung.

Röntgen-Thorax

  • Bei leichter chronischer Aorteninsuffizienz: Unauffällige Röntgenübersicht.
  • Aortale Herzkonfiguration: Großer, nach links ausladender linker Ventrikel, Dilatation und Elongation der Aorta ascendens.

Echokardiographie

Mithilfe der transthorakalen/transösophagealen Echokardiographie können folgende Parameter beurteilt werden:

  • Klappenanatomie (uni-, bi-, tri- oder quadricuspid)
  • Ausmaß der Regurgitation und Beurteilung ihrer Mechanismen (Richtung? Zentral oder exzentrisch?)
  • Morphologie der Aorta (Vermessung der Aortenwurzel und der Aorta ascendens im 2D-Modus auf mehreren Ebenen)
  • Funktion und Dimensionen des linken Ventrikels

Zudem ist eine Einschätzung möglich, ob eher ein Klappenersatz oder eine Klappenrekonstruktion erfolgen sollte.

CT und kardiales MRT

  • Ein kardiales MRT sollte zur Quantifizierung der Regurgitationsfraktion erfolgen, wenn die echokardiographischen Ergebnisse nicht eindeutig sind.
  • Bei Patienten mit Aortendilatation wird ein Multislice-CT empfohlen, um den größten Durchmesser zu erfassen.
  • Das kardiale MRT kann zur Nachbeobachtung eingesetzt werden, doch die Indikation zur Operation sollte sich vorzugsweise auf CT-Messungen stützen.
Mehr zum Thema

Die Auskultation spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle beim Screening auf Aortenklappenschäden. Ihr Vorteil: Sie lässt sich in jeder…

mehr
Labor

Die Bestimmung der natriuretischen Peptide kann für die Risikostratifizierung und für die Planung einer Intervention hilfreich sein – insbesondere bei asymptomatischen Patienten.

Besteht bei akuter Aorteninsuffizienz der Verdacht auf eine infektiöse Endokarditis, müssen die entsprechenden Laboruntersuchungen durchgeführt werden (BSG, CRP, Blutbild, kultureller Erregernachweis, immunologische Untersuchungen).

Anzeige
Differenzialdiagnostik
  • Aortenstenose
  • Pulmonalklappeninsuffizienz
  • Offener Ductus arteriosus Botalli (PDA)
  • Aortopulmonales Fenster
  • Perforiertes Aneurysma eines Sinus Valsalvae
  • Arteriovenöse Fisteln der Koronararterien
Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Eine medikamentöse Therapie kann bei Patienten mit chronischer schwerer Aorteninsuffizienz, für die ein chirurgischer Eingriff nicht geeignet ist, eine Symptomlinderung bringen. Bei Patienten, die trotz Operation an einer Herzinsuffizienz oder Hypertonie leiden, sind ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker (ARB) und Betablocker nützlich.

Bei Patienten mit Marfan-Syndrom können Betablocker und/oder Losartan zu einer Verlangsamung der Aortenwurzeldilatation führen und das Risiko für Aortenkomplikationen reduzieren; daher sollten sie vor und nach einer Operation erwogen werden. Auch bei Patienten mit bikuspider Aortenklappe ist es gängige klinische Praxis, zu einer Therapie mit Betablockern oder Losartan zu raten, wenn die Aortenwurzel und/oder die Aorta ascendens dilatiert ist; entsprechende Evidenz aus Studien fehlt jedoch.

Wie stark sich Patienten körperlich belasten bzw. Sport treiben dürfen, muss klinisch beurteilt werden, da es dazu keine Evidenz gibt. Aktuelle Leitlinien hierzu sind sehr restriktiv, insbesondere im Hinblick auf isometrisches Training, um ein desaströses Ereignis zu vermeiden.

Kontrollintervalle

Alle asymptomatischen Patienten mit schwerer Aorteninsuffizienz und normaler linkventrikulärer Funktion sollten mindestens einmal jährlich untersucht werden.

Patienten mit neu diagnostizierter Aorteninsuffizienz oder mit signifikanten Änderungen des linksventrikulären Durchmessers und/oder der Ejektionsfraktion sollten mindestens alle 3 bis 6 Monate kontrolliert werden; dies trifft auch für Patienten zu, die auf eine Operation zusteuern. In unklaren Fällen kann die BNP-Bestimmung hilfreich sein, denn eine BNP-Erhöhung wird mit einer Verschlechterung der linksventrikulären Funktion in Verbindung gebracht.

Patienten mit leichter oder mäßiger Aorteninsuffizienz sollten einmal jährlich kontrolliert werden, eine Echokardiographie sollte alle 2 Jahre erfolgen.

Invasive und Interventionelle Therapie
  • Die stärkste Indikation für einen chirurgischen Klappeneingriff ist das Vorliegen von Symptomen (in Ruhe oder unter Belastung) und/oder die Dokumentation einer linksventrikulären Ejektionsfraktion < 50% und/oder ein endsystolischer Durchmesser > 50 mm.
  • Bei Patienten mit dilatierter Aorta sind die Definition der aortalen Pathophysiologie und eine exakte Bestimmung der Aortendurchmesser entscheidend, um den Zeitpunkt und die Art des chirurgischen Eingriffs festzulegen.
  • Bei selektierten Patienten sollte in Zentren mit entsprechend erfahrenen Ärzten überlegt werden, ob anstelle eines Aortenklappenersatzes ein klappenerhaltender Eingriff möglich ist.
Prävention

Sinnvoll ist es, kardiale Risikofaktoren zu reduzieren: Nikotinabstinenz einhalten, für angemessene Bewegung und herzgesunde Ernährung sorgen.

Mehr zum Thema

Patienten mit genetischer Prädisposition und chronisch erhöhtem Blutdruck laufen Gefahr, eine Herzklappenerkrankung zu entwickeln. Kollegen fordern,…

mehr
Leben mit der Krankheit
Mehr zum Thema

Ausdauersport hält das Herz gesund. Aber was gilt, wenn bereits eine kardiologische Erkrankung vorliegt? Ihre Pumpe schonen müssen jedenfalls nur…

mehr
Notfallmanagement

Zu den Komplikationen, die bei Aorteninsuffizienz auftreten können, zählen Rhythmusstörungen wie Vorhofflimmern, ventrikuläre Tachykardien oder Bradyarrhythmien, die entsprechend behandelt werden müssen.

Entwickelt sich ein akutes Lungenödem, ist zunächst eine konservative Therapie gerechtfertigt. Bei akuter Aorteninsuffizienz oder konservativ nicht beherrschbarer subakuter oder chronischer Aorteninsuffizienz mit pulmonaler Kongestion ist eine Operation indiziert.

Leitlinien

Leitlinien und weitere Quellen:

  • Herold G et al.: Innere Medizin 2018. Eigenverlag, Köln 2018
  • Stierle U (Hrsg.): Klinikleitfaden Kardiologie. 6. Aufl., Elsevier, München 2017
  • Baumgartner H et al.: 2017 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. European Heart Journal 2017; 38: 2739-2786
Abrechnung

Verschenken Sie kein Honorar: Das „Gebühren-Handbuch digital“ ist die ideale Weiterentwicklung der Printausgabe des bekannten „Medical Tribune Gebühren-Handbuchs“ - statt 2000 Buchseiten der schnelle digitale Zugriff.

Was Ihnen die Abrechnung leichter macht:

  • die immer aktuelle Fassung von EBM und GOÄ (Einheitlicher Bewertungsmaßstab und Gebührenordnung für Ärzte)
  • Tipps und Experten-Kommentare zur Honorarabrechnung (EBM/GOÄ), graphisch aufbereitet und leicht verständlich
  • Kommentare von Kollegen lesen und selbst kommentieren
  • persönliche Notizen und Lesezeichen setzen

Zum Gebühren-Handbuch digital »

Fortbildungen

04.12.2024 | 16:00 - 19:15 Online

Case Conference 2024

Neues Wissen von Fall zu Fall

Details Online-Teilnahme Programm
06.12.2024 | 07:30 - 08:15 Online

Frühstücksfortbildung am Freitag 2024

Wie gelingt Antibiotic Stewardship bei Pharyngitis?

Details Online-Teilnahme Programm
13.12.2024 | 07:30 - 08:15 Online

Frühstücksfortbildung am Freitag 2024

Pseudokrupp - Kindgerechte Behandlung im Akutfall

Details Online-Teilnahme Programm
Termin Fortbildung Ort  
04.12.2024 | 16:00 - 19:15

Case Conference 2024

Neues Wissen von Fall zu Fall

Details Online-Teilnahme Programm
Online
4 CME-Punkte
kostenfrei
06.12.2024 | 07:30 - 08:15

Frühstücksfortbildung am Freitag 2024

Wie gelingt Antibiotic Stewardship bei Pharyngitis?

Details Online-Teilnahme Programm
Online
1 CME-Punkt
kostenfrei
13.12.2024 | 07:30 - 08:15

Frühstücksfortbildung am Freitag 2024

Pseudokrupp - Kindgerechte Behandlung im Akutfall

Details Online-Teilnahme Programm
Online
1 CME-Punkt
kostenfrei
Alle Fortbildungen




Diese Informationen dienen ausschließlich der Aus- und Weiterbildung von Angehörigen und Studenten der medizinischen Fachkreise (z.B. Ärzte) und enthalten nur allgemeine Hinweise. Sie dürfen nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden und sind kein Ersatz für eine ärztliche Beratung oder Behandlung. Die jeweiligen Autoren haben die Inhalte nach bestem Wissen gepflegt. Dennoch sollten Sie die Informationen stets kritisch prüfen und mit zusätzlichen Quellen vergleichen. Die Autoren und die Betreiber von medical-tribune.de übernehmen keine Haftung für Schäden, die durch nicht-kontrollierte Anwendung von Empfehlungen und Inhalten entstehen. Beiträge, die Angaben zum Einsatz und zur Dosierung von Medikamenten machen, sind die persönliche Einschätzung der Autoren. Sie ersetzen nicht die Empfehlungen des Herstellers oder des behandelnden Arztes oder Apothekers.