Leitlinie zur Behandlung des NSCLC auf Vordermann gebracht

Dr. Miriam Sonnet

Lungenkrebs ist bei Frauen der dritt- und bei Männern der zweithäufigste maligne Tumor. Lungenkrebs ist bei Frauen der dritt- und bei Männern der zweithäufigste maligne Tumor. © Science Photo Library/Science Source/ James Cavallini

Im Juli wurde eine aktualisierte Version der Onkopedia-Leitlinie zum nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom veröffentlicht. Die Änderungen umfassen unter anderem die Bereiche der Diagnostik und Therapie. So finden sich einige neue molekulargenetische Marker und zielgerichtete Substanzen in den Empfehlungen.

Jährlich erkranken in Deutschland rund 36.000 Männer und 21.000 Frauen an Lungenkrebs. In ca. 80 % der Fälle handelt es sich dabei um das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC). Dank neuer Treibermutationen und entsprechender zielgerichteter Wirkstoffe eröffnen sich für Betroffene weitere Therapieoptionen. Um der rasanten Entwicklung Rechnung zu tragen, wurde die Leitlinie NSCLC kürzlich überarbeitet.

Noch kein Konsens hinsichtlich eines Screenings

Die Autoren hatten sich schon in den Vorgängerversionen mit der Früherkennung mittels Niedrig-Dosis-Computertomographie des Thorax beschäftigt. Dass dies die krebsspezifische Mortalität senken kann, verdeutlichen unter anderem die Daten der NELSON-Studie, von der im Februar 2020 neue Daten publiziert wurden.1 Da es hinsichtlich der Gesamtsterblichkeit aber keinen Vorteil durch das Screening gab, bleibt das Thema kontrovers, schreiben die Experten.

„Die wesentlichen Neuerungen in der Diagnostik beziehen sich auf neue Treibermutationen, die aufgenommen wurden“, berichtet Privatdozentin Dr. Gudrun Absenger von der Medizinischen Universität Graz, die maßgeblich an der Überarbeitung der Leitlinie beteiligt war.

So stuften die Autoren NTRK- und RET- Alterationen als therapierelevant ein. Beide haben im Vergleich zur Vorgängerversion diesbezüglich eine Aufwertung erhalten, zumal nun auch zugelassene Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen. Insbesondere zu den RET-Alterationen, die bei 1–2 % der NSCLC-Patienten nachgewiesen werden, gibt es relevante Daten.

RET kann mit unterschiedlichen Genen fusionieren, so die Autoren, und der konkrete Partner spielt möglicherweise eine Rolle für die Prognose der Erkrankung und die Wirksamkeit der Behandlung. Im Februar 2021 hat Selpercatinib eine EU-Zulassung erhalten. Verschiedene Multikinase-Inhibitoren, die für andere Tumor­entitäten zugelassen sind, können bei Personen mit RET-Alterationen ebenfalls effektiv sein.

Zunehmende Relevanz erhielten auch HER2- und c-MET-Alterationen sowie KRAS-Mutationen, wobei MET und HER2 bereits in der 2019er Version erwähnt wurden. In der aktuellen Leitlinie widmeten die Autoren jeder Aberration ein eigenes Kapitel mit neuen Studiendaten.

Auch der Abschnitt 6.1.6.2.1 zu den EGFR-Mutationen wurde grundlegend überarbeitet. Die verschiedenen Alterationen sind nun ausführlich beschrieben. Neu ist die Aufnahme eines eigenen Kapitels mit der Überschrift „Uncommon Mutations“, das neben den seltenen TKI-sensitiven Mutationen (T790M und Exon-20-Insertion) nun auch Uncommon Mutations IV beinhaltet. Diese sehr seltenen EGFR-Alterationen sind in der Regel Punktmutationen der Exone 18 bis 21. Patienten, die diese aufweisen, sollten laut den Leitlinien-Autoren an molekulare Tumorboards verwiesen werden.

In Bezug auf die Behandlung des ­NSCLC änderte sich die Empfehlung für die adjuvante Situation: Hier können EGFR-positive Erkrankte im Stadium II bzw. III neben einer Chemotherapie jetzt auch Osimertinib erhalten. „Hintergrund ist die Zulassung der Substanz für EGFR-mutierte Patienten auf Basis der ADAURA-Studie“, erläutert die Expertin.

Postoperative Radiatio nicht mehr der Regelfall

Darin führte die adjuvante Therapie mit dem Tyrosinkinase-Hemmer über drei Jahre bei EGFR-positiven Betroffenen in den Stadien II und IIIA nach einer R0-Resektion gegenüber Placebo zur signifikanten Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens und zur Reduktion des Risikos einer ZNS-Metastasierung.2

Eine allgemeine Änderung betrifft die Behandlungsstruktur. Das Stadium IIIC wurde ausgelagert und das Stadium IIIA3 ausführlicher mit einer weiteren Behandlungsoption beschrieben. Eine Neuerung in der kurativen Situation ergab sich für Betroffene mit N2-Befall. „Diese werden nicht mehr regelhaft post­operativ bestrahlt“, erklärt Dr. Absenger. Die Empfehlung basiert auf den Daten der LungART-Studie, in der sich weder das krankheitsfreie Überleben noch das Gesamtüberleben der Teilnehmer durch eine postoperative Bestrahlung verbesserten.3

In der palliativen Situation wird die molekular stratifizierte Therapie immer komplexer, weshalb die Autoren dieses Kapitel überarbeiteten und neue Substanzen in die Empfehlungen aufnahmen:

  • Brigatinib als Option für Patienten mit ALK-Translokationen
  • Entrectinib für Erkrankte mit ROS-Translokationen oder NTRK-Fusionen
  • Erlotinib plus Anti-VEGF-Antikörper für Personen mit EGFR-Deletion 19, L858R-Mutation und anderen TKI-sensitiven EGFR-Mutationen
  • Larotrectinib für Betroffene mit NTRK-Fusionen
  • Selpercatinib für Patienten mit RET-Alterationen

„Für die nicht-molekular stratifizierte medikamentöse Behandlung in fortgeschrittenen Stadien stehen für Erkrankte mit PD-L1 ≥ 50 % neben Pembrolizumab jetzt zusätzlich Atezolizumab oder Cemiplimab jeweils als Monotherapie zur Verfügung“, sagt Dr. Absenger. „Wir haben auch zahlreiche andere Substanzen erwähnt, die zwar zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zugelassen sind, für die wir aber die Zulassung bald erwarten.“

Personen mit Nicht-Plattenepithelkarzinom haben unabhängig vom PD-L1-Status folgende neue Möglichkeiten:

  • Atezolizumab, Carboplatin, nabPaclitaxel
  • Nivolumab, Ipilimumab, Cis- oder Carboplatin, Pemetrexed

Für das Plattenepithelkarzinom kann in dieser Situation zusätzlich das Vierfach-Regime aus Nivolumab, Ipilimumab, Carboplatin und Paclitaxel zum Einsatz kommen.

Anpassungen im Bereich der Oligometastasierung

„Stark überarbeitet wurde auch das Kapitel 6.1.6.1 zum Stadium IVA mit oligometastatischer Erkrankung“, so die Expertin. Es wurde von „Stadium IV mit solitären Organmetastasen“ in „oligometastatische Erkrankung“ umbenannt. Die Leitlinien-Autoren weisen explizit auf die umstrittene Definition und die Notwendigkeit einer individualisierten Therapieempfehlung auf der Basis eines interdisziplinären Tumorboards hin. In der neuen Version ist nicht mehr von einer solitären, sondern von einer begrenzten Organmetastasierung die Rede. Für die Behandlung der Organmetastase selbst ergaben sich keine Änderungen.

Im Falle einer ZNS-Läsion raten die Experten nach wie vor zu einer Operation und Tumorbettbestrahlung oder einer isolierten Radiochir­urgie. Eine Ganzhirnbestrahlung wird bei diesen Patienten in der aktuellen Fassung aber eher nicht empfohlen (vorher: „kritisch bewertet“). Hinzugekommen ist auch die Aussage, dass die neue Staging-Klassifikation UICC8 jede solitäre Metastase als gleich definiert. Eine solitäre Absiedelung in einem Organ wird als Oligometa­stastic Disease eingestuft.

Quellen:
1. de Koning HJ et al. N Engl J Med 2020; 382: 503-513; DOI: 10.1056/NEJMoa1911793
2. Wu YL et al. N Engl J Med 2020; 383: 1711-1723; DOI: 10.1056/NEJMoa2027071
3. Le Pechoux C et al. Annals of Oncology 2020; 31 (suppl_4): S1142-S1215; DOI: 10.1016/annonc/annonc325
Onkopedia-Leitlinie Lungenkarzinom, nicht-kleinzellig (NSCLC), Stand: Juli 2021

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Lungenkrebs ist bei Frauen der dritt- und bei Männern der zweithäufigste maligne Tumor. Lungenkrebs ist bei Frauen der dritt- und bei Männern der zweithäufigste maligne Tumor. © Science Photo Library/Science Source/ James Cavallini