Mit bedarfsorientierter HIV-Prophylaxe die Adhärenz fördern

Dr. Angelika Bischoff

Es sollte regelmäßig geprüft werden, ob die Indikation noch gegeben ist oder die PrEP pausiert oder gar beendet werden kann. Es sollte regelmäßig geprüft werden, ob die Indikation noch gegeben ist oder die PrEP pausiert oder gar beendet werden kann. © iStock/Stas_V

Durch eine Präexpositionsprophylaxe lässt sich das Risiko für HIV-Infektionen deutlich senken – vorausgesetzt, die Patienten machen konsequent mit. Leider liegt genau darin die Krux, denn das oft starre Regime geht häufig zulasten der Adhärenz. Eine bedarfsorientierte Medikation könnte eine Alternative zur Dauertherapie bieten.

Um Menschen mit erhöhtem HIV-Ansteckungsrisiko und damit potenzielle Kandidaten für die orale Präexpositionsprophylaxe (PrEP) zu identifizieren, werden in Leitlinien verschiedene Risiko­scores empfohlen. Diese beziehen sich i.d.R. jeweils nur auf eine sehr spezifische Personengruppe, z.B. Schwangere oder Männer, die Sex mit Männern haben, was sie für den breiten Einsatz disqualifiziert, schreiben Dr. Sarah­ E. Rutstein­ von der University of North Carolina und Kollegen.

In den verschiedenen internationalen Leitlinien stimmen Experten mit ihren Empfehlungen meist überein. Demnach ist eine PrEP für Personen mit hohem Ansteckungsrisiko indiziert, das beispielsweise gemäß der WHO in Populationen mit einer jährlichen HIV-Inzidenz von mindes­tens 3 % vorliegt. Daneben sprechen bestimmte Risikofaktoren für eine Präexpositionsprophylaxe: viele Sexualkontakte, ein Partner mit bekannter HIV-Infektion oder intravenösem Drogenkonsum, eine sexuell übertragbare Erkrankung.

Da sich Risikoverhalten allerdings ändern kann, sollte regelmäßig überprüft werden, ob die Indikation noch gegeben ist oder die PrEP ggf. pausiert/beendet werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn

  • eine Person eine stabile monogame Beziehung mit einem HIV-negativen oder antiviral optimal behandelten Partner eingeht,
  • ausschließlich geschützter Sex praktiziert wird,
  • keine intravenösen Drogen mehr konsumiert werden oder
  • die Person in eine Region mit niedriger HIV-Prävalenz zieht.

Die zuständigen US-Behörden halten z.B. eine Prüfung alle zwölf Monate für angemessen.

Was und wie oft vor der Prophylaxe testen?

Voraussetzung für den Beginn einer PrEP ist nach Leitlinien mindestens ein negatives Ergebnis im HIV-Antikörpertest. Dieser sollte während der Prophylaxe alle drei Monate wiederholt werden. Bei intermittierender PrEP ist ein Antigen-Antikörpertest zu bevorzugen. Würde man mit der Medikation beginnen, wenn eine HIV-Infektion bereits besteht, aber noch nicht diagnostiziert ist, verzögert sich deren Nutzen. Allerdings fallen serologische HIV-Tests unter einer PrEP häufiger falsch-negativ aus. Wenn eine akute HIV-Infektion vermutet wird, sollte man die HIV-RNA bestimmen.

Daneben stellt sich häufig die Frage, wie lange ein Risikoverhalten nicht mehr vorhanden sein muss, bevor die PrEP beendet werden kann. Dazu finden sich in den Leitlinien unterschiedliche Angaben. Die WHO hält eine Karenzzeit von 28 Tagen für sinnvoll, in britischen Empfehlungen sind es lediglich sieben bis zehn Tage. Umgekehrt muss die Indikation wieder reaktiviert werden, wenn nach einer stabilen Phase erneut „wilde Zeiten“ anbrechen.

40 % halten die Prophylaxe länger als ein Jahr durch

Dass Betroffene ihre Prophylaxe frühzeitig abbrechen, zählt zu den größten Hindernisse für deren Effektivität, schreiben die Autoren. Damit riskiere man inzidente HIV-Infektionen. In Untersuchungen wurde gezeigt, dass eine PrEP häufig ohne Rücksprache mit einem Arzt beendet wird – und das in vielen Fällen bereits drei bis sechs Monate nach Beginn. Ein fehlendes Gefahrenbewusstsein („Mir kann nichts mehr passieren“) oder mangelndes Verständnis über den Nutzen der PrEP könnten die hohen Quoten erklären. In einer Studie zeigen z.B. Wissenschaftler aus den USA, dass nur knapp 40 % der Menschen, die eine PrEP begonnen haben, nach einem Jahr noch dabei sind. In einer anderen Untersuchung mit Mädchen und Frauen zwischen 15 und 24 Jahren aus dem südlichen Afrika kam man zu dem Ergebnis, dass mehr als 50 % von ihnen schon innerhalb des ersten halben Jahres die Prophylaxe abgebrochen hatten. Neben dem Stigma, dem sie sich ausgesetzt fühlten, und den Nebeneffekten der Medikamente scheint v.a. ein mangelndes Gefährdungsbewusstsein dafür verantwortlich, vermuten die Autoren der Studie. So glaubte fast die Hälfte der jungen Frauen, bei denen bereits eine HIV-Serokonversion eingetreten war, überhaupt nicht für eine HIV-Infektion gefährdet zu sein. Gerade in diesem Kollektiv könnte eine umfassende Aufklärung nachhaltig wirken, schreiben Dr. Rutstein und Kollegen. Zum Beispiel mit der Botschaft, dass die Medikamente nicht unbedingt durchgehend genommen, sondern auch pausiert oder gar abgesetzt werden können, sollte sich die Risikosituation ändern. Für Männer, die Sex mit Männern haben, existiert bereits eine Alternative zur sonst üblichen Dauertherapie: das sogenannte 2-1-1-Regime. Dabei werden zwei Tabletten 2 bis 24 Stunden vor einem erwarteten Sexualkontakt eingenommen und – falls dieser stattgefunden hat –  je eine weitere Tablette 24 Stunden sowie 48 Stunden nach den ersten beiden Tabletten. Studien lassen den Schluss zu, dass die HIV-Inzidenz verglichen mit Placebo unter dieser On-demand-Strategie um bis zu 97 % zurückging.

Kein Ersatz fürs Kondom

Die Diagnose einer anderen sexuell übertragbaren Erkrankung wird häufig als Anlass genommen, mit einer HIV-PrEP zu beginnen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass eine Präexpositionsprophylaxe zu einem Anstieg anderer sexuell übertragbarer Krankheiten führt. Dabei handelt es sich womöglich um eine Art Risikokompensation, so die Autoren. Etwa, weil die Betroffenen beim Sex weniger Vorsicht walten lassen und keine Kondome mehr benutzen.

Quelle: Rutstein SE et al. Lancet HIV 2020; 7: e721-730; DOI: 10.1016/S2352-3018(20)30203-4

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Es sollte regelmäßig geprüft werden, ob die Indikation noch gegeben ist oder die PrEP pausiert oder gar beendet werden kann. Es sollte regelmäßig geprüft werden, ob die Indikation noch gegeben ist oder die PrEP pausiert oder gar beendet werden kann. © iStock/Stas_V