Molekulare Tumorboards bei Brustkrebs selten sinnvoll

Birgit-Kristin Pohlmann

Welche Mutation der Treiber ist, kann laut Prof. Harbeck häufig nicht eindeutig geklärt werden. Welche Mutation der Treiber ist, kann laut Prof. Harbeck häufig nicht eindeutig geklärt werden. © Siarhei – stock.adobe.com

Viele Brustkrebszentren bieten bereits molekulare Tumorboards an. Bislang gibt es jedoch beim Mammakarzinom keinen Beweis, dass die Molekulardiagnostik dem Standardvorgehen im klinischen Alltag überlegen ist. Zumindest in den meisten Fällen.

Die molekulare Diagnostik wird derzeit beim Mammakarzinom primär als Option in der metastasierten Situation diskutiert, erläuterte Professor Dr. ­Nadia Harbeck, Brustzentrum der Frauenklinik der LMU München. Die Expertin mahnte grundsätzlich zur Vorsicht. Hinter der molekularen Diagnostik stehe die Vorstellung, dass eine Tumorerkrankung auf einer Treibermutation basiert und dass Tumorerkrankungen mit derselben Treibermutation unabhängig vom histologischen Typ auf dieselben Medikamente ansprechen. Nämlich jene, die in den entsprechenden molekularen Signalweg eingreifen.

Häufig haben Tumoren aber viele Mutationen und oft „kennen wir die Treibermutation nicht“, erläuterte Prof. Harbeck. Eine molekulare Charakterisierung des Tumors ist nur dann sinnvoll, wenn ein prädiktiver Faktor bzw. Biomarker identifiziert ist. Selbst wenn eine Mutation nachgewiesen ist und es ein Medikament gibt, das in den entsprechenden Signalweg eingreift, bedeute das nicht, dass die Patientin davon profitiert.

Die Sinnhaftigkeit eines molekularen Tumorboards müsse deshalb weiter validiert werden. Mit der „ESMO-Scale for Clinical Actionability of molecular targets“ (ESCAT) habe die European Society of Medical Oncology (ESMO) ein interessantes Projekt initiiert, welches genomische Alterationen als „Targets“ hinsichtlich ihrer klinischen Relevanz bewertet. Im Rahmen des Projekts wurden Mutationen in verschiedene ESCAT-Klassen eingeteilt. Die ESMO definierte in ESCAT-Klasse I neun Mutationen als derzeit klinisch relevant für die Behandlung des Mammakarzinoms. Für diese Mutationen sind Medikamente verfügbar, sodass sich aus der molekularen Diagnostik klinische Konsequenzen ergeben können.

Mit Blick auf die gegen HER2 gerichteten Substanzen bzw. die PARP-Inhibition sind dies

  • die HER2-Amplifikation bzw.
  • die BRCA-Keimbahnmutation (gBRCA).

Zusätzlich nennt die ESMO:

  • den PD-L1-Status (Atezolizumab) und
  • die PIK3CA-Mutation (Alpelisib – in Deutschland noch nicht zuge­lassen) sowie
  • die Expression von Neutrophin-Rezeptortyrosinkinase (NTRK) und
  • die Mikrosatelliteninstabilität (MSI-high).

In der ESCAT-II-Klasse sind Mutationen mit limitierten klinischen Daten gelistet, die im Einzelfall berücksichtigt werden könnten – so zum Beispiel für das Mammakarzinom die ESR1-Mutation oder die HER2-Mutation.

ESR1-Mutation vor allem in Metastasengewebe

Zur ESR1-Mutation gibt es laut Prof. Harbeck beim hormonrezeptor-positiven metastasierten Mammakarzinom bereits konsistente Daten, die allerdings bislang im klinischen Alltag kaum umgesetzt werden. So sei bekannt, dass im Metastasengewebe sehr viel häufiger als im Primärtumor ESR1-Mutationen vorliegen. Dies ist insbesondere bei Patientinnen der Fall, die adjuvant einen Aromatasehemmer erhalten haben. „Wir können davon ausgehen, dass die Aromatasehemmer-Therapie die Mutation herausselektiert“, so die Referentin. Metastasierte Patientinnen mit ESR1-Mutation sollten daher keinen Aromatasehemmer erhalten. Allerdings verliere die ESR1-Mutation an Bedeutung, da in der metastasierten Situation des HR+ Mammakarzinoms zunehmend CDK4/6-Hemmer eingesetzt werden.

Die Frage nach dem Biomarker

Mit Blick auf die molekulare Diagnostik sind nach Aussage von Prof. Harbeck beispielsweise die Daten zum AKT-Inhibitor Capivasertib (+ Fulvestrant) beim HR+ metastasierten Mammakarzinom kritisch zu bewerten. Die Detailanalyse zeige, dass der erzielte Überlebensvorteil auch bei Patientinnen ohne aktivierende Mutation im PI3K/AKT/PTEN-Signalweg vorliegt. Hier, so die Referentin, fehle der prädiktive Biomarker. Fraglich sei auch der Einfluss des HER2-Mutationsstatus. Zwar gebe es positive Studiendaten mit Neratinib in der metastasierten Situation – aber unabhängig davon, ob ein HER2-positives oder ein luminales Karzinom vorliegt.

„Auf dem Boden unserer Leitlinien therapieren“

Vor dem Hintergrund einer letztlich heterogenen Datenlage bzw. fehlenden Zulassungen hat die AGO Mamma neben der HER2-Amplifikation nur die gBRCA-Mutation als therapierelevanten genomischen Faktor definiert und empfiehlt beim HER2-negativen Mammakarzinom eine Testung mit Blick auf den Einsatz eines PARP-Inhibitors. Die PIK3CA-, ESR1- und HER2-Mutation erhielten eine Bewertung mit +/-. Hier sei unklar, ob die einzelne Patientin tatsächlich einen Vorteil von der Testung hat, betonte Prof. Har­beck. Für die PIK3CA-Mutation könnte sich das mit Zulassung von Alpelisib ändern. „Wir müssen unsere Patientinnen realistisch aufklären und auf dem Boden unserer Leitlinien therapieren“, betonte Prof. Harbeck. In Ausnahmesituationen, wenn für eine metastasierte Patientin keine lebensverlängernde Standardtherapie mehr zur Verfügung steht, könne eine molekulare Diagnostik im Rahmen eines strukturierten Programms sinnvoll sein. Die Daten müssten gesammelt und dokumentiert werden. Keinesfalls dürfe ohne entsprechende Evidenz eine molekulare Diagnostik als Therapiegrundlage dienen und der Patientin eine wirksame, evidenzbasierte Standardtherapie vorenthalten werden.

Quelle: 39. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie

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