Hürden überwinden auf dem Weg zur molekularbasierten Therapie

Mascha Pömmerl

Unter anderem wird eine intensivere internationale Zusammenarbeit gefordert, um die Therapie besonders für die Patient:innen zu verbessern. Unter anderem wird eine intensivere internationale Zusammenarbeit gefordert, um die Therapie besonders für die Patient:innen zu verbessern. © iStock/DrAfter123

Wann sollten metastasierte Mammakarzinome genomisch analysiert werden? Wie erfolgt die praktische Umsetzung im klinischen Alltag? Und welche therapeutischen Konsequenzen können auf Basis der molekularen Informationen überhaupt gezogen werden? Diese und weitere Fragen diskutierten Kolleg:innen beim ESMO Breast Cancer Congress 2022.

Die Diskussionsrunde eröffnete Dr. Philippe Aftimos vom Institut Jules Bordet in Brüssel mit einer Präsentation eines Falles aus seiner Klinik (s. Kasten). Gemäß der aktuellen Leitlinie der ESMO zur Therapie des metastasierten Mammakarzinoms sollte nach Versagen der endokrinen Kombinationstherapie mit einem CDK4/6-Inhibitor in der Erstlinie eine molekulare Tes­tung erfolgen. Diese erfolgt sowohl auf somatische Mutationen (anhand einer Gewebe- oder Blutprobe) als auch auf Keimbahnmutationen der Gene BRCA1 und 2 sowie PALB2.1 Klinisch relevant ist laut dem „ESMO Scale for Clinical Actionability of Molecular Targets“ (ESCAT-Level I) die Testung auf folgende somatische Alterationen:2

  • ERBB2(HER2)-Amplifikation
  • PIK3CA-Mutation
  • NTRK-Genfusionen

Auch auf potenzielle ESCAT-Level-II-­Alterationen kann geprüft werden:

  • PTEN-Verlust
  • ESR1-Mutation
  • AKT1-Mutation
  • ERBB2 (HER2)-Mutation 

Während HER2-Punktmutationen mit bis zu 2 % prinzipiell in Mammatumoren insgesamt selten vorkommen, treten sie beim lobulären Karzinom mit bis zu 26 % verhältnismäßig häufig auf, erklärte Dr. ­Aftimos. Vielversprechend sei dann etwa die Kombination Neratinib und Fulvestrant, wie kürzlich die MUtHer-Studie ergeben hat.3

Kasuistik

  • 52-jährige Frau mit großem (Durchmesser > 7 cm) invasivem lobulärem Karzinom 
  • Grad 1, HR- und PR+, HER2-, Ki67 < 10 %, keine Metastasen
  • neoadjuvante anthrazyklin- und taxanhaltige Chemotherapie, gefolgt von Mastektomie (ypT3N+)
  • adjuvante Strahlentherapie 
  • erweiterte adjuvante endo­krine Therapie über 10 Jahre mit ­Tamoxifen (Therapieumstellung auf Aromatase-Inhibitor wurde nicht toleriert)
  • 16 Jahre nach der primären Tumordiagnose Metastasen im Knochen und Ovar 
  • Therapie mit Letrozol + CDK4/6-Inhibitor
  • Progress nach 20 Monaten mit Reaktivierung der Knochenmetastasen und neuer Lebermetastase

Molekulare Testung bei der Therapiewahl essenziell

Bei der Patientin in seiner Kasuistik lag eine hohe Tumormutationslast (TMB) von 33 Mutationen/Mb und eine PIK3CA-Alteration vor. Eine hohe TMB tritt bei lobulären Karzinomen dreimal so häufig auf wie bei duktalen Mammakarzinomen und PIK3CA-Mutationen kommen am häufigsten bei HR+ Tumoren vor, erklärte der Referent. Mit Blick auf eine mögliche Therapie mit einem Checkpoint-Inhibitor aufgrund der hohen TMB verwies er auf eine retrospektive Analyse aus SOLAR-1 von mehr als 10.000 Patient:innen mit 31 verschiedenen Tumoren anhand von Daten aus dem Cancer Genome Atlas (TCGA). 

Diese hatte ergeben, dass eine TMB von ≥ 10 Mutationen/Mb zwar für einige, aber nicht für alle Tumor­entitäten als prädiktiver Marker für das Ansprechen auf CPI herangezogen werden kann. Bei Karzinomen ohne Korrelation zwischen CD8-T-Zell-Infiltrierung des Tumors und TMB – zu diesen gehört Brustkrebs – zeige sich kein verbessertes Ansprechen auf eine Immuntherapie.4 

In der anschließenden Diskussion betonte Dr. Mafalda­ Oliveira­, Hospital Universitario Valle de Hebrón, Barcelona, die bedeutende Rolle der molekularen Information, um Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom die richtige Therapie zukommen zu lassen. Auch wenn der Zugang heute noch stark variiere, gehe sie davon aus, dass sich eine umfassende molekulare Testung in der klinischen Praxis durchsetzen werde. 

Bereits jetzt sollte grundsätzlich mindestens auf BRCA-Keimbahnmutationen und PIK3CA-Mutationen getestet werden, sagte sie. An ihrer Klinik gibt es seit einigen Jahren ein umfassendes molekulares Screeningprogramm. In wöchentlichen Meetings werden die Fälle interdisziplinär besprochen. Beteiligt sei auch die Abteilung für Phase-1-Studien, um den Patient:innen Zugang zu den zu ihren Alterationen passenden Medikamenten zu ermöglichen.

Einer der Moderatoren, Dr. Kevin­ Punie­, UZ Leuven, fragte, wie man bei mehreren im Bericht zur molekularen Testung ausgewiesenen Alterationen die therapeutisch vielversprechendste auswählen könne.

Darauf erklärte Dr. ­Aftimos: „Es ist eine der Hauptaufgaben des molekularen Tumorboards, solche Prioritäten bei den Alterationen zu setzen“. Dafür gebe es drei Parameter:

  1. Die Varianten-Allel-Frequenz (VAF), die darüber Auskunft geben kann, ob eine Mutation klonal oder subklonal ist. Priorisiert werden erstere.
  2. Das ESCAT-Level, priorisiert werden Alterationen des höchsten ESCAT-Tiers.
  3. Verfügbarkeit der Medikamente.

Wie Dr. Oliveira­ ergänzte, kann es „extrem frustrierend sein, zwar die molekularen Ergebnisse, aber keine passenden Medikamente verfügbar und/oder keinen Studienzugang zu haben.“ Nicht nur der Zugang der Patient:innen zur molekularen Testung könne eingeschränkt sein, auch der des Zentrums zur zielgerichteten Therapie. Hier gebe es zwischen den europäischen Ländern große Unterschiede. 

Wie Prof. Dr. ­Caterina ­Marchiò, pathologisches Forschungsprogramm am Candiolo Cancer Institut, Candiolo, forderte, sollten Kolleginnen und Kollegen „keine Angst haben, Betroffene falls notwendig an andere Institute zu überweisen“, wenn auf diese Weise der Zugang zu molekularen Testungen oder zu Forschungsprogrammen und damit zu den passenden Medikamenten ermöglicht wird. Ihrer Meinung nach sollten die Berichte zur genomischen Testung auch eine Einschätzung zur klinischen Bedeutung und zur Actionability enthalten. Außerdem sprach sie sich für Register aus zur Erfassung des Outcomes aller molekularbasiert behandelten Patient:innen – und zwar auch außerhalb klinischer Studien. 

Alle Diskutant:innen waren sich einig, dass eine intensive Zusammenarbeit zwischen den europäischen Ländern anzustreben sei, die Hürden in der Praxis fielen allerdings hoch aus. „In Europa sollten wir in der Lage sein, das besser hinzubekommen,“ bekräftigte Dr. ­Aftimos. Er konkretisierte die Probleme mit einem Beispiel: Auch wenn eine belgische Patientin näher an einem französischen Studienzentrum wohne als an einem belgischen, könne sie nicht an einer französischen Studie teilnehmen, da die Einschlusskriterien der Studien eine Krankenversicherung in Frankreich vorschreiben. 

Der zweite Moderator Prof. Dr. Alexios­ Matikas­, Karolinska Institut und Karolinska Comprehensive Cancer Center, Stockholm, betonte: „Mit Zentralisierung schaffen wir Fortschritt. Nicht jede kleine Klinik in jedem kleinen Land hat Zugang zur nötigen Infrastruktur oder Expertise für die molekularbasierte Therapie.“ Die Expert:innen waren sich einig, dass für eine ausreichende Expertise Zentralisierung notwendig sei, bei der Durchführung der Tests aber auch Dezentralisierung zu Verbesserung führen könne, wenn also nicht alle Proben an ein einziges Labor, womöglich im Ausland, versendet werden müssen. Firmen, die Multigen-Panels entwickeln, gehen beide Wege: Manche erfordern den Versand in ein zentrales Labor, andere ermöglichen die Tests in mehreren Laboren oder die Durchführung in einer lokalen Pathologie mit NGS-Kits. 


Damit eine Testung mit kurzer Turn-Around-Zeit und nachhaltig durchgeführt werden kann, bedürfe es einer guten Organisation, sagte Prof. Marchiò. Es brauche dafür ...

  • eine gewisse Anzahl an Tumorproben, weder zu viele noch zu wenige, 
  • Proben in guter Qualität, aus der sich eine ausreichende Menge Tumor-DNA extrahieren lasse und 
  • geschulte Spezialist:innen für die Durchführung der Tests, für die Analyse sowie die Interpretation der Daten. 

Die Voraussetzungen seien komplex und manchmal einfacher für eine Firma zu leisten als für ein Institut. Prof. ­Marchiòs Fazit: Es könne dezentralisiert werden, aber nur bis zu einem gewissen Grad. 

Patient:innen richtig selektieren und frühzeitig testen

Auch die richtige Patientenselektion sei wichtig, so die Meinung der Expert:innen. Eine umfassende Paneltestung sollte keine Reflextestung sein, die alle Erkrankten ab einer gewissen Therapielinie erhalten. So sollten unfitte Menschen, die keine Standardtherapie mehr tolerieren können und nicht in eine klinische Studie mit einer zu einer Alteration passenden Substanz eingeschlossen werden können, und Personen, die ein Studienteilnahme grundsätzlich ablehnen, keine umfassende Sequenzierung erhalten. 

Dr. ­Aftimos: „Wir müssen die Erwartungen managen. Viele Menschen betrachten die molekular basierte Präzisionsonkologie als letzte Ressource, ja, als ein letztes Wunder, das wir nach vielen Therapielinien aus der Tasche ziehen.“ Aber wenn Betroffene nicht fit sind, kommen sie in keine Studie und die Tests sind sinnlos, weil sie keine therapeutische Konsequenz haben können. Die Anzahl der zugelassenen Substanzen, die ausschließlich aufgrund einer genomischen Konstellation bereits zugelassen und damit zugänglich sind, ist zudem sehr beschränkt. Man sollte also früher im Krankheitsverlauf testen, um den Erkrankten dann auch eine Therapie zukommen lassen zu können. Getestet werden sollte grundsätzlich möglichst an einer Probe aus einer Metastase.

1. Gennari A et al. Ann Oncol 2021; 32: 1475-95; DOI: 10.1016/j.annonc.2021.09.019
2. Mateo J et al. Ann Oncol 2018; 29: 1895-1902; DOI: 10.1093/annonc/mdy263
3. Ma CX et al. Clin Cancer Res 2022; 28: 1258-67; DOI: 10.1158/1078-0432.CCR-21-3418
4. McGrail DJ et al. Ann Oncol 2021; 35: 661-72; DOI: 10.1016/j.annonc.2021.02.006

Quelle: Aftimos P., Punie K., Oliveira M., Marchiò C., Matikas A. ESMO Breast Cancer Congress; „How to move genomic profiling to clinical practice by multidisciplinary collaboration?“

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Unter anderem wird eine intensivere internationale Zusammenarbeit gefordert, um die Therapie besonders für die Patient:innen zu verbessern. Unter anderem wird eine intensivere internationale Zusammenarbeit gefordert, um die Therapie besonders für die Patient:innen zu verbessern. © iStock/DrAfter123