Neue Entität des kolorektalen Karzinoms definiert: Stadium IV MRD

Birgit-Kristin Pohlmann

Im Vergleich zur Gewebebiopsie wäre die Liquid  Biopsy schneller und schonender. Im Vergleich zur Gewebebiopsie wäre die Liquid Biopsy schneller und schonender. © iStock.com/v_alex

Um Tumoren molekular zu charakterisieren, wird seit Längerem der Stellenwert der Liquid Biopsy diskutiert. Derzeit erfolgt die molekulare Charakterisierung anhand einer Gewebeentnahme. Mittels Blutanalyse soll dies vereinfacht und beschleunigt werden. Experten gehen zudem davon aus, dass sich per Liquid Biopsy auch die molekulare und klonale Heterogenität des Tumors besser abbilden lässt. All dies könnte wichtige therapeutische Konsequenzen haben.

Bedeutung hat die Liquid Biopsy nicht nur beim Screening, sondern auch im weiteren Therapie- und Krankheitsverlauf, um beispielsweise ein Rezidiv frühzeitig zu erkennen und die Behandlung darauf abzustimmen, erläuterte Professor Dr. Scott Kopetz, MD Anderson Cancer Center in Houston.

So zeigen Studiendaten beim kolorektalen Karzinom (CRC), dass operierte Patienten, die postoperativ keine zirkulierende Tumorzell-DNA (ctDNA-negativ) aufweisen, eine signifikant bessere Prognose haben. Prof. Kopetz verwies auf Daten, wonach nach drei Jahren noch über 80 % der ctDNA-negativen Patienten rezidivfrei waren, aber kein einziger der ctDNA-positiven Patienten (p < 0,001).

Klonale Heterogenität besser und zeitnah erfassen

In der bereits metastasierten Krankheitssituation sieht Prof. Kopetz die Möglichkeit, mittels Liquid Biopsy nicht nur den Tumor molekular zu charakterisieren, sondern auch das Therapieansprechen, mögliche Resistenzentwicklungen sowie die Heterogenität des Tumors besser zu klassifizieren. Ein wichtiger Punkt ist, dass nicht alle Tumoren gut zugänglich sind, um ausreichend Biopsiematerial zu erhalten. Blutanalysen sind dagegen immer möglich.

Zudem zeigen Untersuchungen, dass die Liquid Biopsy die molekulare und klonale Heterogenität des Tumors besser abbildet. Die Gewebeprobe umfasst dagegen immer nur ein bestimmtes Tumorareal, das nicht zwingenderweise ganz typisch für den Tumor sein muss.

Darüber hinaus lassen sich mittels Blutanalyse auch klonale Veränderungen im Therapieverlauf detektieren und therapeutisch nutzen. In vergleichenden Untersuchungen zeigt sich eine hohe Konkordanz der Ergebnisse, die mittels Liquid Biopsy bzw. Gewebeprobe gewonnen wurden, von über 90%, so Prof. Kopetz.

Schnell verfügbarer Surrogatmarker

Für den Einsatz der Liquid Biopsy spricht laut dem Experten auch, dass das Testergebnis schneller vorliegt. Bei vielen Patienten in der metastasierten Situation muss vor Therapiebeginn erst einmal eine Gewebeprobe angefordert oder genommen werden. Auch das weitere Prozedere ist bei der Gewebeprobe zeitlich aufwendiger als bei der Analyse einer Liquid Biopsy.

Einen wichtigen Vorteil der ­Liquid Biopsy sieht er auch darin, dass die ctDNA als schnell verfügbarer Surrogatmarker für ein Tumor-ansprechen genutzt werden kann. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der ctDNA im Blut von nur wenigen Stunden kommt es bei Patienten, die auf eine Behandlung gut ansprechen zu einem schnellen und deutlichen ctDNA-Abfall im Blut.

Proteinmarker haben dagegen eine deutlich längere Halbwertszeit. Patienten mit einem schnellen ctDNA-Abfall haben laut Studiendaten eine deutlich günstigere Prognose, betonte er.

Ganz offensichtlich korreliert ein schneller ctDNA-Abfall mit einem Tumoransprechen (nach RECIST) und im weiteren Verlauf mit einer deutlich längeren progressionsfreien und Gesamtüberlebenszeit. Aktuelle Daten aus der PLACOL-Studie zeigen, dass der Grenzwert für einen prognostisch günstigen Verlauf bei einem ctDNA-Abfall ≥ 80 % liegt. Diese Patienten blieben median 8,5 Monate ohne Progression versus 2,4 Monate bei einem ctDNA-Abfall unter 80 %, was sich in einem medianen Gesamtüberlebensvorteil von 27,1 Monaten versus 11,2 Monate niederschlug.

Im klinischen Alltag lassen sich die ctDNA-Daten, die auf ein frühes Ansprechen hinweisen, dafür nutzen, die Therapiestrategie individuell zu gestalten.

Therapieresistenzen frühzeitig erkennen

Eine wichtige Rolle könnte die Liquid Biopsy auch bei der frühzeitigen Detektion von Therapieresistenzen spielen, so die Ansicht von Prof. Kopetz. Beispielsweise lassen sich mittels Blutanalyse pro Patient gleich mehrere Resistenzen detektieren. Außerdem belegen Studiendaten, dass Resistenzen offensichtlich nicht zwingend zu einem bestimmten Zeitpunkt unweigerlich auftreten, sondern Ausdruck einer „Evolution“ des Tumors sind, die sich möglicherweise beeinflussen lässt. So wurden bei Patienten mit kolorektalem Karzinom resistente Zellklone unter der Behandlung mit einer anti-EGFR-gerichteten Substanz detektiert, die sich aber sukzessive zurückbildeten, nachdem die anti-EGFR-gerichtete Therapie beendet war.

In klinischen Studien wird dieses Phänomen weiter untersucht. Möglicherweise, so der Referent, profitieren Patienten nach einer gewissen Zeit von der erneuten Behandlung, auf die sie zwischenzeitlich resistent waren. Anhand der ctDNA-Auswertung nach Progression lasse sich auch zeigen, dass die resistenten Klone alternative Signalwege aktivieren, was die Resistenzentwicklung erklärt.

Vorschlag für neue Entität: Stadium IV MRD

In der adjuvanten Therapiesituation beim CRC sollten Patienten, die postoperativ ctDNA-positiv sind, neu definiert werden, betonte Prof. Kopetz: „Für diese Patienten sollten wir eine neue klinische Entität definieren, denn diese Patienten weisen eine minimale Rest-erkrankung auf (MRD: minimal residuel disease). Sie sind damit systemisch erkrankt, auch wenn dies klinisch noch nicht sichtbar ist.“ Der Experte empfiehlt, diese Patienten zukünftig als ‚Stadium IV minimal residual disease‘ zu klassifizieren.

Quelle: Kongressbericht, 19. World Congress on Gastrointestinal Cancer (WCGC)

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Im Vergleich zur Gewebebiopsie wäre die Liquid  Biopsy schneller und schonender. Im Vergleich zur Gewebebiopsie wäre die Liquid Biopsy schneller und schonender. © iStock.com/v_alex