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Nicht in die Nesseln setzen

Hinter der volkstümlich als Nesselsucht bezeichneten Urtikaria stecken primär die aktivierten Mastzellen, die für Quaddeln und/oder Angioödeme sorgen. Als chronisch gilt die Erkrankung, wenn sie länger als sechs Wochen anhält. Generell ist das Vorgehen bei diesen Patienten immer gleich: Anamnese, körperliche Untersuchung, Basistests (Diff. Blutbild, CRP/BSG sowie ggf, IgG-anti-TPO, Gesamt-IgE) sowie Urtikaria-Kontrolltest und evtl. weitere diagnostische Tests, wenn nötig.
Der Sieben-Punkte-Plan
- Differenzialdiagnosen ausschließen
- nach Indikatoren für Auslöser von CSUaiTI (Antikörper gegen Selbstantigene), CSUaiTIIb (Antikörper gegen Mastzellen) suchen
- mögliche zusätzliche Auslöser oder Trigger (z.B. NSAR) identifizieren
- auf Komorbiditäten wie CIndU, Autoimmunität, psychische Gesundheit prüfen
- mögliche Folgeprobleme u.a. mit Schlaf, Stress, sexueller Gesundheit, Arbeit, sozialem Verhalten ansprechen
- potenzielle Biomarker oder Prädiktoren für das Ansprechen auf die Behandlung bewerten
- Aktivität (UAS7, AAS), Auswirkungen (Lebensqualität) und Kontrolle der Krankheit beobachten
Anamnestisch sollte man Patienten mit Quaddeln (plus ggf. Angioödem) immer nach Fieber unbekannter Ursache, Krankheitsgefühl sowie Knochen- und Gelenkschmerzen fragen. Eine positive Antwort weckt den Verdacht auf eine autoinflammatorische Erkrankung hereditärer oder erworbener Natur, heißt es in der aktuellen Leitlinie von DDG und DGAKI (Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie).
Werden die genannten Symptome verneint, steht die Frage an, wie lange eine Quaddel persistiert. Bleibt sie länger als 24 Stunden bestehen, könnte es sich um eine Vaskulitis oder eine neutrophile Urtikariadermatose handeln, Klarheit verschafft eine Biopsie. Bei kürzerer Dauer ist entscheidend, ob der Patient die Reaktion triggern kann. Wenn ja, folgt ein entsprechender Provokationstest und gegebenenfalls die Diagnose einer chronischen induzierbaren Urtikaria (CindU). Wenn nein, handelt es sich nach Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen höchstwahrscheinlich um eine chronische spontane Urtikaria (CSU).
Varianten der chronisch induzierbaren Urtikaria
- Symptomatischer Dermographismus (früher Urticaria factitia)
- Kälteurtikaria
- Verzögerte Druckurtikaria
- Lichturtikaria (solare Urtikaria)
- Wärmeurtikaria
- Vibratorisches Angioödem
- Cholinergische Urtikaria
- Kontakturtikaria
- Aquagene Urtikaria
Bei Patienten, die nur ein Angioödem entwickeln, wird die aktuelle Medikation interessant. Als potenzielle Induktoren kommen vor allem ACE-Hemmer in Betracht. Wenn die Schwellungen nach deren Absetzen verschwinden, ist der Zusammenhang geklärt. Wenn sich keine auslösenden Pharmaka finden lassen, zu denen in seltenen Fällen auch AT1-Antagonisten, DPP4-Hemmer und Neprilysin-Inhibitoren zählen können, handelt es sich wahrscheinlich um ein hereditäres oder erworbenes Angioödem.
Für vollständige Kontrolle müssen oft Medikamente ran
Bei einer chronischen induzierbaren Urtikaria – wenn der spezifische Auslöser herausgefunden werden konnte – kann das Meiden des Triggers Quaddelbildung und Angioödeme reduzieren. Manchen hilft auch ein gezieltes Toleranztraining. Diese Maßnahmen genügen aber in der Regel nicht für eine vollständige Kontrolle der Erkrankung und können je nach Auslöser zudem mit einer erheblichen Belastung verbunden sein, heißt es in der Leitlinie.
Patienten mit einer chronischen spontanen Urtikaria sollten potenziell aggravierende Medikamente wie NSAR und Acetylsalicylsäure absetzen. Außerdem rät die Leitlinie zur Beseitigung von Helicobacter pylori bzw. Darmparasiten, falls vorhanden sowie dazu, vorliegende entzündliche Magen-Darm-Erkrankungen wie Gastritis, Refluxösophagitis und Cholezystitis zu behandeln. Eine intestinale Candidose spielt dagegen keine ursächliche Rolle.
Die Pharmakotherapie kann kontinuierlich oder je nach Bedarf erfolgen, bis sich die Urtikaria zurückbildet. Als Mittel der ersten Wahl werden H1-Antihistaminika der zweiten Generation empfohlen. Sie bieten gegenüber den Vertretern der ersten Generation den Vorteil, dass sie allenfalls minimal sedieren und keine anticholinergen Effekte auslösen.
Wenn Patienten mit chronischer Urtikaria auf ein Antihistaminikum in Standarddosis nicht ansprechen, wird zunächst eine Steigerung der zugeführten Menge bis zum Vierfachen empfohlen. Diese ist zwar off label, aber gut verträglich. Bisher wurden keine Nebenwirkungen berichtet, die sich auf die langfristige Einnahme bzw. Akkumulation zurückführen ließen. Eine weitere Dosiserhöhung sollte jedoch unterbleiben: Deren Wirksamkeit und Sicherheit hat man bisher nicht in Studien untersucht. Auch von der gleichzeitigen Einnahme verschiedener H1-Antihistaminika raten die Leitlinienautoren ab, da sich diese in ihren pharmakologischen Eigenschaften unterscheiden.
Wenn hoch dosierte Antihistaminika allein unzureichend wirken, sollten Patienten mit chronisch spontaner Urtikaria zusätzlich Omalizumab erhalten. Der Anti-IgE-Antikörper verhindert bei der chronischen spontanen Urtikaria die Entwicklung von Quaddeln und Angioödemen und steigert nachhaltig die Lebensqualität.
Auch für die induzierbare Form der Erkrankung einschließlich Kälte-, Licht- und Wärmeurtikaria wurde ein günstiger Effekt beschrieben. Die Anfangsdosis liegt bei 300 mg alle vier Wochen. Bei zu geringem Ansprechen lässt sich die Menge erhöhen und/oder das Applikationsintervall verkürzen (max. 600 mg alle zwei Wochen, off label).
Kontrolle ist besser
Zum Urtikariakontrolltest zur Beurteilung der Krankheitsaktivität »
Bei weniger als 12 Punkten gilt die Erkrankung als unkontrolliert, bei 12–15 Punkten als gut kontrolliert (Therapie fortführen, eventuell optimieren) und bei 16 Punkten als vollständig kontrolliert (ggf. Dosis verringern, Intervalle verlängern).
Zeigt auch diese Eskalation keine Wirkung, kommt der Einsatz von Ciclosporin (bis zu 5 mg/kgKG, off label) zusätzlich zum Antihistaminikum in Betracht. Das Immunsuppressivum hat auch einen direkten Effekt auf die Freisetzung von Mastzellmediatoren. Es weist jedoch ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil auf als der Antikörper, weshalb Letzterer bevorzugt werden sollte.
Der langfristige oder regelmäßige Einsatz systemischer Glukokortikoide ist heutzutage überholt. Die Anwendung eignet sich aber zur Kurzzeitbehandlung akuter Exazerbationen. In schweren Fällen, die auf keine Therapie ansprechen, wäre eine Plasmapherese denkbar. Allgemein gilt die Regel: Aufgrund des fluktuierenden Schweregrads der Urtikaria und jederzeit möglicher Spontanremissionen sollte man die fortbestehende Notwendigkeit einer Pharmakotherapie alle drei bis sechs Monate überprüfen.
Quelle: S3-Leitlinie „Klassifikation, Diagnostik und Therapie der Urtikaria“, AWMF-Register-Nr. 013-028
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