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Nicht mit der Gießkanne

Etwa bei jedem siebten Menschen ab 70 Jahren liegt eine subklinische Hypothyreose vor. Sie ist definiert als erhöhter TSH-Wert von ≥ 4,5 mIU/l bei normalem Thyroxin. Doch haben mehrere Studien gezeigt, dass der TSH-Wert mit dem Alter ohnehin tendenziell ansteigt, während der Thyroxinspiegel unverändert bleibt – ohne dass Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion auftreten. Daher sei genau zu überlegen, wann und mit welcher Begründung eine latente Schilddrüsenunterfunktion nach aktueller Definition behandelt werden sollte, so Prof. Dr. Bernadette Biondi, Universitätsmedizin Neapel, und Prof. Dr. Anne Cappola von der University of Pennsylvania in Philadelphia.
Substitution ändert nichts an Symptomen
Die Progressionsrate stellt keine generelle Indikation für eine Therapie aller Betroffenen dar, berichten die Autorinnen. Schließlich gehen jährlich weniger als 5 % aller latenten Hypothyreosen in eine manifeste Form über. Vielmehr sollte erst ab einem TSH-Wert von ≥ 10 mIU/l gezielt eine Therapie mit Levothyroxin erfolgen. Es habe sich nämlich gezeigt, so die Autorinnen, dass zwei Drittel in dieser Patientengruppe binnen drei Jahren eine manifeste Unterfunktion entwickeln.
Darüber hinaus könnten die Linderung etwaiger Symptome und eine potenzielle Senkung der Mortalität für eine Behandlung der latenten Hypothyreose sprechen. Ob diese Hoffnungen berechtigt sind, überprüften die Autorinnen anhand von 14 Metaanalysen, 37 Kohorten- und drei kontrollierten Studien.
Wie die TRUST*-Studie zeigen konnte, hat jedoch die überwiegende Mehrheit gar keine oder nur milde Symptome. Der TSH-Wert betrug zu Beginn median 5,8 mIU/l, bei 75 % der Teilnehmer lag er unter 7 mIU/l. Eine Therapie mit Levothyroxin (median 50 µg) über ein Jahr senkte den TSH-Wert zwar um rund 2 mIU/l im Vergleich zu Placebo, doch war damit weder eine Veränderung der Symptome inklusive Müdigkeit noch der Lebensqualität verbunden. Auch in einer Subgruppenanalyse der Teilnehmer, die anfänglich einen hohen Symptomscore gehabt hatten, änderte sich durch die Levothyroxingabe daran nichts. Weitere Beobachtungsstudien und Analysen kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Auch besteht zahlreichen Untersuchungen zufolge offenbar keinerlei Assoziation zwischen einer subklinischen Hypothyreose und typischen Alterserscheinungen wie z.B. kognitive Einbußen, (Alzheimer-)Demenz, depressive Symptome, Abnahme der Leistungsfähigkeit, Gebrechlichkeit, verminderte Knochendichte oder Risiko für Frakturen.
Viel zu viele Verordnungen
Dagegen deutet eine Reihe von Studienergebnissen auf einen Zusammenhang zwischen einer latenten Hypothyreose mit TSH-Werten > 7 mIU/l und einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität hin. Dies gilt insbesondere für Herzinsuffizienz, aber auch für koronare Herzerkrankung und Schlaganfall. Allerdings lassen die verfügbaren Daten, wenngleich teils aus methodisch fragwürdigen Untersuchungen, keinen positiven Einfluss der Levothyroxin-Therapie erkennen. Eine Assoziation zwischen TSH-Werten und nachlassender Nierenfunktion scheint nicht zu bestehen. Im Hinblick auf die Gesamtmortalität ist die Datenlage uneinheitlich.
Gemäß Daten aus den USA und Großbritannien benötigen 13–28 % der älteren Patienten, die eine Levothyroxin-Therapie erhalten, diese eigentlich gar nicht. Insbesondere ältere und gebrechliche Patienten laufen Gefahr, eine (zu hoch dosierte) Verordnung zu erhalten, da ihre TSH-Werte oftmals aufgrund von geringem Körpergewicht sehr niedrig sind. Somit besteht das Risiko einer iatrogenen Hyperthyreose, die wiederum mit erhöhten Risiken für Vorhofflimmern, kardiovaskuläre Mortalität und Frakturen einhergeht.
Aus den aktuellen Daten leiten die Autorinnen folgende Empfehlungen für Patienten ab 65 Jahren ab:
- TSH-Wert 4,5–6,9 mIU/l: keine Behandlung mit Levothyroxin; Patienten ≤ 85 Jahre sollten bei Nachweis von TPO**-Antikörpern beobachtet werden.
- TSH-Wert 7,0–9,9 mIU/l: Behandlung von Patienten ≤ 85 Jahre abwägen (mögliche Verschlechterung einer Herzinsuffizienz und KHK-Mortalität); Patienten > 85 Jahre sollten gemäß Wait-and-See-Strategie beobachtet werden (Behandlung bei stark steigenden TSH-Werten)
- TSH-Wert: 10,0–19,9 mIU/l: Behandlung mit Levothyroxin empfohlen
* Thyroid Hormone Replacement for Untreated Older Adults with Subclinical Hypothyroidism Trial
** Thyreoperoxidase
Quelle: Biondi B, Cappola AR. Lancet Diabetes Endocrinol 2022; 10: 129-141; DOI: 10.1016/S2213-8587(21)00285-0
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