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Hypothyreose und Mikrokarzinome der Schilddrüse – wann muss behandelt werden?
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Die Botschaft klang beruhigend: „Sie machen definitiv nichts verkehrt, wenn Sie bei einer subklinischen Hypothyreose bis zu einem TSH-Wert von 10 mU/l nicht sofort eine Behandlung einleiten“, versichert Prof. Dr. Matthias Weber, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten an der Universitätsklinik Mainz. Bis zu diesem Cut-off-Wert bestehe kein Grund, nervös zu werden, solange sich die freien Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (fT3) und Thyroxin (fT4) im Normbereich bewegen. Manche Experten halten es sogar für vertretbar, noch länger zuzuwarten, aber die meisten Leitlinien – wie etwa die des britischen Instituts NICE1 – geben die Zehnermarke als Cut-off an.
Der Cut-off-Wert gilt auch bei Adipositas
Der TSH-Grenzwert von 10 mU/l gilt auch für adipöse Menschen, betont Professor Weber. Die Gabe von Schilddrüsenhormon mit dem Ziel, eine Gewichtsreduktion zu erreichen, sei nicht angezeigt.2 Zum Abnehmen ist auch in dieser Situation die Lebensstilintervention die geeignete Maßnahme. Ganz wichtig: Die TSH-Werte müssen wiederholt kontrolliert werden. In rund 50 % der Fälle normalisieren sich erhöhte Werte ganz von selbst. Erst bei wiederholt nachweisbarem TSH-Anstieg ist eine Substitution zu erwägen. Großzügiger werde man die Indikation bei jüngeren Menschen und speziell bei Schwangeren3 stellen, sehr zurückhaltend sollte man dagegen mit der Substitution im Alter sein.
Bei der manifesten Hypothyreose mit deutlich erhöhtem TSH und erniedrigten fT3/fT4-Werten bleibt die Behandlung mit Levothyroxin (LT4) Standard. Für das Erreichen einer Euthyreose ist in der Regel eine Dosis von täglich 1,6–1,8 μg/kg ausreichend, mit der man bei jüngeren Menschen ohne kardiovaskuläre Risiken gleich starten kann. Bei älteren Patienten bzw. Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen ist dagegen vorsichtiges Einschleichen angesagt. Zu beachten sind zahlreiche Interaktionen u.a. mit Protonenpumpenhemmern, Kalzium und Eisen.4 Auch ein krankheitsbedingt veränderter pH-Wert im Magen kann die Resorption beeinträchtigen.
Levothyroxin vor dem Zubettgehen
Herkömmlich wird die Einnahme von Levothyroxin mit einem Glas Wasser morgens auf nüchternen Magen 30–60 Minuten vor dem Frühstück empfohlen. Eine 2020 publizierte Metaanalyse von zehn prospektiven Studien an insgesamt knapp 700 Patienten hat nun aber gezeigt, dass die Einnahme spätabends vor dem Zubettgehen ebenfalls gut funktioniert.5 Vorausgesetzt, die „bedtime“-Einnahme erfolgt wirklich zeitnah vor dem Schlafengehen und nicht etwa nach einem üppigen Abendmahl. Von der neuen Wahlmöglichkeit erhofft man sich einen günstigen Effekt auf die Adhärenz.
In den allermeisten Fällen ist durch eine Substitutionstherapie mit Levothyroxin eine langfristig stabile euthyreote Stoffwechsellage ohne subjektive Beschwerden zu erreichen. Allerdings geben einige Patienten an, trotz dieser Behandlung in ihrer Lebensqualität und Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt zu sein. Vor diesem Hintergrund wird seit Jahren über die Option einer Kombinationstherapie mit LT4/LT3 (Liothyronin) diskutiert. Hinzu kommt, dass manche Patienten den Wunsch äußern, lieber mit einem „natürlichen“ Schilddrüsenextrakt behandelt zu werden. Letzteres wird jedoch von Experten ausdrücklich abgelehnt.
Die kombinierte LT4/LT3-Substitution wird aktuell ebenfalls nicht empfohlen, da ein Vorteil durch klinische Studien nicht dokumentiert ist, so Prof. Weber. Allerdings sei auch in verblindeten Studien eine gewisse Patientenpräferenz zugunsten der Kombinationstherapie festzustellen. Ungeklärt sind mögliche negative Langzeitfolgen der kombinierten Substitution. Allenfalls bei Patienten mit trotz LT4-Substitution persistierenden Symptomen ist laut internationalen Leitlinien ein individueller Therapieversuch mit einer LT4/LT3-Kombination zu erwägen, wobei ein Mischungsverhältnis von 1:13 bis 1:15 anzustreben ist. Fertigpräparate, mit denen sich eine physiologische Substitution im genannten Verhältnis durchführen ließe, gibt es derzeit nicht.
Schilddrüsenkarzinome: nicht immer das ganze Programm
Epidemiologische Untersuchungen zeigen einen Anstieg von Schilddrüsenkarzinomen, wobei maligne Veränderungen der Schilddrüse aber unterm Strich nach wie vor selten sind. Eine Rolle scheinen Adipositas und metabolisches Syndrom zu spielen, die mit einem vermehrten Auftreten von Schilddrüsenknoten und – insbesondere fortgeschrittenen – Schilddrüsenkarzinomen assoziiert sind. In einer aktuellen australischen Studie fand sich bei Adipösen ein um mehr als 70 % erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkarzinome (Odds Ratio 1,72).6 Speziell schlug dabei das erhöhte Risiko für BRAF-V600E-mutierte papilläre Schilddrüsenkarzinome (OR 1,71) zu Buche, die relativ aggressiv verlaufen.
Überdiagnostik in punkto Schilddrüsenkrebs
Andererseits dürfte der weltweit beobachtete Anstieg von Karzinomen maßgeblich damit zusammenhängen, dass im Rahmen von Routineuntersuchungen der Schilddrüse per Ultraschall vermehrt sogenannte Mikrokarzinome mit einem Durchmesser von weniger als 1 cm entdeckt werden. Häufig werden betroffene Patienten einer weiterführenden Diagnostik ausgesetzt und schließlich operiert, obwohl papilläre Mikrokarzinome in aller Regel klinisch indolent verlaufen. In einer 2020 veröffentlichten Studie wurde auf der Basis von Krebsregisterdaten weltweit das Ausmaß an Überdiagnostik in puncto Schilddrüsenkrebs abgeschätzt.7 Deutschland lag mit einer Überdiagnostik von 72 % bei Frauen und 60 % bei Männern im internationalen Vergleich ziemlich weit vorne.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach einem geeigneten kalkulierten Vorgehen. Das Ziel muss sein, diagnostische Untersuchungen und Therapien zu verhindern, die keinerlei Vorteil bringen, sondern die Patienten psychologisch stark belasten und sie unnötigen Risiken aussetzen. Ein routinemäßiges Ultraschallscreening der Schilddrüse wird bei asymptomatischen Patienten nicht für sinnvoll erachtet, was selbst für Hochrisikopersonen gilt.8 Nur wenn bei der Palpation der Schilddrüse Knoten tastbar sind, ist eine Ultraschalluntersuchung angezeigt.
Ein erfahrener Diagnostiker kann mittels Sonographie das Malignitätsrisiko von Schilddrüsenknoten sehr gut abschätzen. Ausgeprägte Echoarmut, eine nicht ovaläre Form des Knotens (taller than wide), Mikrokalzifikation, unscharfe mikrolobulierte oder spikulierte Randbegrenzung und extrathyreoidales Wachstum zählen zu den sonographischen Risikokriterien, die eine evidenzbasierte Indikationsstellung für eine Feinnadelbiopsie erlauben.
Quellen:
1. Vasileiou et al. BMJ 2020: 368: m41; DOI: 10.1136/bmj.m41
2. Pasquali et al. Eu J Endocrinol 2020, 182: G1–G32; DOI: 10.1530/EJE-19-0893
3. Sun X et al. J Clin Endocrinol Metab 2020, 105: 1–11
4. Virili et al. Endocr Rev 2019, 40: 118–136; DOI: 10.1210/er.2018-00168
5. Pang et al. Clin Endocrinol 2020, 92: 475–481; DOI: 10.1111/cen.14172
6. Rahman ST et al. Thyroid 2020, 30: 1518–1527; DOI: 10.1089/thy.2019.0654
7. Mengmeng L et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2020, 8: 468–470; DOI: 10.1016/S2213-8587(20)30115-7
8. Lamartina L et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2020, 8: 81–88; DOI: 10.1016/S2213-8587(19)30324-9
9. Wirth et al. N Engl J Med 2020, 383: 825–835; DOI: 10.1056/NEJMoa2005651
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