Hypothyreose: Wann braucht die Schilddrüse zusätzliches Thyroxin?

Dr. Elke Ruchalla

Die Schilddrüse sezerniert Thyroxin und Trijodthyronin vom Epithel in die Speicherkammern (violett). Die Schilddrüse sezerniert Thyroxin und Trijodthyronin vom Epithel in die Speicherkammern (violett). © Science Photo Library/Gschmeissner, Steve

Die Schilddrüse steht bei Patienten hoch im Kurs: Fühlen sie sich schlapp oder „unlustig“, verlangen sie von ihrem Hausarzt schon mal gerne, die entsprechenden Werte zu überprüfen. Nicht jeder, bei dem die Thyreoidea zu schwächeln scheint, braucht aber tatsächlich Tabletten.

Gewichtszunahme, Tagesschläfrigkeit, trockene Haut, Haarausfall, Atemnot oder eine veränderte Stimmlage: Die Beschwerden, die eine Hypothyreose verursachen kann, sind vielgestaltig. Möglicherweise fällt schon beim Begrüßen des Patienten dessen aufgequollenes Gesicht auf, bei eingehender Untersuchung periphere Ödeme, vergrößerte Zunge und eventuell eine tastbare Struma. Oder aber es finden sich nur verhaltene oder überhaupt keine derartigen Zeichen. Möglicherweise zeigen sich Bradykardie und Hypertonie, in schweren Fällen kann es zu Pleura- oder Perikardergüssen kommen.

Oftmals entwickeln sich die Symptome schleichend über Wochen und Monate hinweg, sodass die Veränderungen auch für den Kranken selbst eher unauffällig bleiben. Das diffuse Bild erschwert die Diagnose ungemein, erklären Dr. ­Samantha ­Siskind von der Boston University School of Medicine und ihre Kolleginnen. Das eine und stets zuverlässige Symptom gibt es nicht, und gerade bei unspezifischen, objektiv minderschweren Krankheitszeichen gilt es, zahlreiche Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen. Die Leitlinien der Fachgesellschaften halten sich bedeckt, raten aber unisono von einem routinemäßigen und allgemeinen Screening ab.

Unterfunktion gefährdet das Herz-Kreislauf-System

Die Möglichkeit der Schilddrüsenunterfunktion sollte man aber stets im Hinterkopf haben, wenn der Kranke in einem Jodmangelgebiet lebt, weiblichen Geschlechts und über 65 Jahre alt ist oder wenn sich in der Familienanamnese Auto­immunerkrankungen oder Schilddrüsenstörungen finden. Unbehandelt kann eine Hypothyreose zum manifesten Schilddrüsenhormonmangel fortschreiten und dem Herzen zusetzen, den Blutdruck hochschießen lassen und – obwohl es heutzutage selten so weit kommt – im Myxödemkoma enden. Für bestimmte Risikopersonen muss man eventuell niedrigere Referenzbereiche gelten lassen (­siehe ­Kasten), betonen die Expertinnen.

Diese Patienten brauchen besondere Aufmerksamkeit

Frauen mit unklarer Infertilität, (geplanter) Schwangerschaft oder im Wochenbett: Eine latente Hypothyreose kann eine Schwangerschaft verhindern, eine unentdeckte Drüsenunterfunktion der werdenden Mutter bringt für das Kind mitunter schwerste neurologische Beeinträchtigungen mit sich. Eine Postpartum-Thyreoiditis im Wochenbett beginnt mit einer Überfunktion, gefolgt von einer hypothyreoiden Phase.
Typ-1-Diabetiker: Etwa jeder zehnte von ihnen erleidet eine chronische Thyreoiditis mit möglicher Hypothyreose. Bei entsprechender Symptomatik ist die TSH-Bestimmung mit jährlichen Kontrollen angesagt.
Patienten mit neu aufgetretener Hyperlipidämie: Einer Fettstoffwechselstörung vor allem bei Jüngeren (20–39 Jahre) kann eine Hypothyreose zugrunde liegen: TSH überprüfen, ebenso bei akuter, ausgeprägter Verschlechterung.
Übergewichtige Personen: Eine schlappe Schilddrüse kann die Gewichtszunahme fördern. Einige Fachgesellschaften raten daher bei allen Dicken zum Funktionscheck des Organs.
Bei Depression oder Demenz: Eine Hypothyreose kann die Symptome verstärken oder auslösen. Entsprechende Diagnostik erwägen.
Patienten mit Trisomie 21: Bis zu ein Drittel dieser Kranken entwickelt Schilddrüsen-Autoantikörper. Ab dem Erwachsenenalter: jährliche TSH-Kontrollen.
Medikation mit Lithium, Amiodaron, Tyrosin- und Multikinase-Inhibitoren sowie Checkpoint-Hemmern: Die Schilddrüsenfunktion zunächst alle vier bis sechs Wochen über sechs Monate nach Therapiebeginn kontrollieren, danach alle drei Monate (Kinase- und Checkpoint-Hemmer) bzw. alle sechs bis zwölf Monate (andere Arzneimittel).

Erhärtet sich die Verdachtsdiagnose Hypothyreose, erfolgt die Bestimmung der TSH*-Konzentration im Serum. Bei der Unterfunktion der Drüse ist dieser Wert erhöht, wobei bislang keine allgemein anerkannte Schwelle existiert, ab der ein TSH-Spiegel als „zu hoch“ gilt. Zudem unterliegt das Hormon physiologischen Schwankungen und erhöhte Werte können sich zurückbilden, mitunter auch nach längerer Zeit. Zudem steigen die TSH-Spiegel mit dem Alter an. Es wird daher diskutiert, ob für ältere Personen generell andere Referenzbereiche gelten sollten als für jüngere Menschen. Erscheint die TSH-Konzentration als zu hoch, lässt man als Nächstes das freie Thyroxin (fT4) messen. Ist dessen Serumspiegel vermindert, besteht eine manifeste klinische Schilddrüsenunterfunktion. Bei latenter Erkrankung hingegen fällt der fT4-Wert normal aus: In dieser Situation reicht die Stimulation der Schilddrüse durch das erhöhte TSH noch aus, um genügend Hormon zu produzieren. Bei subklinischer Hypothyreose sollte man die Labor­untersuchung nach drei Monaten wiederholen und eventuell auch Thyreoperoxidase-Antikörper bestimmen.

Bei subklinischer Hypothyreose regelmäßig kontrollieren

Patienten mit manifester Drüsenunterfunktion erhalten Levothyroxin in Tablettenform. Unter der Therapie sollte der TSH-Spiegel nach vier bis sechs Wochen überprüft und die Dosis bei Bedarf um 12–25 μg/d erhöht werden, bis der TSH-Wert im Referenzbereich liegt. Personen mit subklinischer Hypothyreose benötigen nicht unbedingt Tabletten, bedürfen aber der regelmäßigen Kontrolle. 

* thyreoideastimulierendes Hormon

Quelle: Siskind SM et al. BMJ 2021; 373: n993; DOI: 10.1136/bmj.n993

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Die Schilddrüse sezerniert Thyroxin und Trijodthyronin vom Epithel in die Speicherkammern (violett). Die Schilddrüse sezerniert Thyroxin und Trijodthyronin vom Epithel in die Speicherkammern (violett). © Science Photo Library/Gschmeissner, Steve