Originelle Wege im Kampf gegen Adipositas

Dr. Sascha Bock

© fotolia/Gina Sanders

Bis zum Jahr 2030 wird jede sechste Person an Dia­betes erkrankt sein, schätzt die WHO. Um diese bevorstehende Pandemie zu verhindern, setzen Forscher beim Übergewicht an. Im Fokus stehen verknüpfte Moleküle, die gleich mehrere Rezeptoren aktivieren können. Sieht so die Adipositastherapie der Zukunft aus?

Es ist kein Zufall, dass die Prävalenz des Diabetes Hand in Hand geht mit einer Gewichtszunahme, erklärte Dr. Timo Müller vom Institut für Diabetes und Adipositas am Helmholtz Zentrum München. Im Fettgewebe entsteht irgendwann eine Art Leck: Fettsäuren gelangen in die Zirkulation und verirren sich z.B. in Leber- oder Muskelgewebe, wo sie in großen Mengen eigentlich nichts zu suchen haben. Das führt zu einer Entzündungsreaktion und diese Inflammation bahnt den Weg zum metabolischen Syndrom.

Eine Lebensstiländerung behebt dieses Problem meist nicht. Selbst wenn Patienten eine Diät mit Medikamenten wie Orlistat kombinieren, liegt der Gewichtsverlust über die Jahre nur bei ca. 6 %. Bariatrische Eingriffe hingegen reduzieren das Gewicht langfristig um ungefähr 30 %. "Wir brauchen unbedingt Pharmakotherapien, die in ihrer Effizienz irgendwo in der Nähe der Chirurgie liegen", meinte der Experte.

Im Fokus der Forschung steht die Glukagon-Familie

Dieses Ziel sollen neue Wirkstoffe erreichen, die mehrere stoffwechselwirksame Hormone in einem einzigen Molekül vereinen. Dabei werden z.B. Peptide nicht einfach "zusammengeklebt", sondern deren Struktur so weit verändert, dass das kombinierte Molekül nicht größer ist als seine Ausgangsstoffe. Dr. Müller und sein Team jonglieren derzeit vor allem mit Mitgliedern der Glukagonfamilie. Die Forscher hoffen, dass diese polypharmakologischen Ansätze bald in eine klinisch durchführbare Therapie umgesetzt werden:

  • GLP-1/Glukagon-Co-Agonist. GLP-1 (Glucagon-like Peptide) stimuliert die Insulinsekretion im Pankreas und inhibiert die Nahrungsaufnahme, indem es das Sättigungsgefühl fördert. Glukagon seinerseits regt nicht nur die Glukosebildung an, es aktiviert beispielsweise auch Thermogenese und Lipolyse.

    Adipöse Mäuse verloren unter der Behandlung mit dem Co-Agonisten binnen eines Monats ein Viertel ihres Gewichtes. Die Tiere verbrannten nachweislich mehr Energie, das Gesamtcholesterin im Plasma sank. Sogar eine Leberverfettung wurde durch die Therapie aufgehoben.

    Die potenziell negativen Effekte des Glukagons auf den Zuckerstoffwechsel bereiten Dr. Müller keine Sorge. Im Gegenteil: Ein gewisser Grad an Glukagon-Rezeptoraktivität sei offenbar alles andere als schädlich: Die behandelten Mäuse zeigten eine massiv verbesserte Glukosetoleranz.

  • GLP-1/GIP-Co-Agonist. Das Hybrid setzt sich aus den beiden Inkretinhormonen Glukoseabhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) und GLP-1 zusammen. GIP wirkt hauptsächlich im Pankreas: Dort hemmt es die Insulinbiosynthese und -sekretion und verhindert die Apoptose der Beta-Zellen. Im Fettgewebe sorgt es für eine erhöhte Lipogenese.

    Im Experiment mit Mäusen ver­glichen Forscher das Molekül mit dem GLP-1 Mimetikum Liraglutid. Der neue Co-Agonist vermochte es, das Gewicht deutlich stärker zu reduzieren, die Glukosetoleranz besserte sich ebenfalls. Erste klinische Daten aus humanen Phase-II-Studien bestätigen diese Ergebnisse: Nach vierwöchiger Behandlung sank das HbA1c von Diabetes-Patienten um ca. 1 %.

  • GLP-1/GIP/Glukagon-Tri-Agonist. Dieses Kombinationsmolekül aktiviert gleich drei Rezeptoren auf einmal. Eine In- vitro-Studie ergab, dass das Präparat im Verhältnis zu den natürlich vorkommenden einzelnen Hormonen an jedem der drei Rezeptoren zehnfach potenter wirkt.

    Im Mausmodell gelang mit einer sehr geringen Dosis innerhalb von 20 Tagen ein ca. 25%iger Gewichtsverlust. "Bei der gleichen Dosis Liraglutid würde rein gar nichts passieren", so der Experte. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Tiere ausschließlich Fett verlieren – und nicht etwa Muskelmasse, wie bei einer solchen Reduktion zu befürchten wäre. Das liegt laut Dr. Müller am höheren Energieumsatz durch die Glukagon-Rezeptoraktivität.

  • GLP-1/Östrogen-Hybrid. In dieser Verknüpfung sieht der Referent einen "revolutionären Ansatz". Das Steroid ist kovalent an das Peptidhormon gebunden und entfaltet seine Wirkung nur in Zellen, die auch den GLP-1-Rezeptor exprimieren, sprich vor allem im Pankreas und im Gehirn. Mögliche negative systemische Effekte sollen dadurch vermieden werden. Neben einer Gewichtsreduktion führte das Molekül bei Mäusen zu einem verbesserten Glukosestoffwechsel – als Folge der gesteigerten Insulinsensitivität. "Das ist ein reiner Östrogeneffekt", erklärte Dr. Müller.

  • Gluka­gon­/­T3-Hybrid. Die Funktion beruht auf dem gleichen Prinzip wie die Östrogen/GLP-1-Verknüpfung, nur diesmal ist Trijodthyronin (T3) kovalent an Glukagon gebunden. Die Therapie verur­sacht lediglich einen moderaten Gewichtsverlust, dafür aber eine starke Verbesserung der Glukosetoleranz und des Lipidstoffwechsels. Zu unerwünschten T3-Effekten wie einer Herzhypertrophie oder Plaqueablagerungen kommt es nicht, weil der Glukagon-Rezeptor nicht im Herz vorhanden ist. Ein weiterer Vorteil dieser Konstellation: Das Molekül kann auch die Leberverfettung revidieren.



Quelle: 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin


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