Parasomnien als Warnzeichen ernst nehmen

Manuela Arand

Parasomnien können Frühwarnzeichen für Demenzen, Parkinson oder autoimmune Hirnerkrankungen sein. (Agenturfoto) Parasomnien können Frühwarnzeichen für Demenzen, Parkinson oder autoimmune Hirnerkrankungen sein. (Agenturfoto) © RioPatuca Images – stock.adobe.com

Schlafprobleme können Frühzeichen neurodegenerativer Erkrankungen sein. So gilt etwa die REM-Schlaf-Verhaltensstörung als Prodrom der Synucleino­pathien. Bevor man jedoch mit dem Betroffenen über die potenzielle Gefahr spricht, sollte man sich seiner Diagnose sehr sicher sein.

Schlaf- und Wachzustand werden vom Gehirn reguliert. Das aszendierende retikuläre System, zu dem Kerne im Hirnstamm und Mittelhirn gehören, aktiviert den Kortex, es macht und hält wach. Gegenspieler ist das inhibierende deszendierende System, es initiiert Schlaf und unterhält ihn. Beide Systeme greifen ineinander und regulieren sich gegenseitig.

Das Ganze funktioniert wie eine Art neuronaler Kippschalter, der vom Hypothalamus über das Orexin-System gesteuert wird. Das Bild vom „Kippschalter“ ist vor allem deshalb stimmig, weil der Mensch die meiste Zeit entweder wach ist oder schläft – Zwischenstadien kommen selten vor und sind dann oft als pathologisch zu werten.

Stichwort Parasomnie

Parasomnien sind definiert als anormale Verhaltensweisen, Empfindungen und/oder autonome Reaktionen während des Schlafs. Es handelt sich um neurologische Störungen, hervorgerufen durch zerebrale Dysfunktionen. Je nachdem, in welchen Schlafstadien sie auftreten, unterscheidet man REM- und Non-REM-Parasomnien sowie stadienunabhängige und Overlap-Parasomnien. Zu den Non-REM- oder Tiefschlafparasomnien zählt zum Beispiel Schlafwandeln.

Über Hirnstamm und Mittelhirn in den Kortex

Ein ähnliches Kippschaltersystem im Hirnstamm sorgt dafür, dass der Muskeltonus während des traumreichen REM-Schlafs ausgeschaltet bleibt. Funktionsstörungen in den Kippschaltern, etwa durch Läsionen der beteiligten Hirnkerne, führen zu Parasomnien, erklärte die Neurologin Dr. Stine Knudsen-Heier von der Abteilung Seltene Krankheiten der Ullevål-Universitätsklinik in Oslo. Sowohl Schlafen als auch Wachsein sind aktive Hirnprozesse, die im Rahmen von neurodegenerativen Erkrankungen gestört werden können. Diese beginnen häufig im Hirnstamm und breiten sich dann über das Mittelhirn Richtung Kortex aus – mitten durch das System, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Parasomnien können deshalb Frühwarnzeichen für diese Krankheiten sein. Praktisch alle neurodegenerativen Erkrankungen manifestieren sich auch in der Nacht, häufig lange bevor sich tagsüber Symptome bemerkbar machen, betonte die Kollegin. Gestörte zirkadiane Rhythmen mit nächtlicher Insomnie und exzessiver Schläfrigkeit am Tag seien zum Beispiel bei Demenzen häufig. Gleiches gelte für Parasomnien wie Schlafwandeln, REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD) und nächtliche Halluzinationen. Schreitet die Neurodegeneration fort, gehen mehr und mehr Hirnkerne auch im Schlaf-Wach-System zugrunde, die nächtlichen Symptome nehmen zu. Das Schlaf-EEG zeigt, z.B. im Endstadium des M. Parkinson, oft eine komplette Disintegration, sodass sich nicht mehr sagen lässt, um welche Schlafstadien es sich handelt.

Reduzierter Dopamintransport im SPECT

Die REM-Schlaf-Verhaltensstörung wird als Frühzeichen von Synucleino­pathien wie Parkinson, Multisystematrophie und Lewy-Body-Demenz angesehen. Nach zehn Jahren beträgt die Konversionsrate 75 %, nach 14 Jahren 90 %. Zugrunde liegt wahrscheinlich eine durch Synuclein induzierte Zerstörung des für „REM-on“ zuständigen supralateralen dorsalen Nucleus. Im SPECT, d.h. in der Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie, ließ sich ein reduzierter Dopamintransport im Striatum nachweisen, wie man ihn auch beim Parkinson sieht. „Die RBD ist keine unschuldige Schlafstörung“, betonte Dr. Knudsen-Heier. Auch wenn die Patienten tagsüber (noch) keine motorischen oder kognitiven Symptome aufweisen, finden sich doch oft Auffälligkeiten wie Hyposmie, Depression oder Obstipation und typische Bildgebungsbefunde. Die RBD erlaubt nicht nur die Prädiktion einer Parkinsonerkrankung, sondern auch die Subklassifikation von Demenzen. Patienten mit RBD und milder kognitiver Einschränkung werden wahrscheinlich eine Synuclein-Demenz entwickeln, aber keine Alzheimer- oder frontotemporale Demenz. Auch als sekundäres Phänomen nach der Manifestation von Parkinson & Co. kann die REM-Schlaf-Verhaltensstörung auftreten, genauso wie bei autoimmunen Hirnerkrankungen wie Narkolepsie, Autoimmunenzephalitis oder paraneoplastischen Hirnerkrankungen. Arzneimittel lösen mitunter ebenfalls eine RBD aus, vor allem Antidepressiva und lipophile Betablocker. In der Regel sistiert die RBD nach dem Absetzen. Bleibt sie bestehen, stellt sich die Frage, ob das Arzneimittel womöglich eine latente Neurodegeneration demaskiert hat. Bei Taupathien wie dem Alzheimer kommen gehäuft „RBD-Mimics“ vor, etwa Schlafwandeln, Verwirrtheit beim Aufwachen oder nächtliche Agitation, die leicht mit der echten RBD verwechselt werden. Es ist wichtig nach einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung zu suchen, die Differenzialdiagnostik neurodegenerativer Erkrankungen wird dadurch erleichtert, erklärte die Kollegin. Lässt sich, z.B. bei einem Patienten mit Multisystematrophie, keine RBD nachweisen, sollte man die Diagnose überprüfen. Das Fehlen der RBD deutet dann eher auf einen Parkinson hin. Eine RBD bei einem dementen Patienten legt den Verdacht auf eine Lewy-Body-Demenz nahe, nicht aber auf eine Alzheimerkrankheit.

Erst die Diagnose sichern, dann mit dem Patienten reden

Was ist bei einem Patienten mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung zu tun? Als Erstes sollte man sich mit der Diagnose sehr sicher sein, bevor man sie dem Betroffenen mitteilt, betonte die Neurologin. „Der Patient wird sie googeln und feststellen, dass es sich um den Marker einer ernsten Erkrankung handelt.“ Die Diagnose fußt auf der typischen Anamnese – mehrfache Schilderung nächtlicher Aktivierung mit Vokalisation und/oder komplexen Bewegungen in Traumphasen – und der Video-Polysomnographie. Bestätigt sich der Verdacht, folgt das schwierige Gespräch mit dem Patienten und seinem Schlafgenossen. Es sollte sich auf die gute medizinische Betreuung und das Follow-up fokussieren, da der Arzt keine Heilung in Aussicht stellen kann. Außerdem hat man nicht selten Missverständnisse auszuräumen, etwa dass die RBD unterdrückte Aggressionen gegenüber dem Bettpartner demaskiere. Dem Patienten sollte man raten, Alkohol zu meiden, weil dieser die Symptome verstärken kann. RBD-fördernde Medikamente sind möglichst abzusetzen oder auszutauschen (z.B. SSRI bzw. Trizyklika gegen Bupropion). Eine begleitende Schlafapnoe kann mittels CPAP behandelt werden, was evtl. ein RBD-Mimic reduziert. Clonazepam ist zwar nicht in klinischen Studien erprobt, aber die Erfahrung zeigt, dass sich RBD-Symptome mit 0,25–2,0 mg/d bessern lassen. Alternativ kommt Melatonin infrage (bis zu 12 mg zur Nacht).

Kongressbericht: 6th Congress of the European Academy of Neurology | Online-Veranstaltung

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Parasomnien können Frühwarnzeichen für Demenzen, Parkinson oder autoimmune Hirnerkrankungen sein. (Agenturfoto) Parasomnien können Frühwarnzeichen für Demenzen, Parkinson oder autoimmune Hirnerkrankungen sein. (Agenturfoto) © RioPatuca Images – stock.adobe.com