Permanente Furcht vor dem Unglück

Dr. Dorothea Ranft

In der Psychotherapie lernen Betroffene, dass ständige Sorgen sie nicht besser auf Unglücksfälle vorbereiten. In der Psychotherapie lernen Betroffene, dass ständige Sorgen sie nicht besser auf Unglücksfälle vorbereiten. © paul_craft – stock.adobe.com

Eine generalisierte Angststörung bleibt oft lange unerkannt. Denn die Patienten klagen primär über körperliche Beschwerden und erwähnen ihre Sorgen erst auf Nachfrage. Eine aktualisierte Leitlinie erleichtert Diagnose und Therapie.

Zu den typischen somatischen Kennzeichen einer generalisierten Angststörung zählen Herzrasen, Zittern, Schwindel und Übelkeit. Auch Konzentrations- und Schlafstörungen können ein Hinweis sein. Anders als bei einer Panikstörung manifestieren sich diese Symptome nicht anfallsweise, sondern als unterschwelliger Dauerzustand. Die Patienten wissen oft selbst nicht genau, wovor sie eigentlich Angst haben. Ihre Gedanken kreisen aber ständig um die Möglichkeit, dass ihnen selbst oder ihren Angehörigen ein Unglück zustoßen oder jemand schwer erkranken könnte. Viele befürchten zudem, dass das permanente Sorgen ihrer Gesundheit schadet.

Blutbild erstellen, Glukose, Elektrolyte und TSH messen

Wichtige Hinweise auf eine potenzielle generalisierte Angststörung ergeben sich oft schon durch zwei einfache Fragen. Sicherheitshalber sollten aber häufige somatische Differenzialdiagnosen, darunter Lungen-, Herz-Kreislauf- und neurologische Erkrankungen, ausgeschlossen werden. Dazu empfiehlt die Leitlinie neben Anamnese, körperlicher Untersuchung und EKG ein Basislabor mit Blutbild, Glukose, Elektrolyten und TSH.

Mit zwei Fragen zur Diagnose

  1. Fühlen Sie sich angespannt oder nervös und sind Sie oft stärker beun­ruhigt als andere Menschen?
  2. Sind Sie ständig in Sorge und können diese Gefühle nicht kontrollieren, sondern befürchten, dass ein Unglück passiert?

Zur Behandlung eignen sich Psycho- und Pharmakotherapie gleichermaßen. Die Wahl der Methode richtet sich nach Verfügbarkeit und Präferenzen des zuvor aufgeklärten Patienten. Im Fall einer unzureichenden Wirkung sollte auf die jeweils andere Behandlungsform gewechselt werden, auch eine Therapiekombination ist möglich. Von den psychologischen Verfahren wird am häufigsten die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) eingesetzt. Dabei erfährt der Patient, dass er auf Unglücksfälle keineswegs besser vorbereitet ist, wenn er sich ständig Sorgen macht. Außerdem lernt er, die Wahrscheinlichkeit der von ihm befürchteten Ereignisse realistisch einzuschätzen. Entspannungsverfahren unterstützen Patienten dabei, ihre Ängste zu regulieren. Auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen ist oftmals sinnvoll. Durch KVT-basierte Internetinterventionen kann die Wartezeit bis zum Therapiebeginn überbrückt werden. Diese Angebote eignen sich jedoch nicht als alleinige Maßnahme, betonen die Verfasser der unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) erstellten Leitlinie. Zur medikamentösen Behandlung empfehlen sie die SSRI Escitalopram bzw. Paroxetin und die SNRI Duloxetin bzw. Venlafaxin. Als Alternative wird Pregabalin genannt, auch wenn der Empfehlungsgrad mit „sollte“ statt „soll angeboten werden“ etwas geringer ausfällt. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin stuft Pregabalin in ihrer Stellungnahme nicht als Mittel der ersten Wahl ein. Ihrer Meinung nach sollte der Kalziummodulator in der haus­ärztlichen Praxis erst nachrangig zu SSRI oder SNRI eingesetzt werden. Als Begründung nennt sie Absetzphänomene, möglicherweise eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und ein potenzielles Missbrauchsrisiko.

Dosierungsempfehlungen

  • Escitalopram 10–20 mg
  • Paroxetin 20–50 mg
  • Duloxetin 60–120 mg
  • Venlafaxin 75–225 mg
  • Pregabalin 150–600 mg
  • Opipramol 50–300 mg
  • Buspiron 15–60 mg

Wenn die genannten Wirkstoffe unzureichend wirken oder nicht vertragen werden, kommt eine Therapie mit Opipramol oder Buspiron in Betracht. Das trizyklische Antidepressivum Imipramin ist nicht zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen. Es darf aber bei mangelndem Ansprechen bzw. Intoleranz von SSRI und SNRI probiert werden.

Benzodiazepine nur in Ausnahmefällen verordnen

Auch das atypische Antipsychotikum Quetiapin kann off label verordnet werden. Benzodiazepine sind wegen der damit verbundenen Risiken (Abhängigkeit, Sturzgefahr etc.) tunlichst zu vermeiden. In Ausnahmefällen (z.B. Suizidalität, Kontraindikationen gegen Standardmedikamente) kommt eine zeitlich limitierte Anwendung in Betracht. Um falschen Erwartungen vorzubeugen, sollte der Patient wissen, dass die Wirkung der Antidepressiva erst nach etwa 14 Tagen einsetzt, im Einzelfall auch erst nach sechs Wochen. Unter SSRI bzw. SNRI ist in den ersten Tagen mit Unruhe und Insomnie zu rechnen, unter Pregabalin kann es zu Schwindel und Benommenheit kommen. Zur Rezidivprophylaxe sollte die medikamentöse Behandlung nach der Remission noch mindestens sechs bis zwölf Monate fortgesetzt werden. Bei schwerem Verlauf oder erneut auftretenden Symptomen nach Absetzversuch ist auch eine längere Therapie möglich.

Quelle: S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“, AWMF-Register-Nr. 051-028, www.awmf.org

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In der Psychotherapie lernen Betroffene, dass ständige Sorgen sie nicht besser auf Unglücksfälle vorbereiten. In der Psychotherapie lernen Betroffene, dass ständige Sorgen sie nicht besser auf Unglücksfälle vorbereiten. © paul_craft – stock.adobe.com