Angststörungen mit Verhaltenstherapie und Antidepressiva behandeln

Dr. Andrea Wülker

Psychotherapien, kognitive Verhaltenstherapien und serotonerge Psychopharmaka haben sich bei der Behandlung von Angststörungen bewährt. Psychotherapien, kognitive Verhaltenstherapien und serotonerge Psychopharmaka haben sich bei der Behandlung von Angststörungen bewährt. © VectorMine – stock.adobe.com

Angsterkrankungen gehen regelmäßig mit Depressionen und weiteren psychischen Störungen einher, aber auch mit handfesten körperlichen Leiden. Therapien der ersten Wahl sind Psychotherapie und Psychopharmaka.

Zu Angsterkrankungen zählen Mutismus, Trennungsangst, die sozialen und spezifischen Phobien, Agoraphobie sowie die Panik- und die generalisierte Angststörung (s. ­Tabelle). Sie manifestieren sich im Allgemeinen in Kindheit und Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Im Alter von 15 bis 25 Jahren liegt die kumulative Inzidenz aller dieser Erkrankungen zwischen 20 und 30 %. Bei den Erwachsenen erfüllen 10 bis 14 % innerhalb von zwölf Monaten die DSM*-Kriterien für eine Angststörung.

Die Klassiker: Angststörungen und wie sie sich äußern
Angststörung
klinische Symptomatik
medianes Alter bei Erstmanifestation
selektiver Mutismus

Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen, trotz sprachlicher Kompetenz

Kindheit (< 5 Jahre)
Trennungsangst
  • Albträume
  • unrealistische und anhaltende Angst vor Trennung oder Verlust einer wichtigen Bezugsperson
  • Besorgnis, dass der Person etwas zustoßen könnte
Kindheit (um das 6. Lebensjahr)
spezifische Phobie

ausgeprägte und unangemessene Furcht vor speziellen Objekten oder Situationen (z.B. vor bestimmten Tieren oder Orten, Naturgewalten, Blut, Injektionen)

Kindheit (um das 8. Lebensjahr)
soziale Phobie
  • ausgeprägte und unangemessene Furcht oder Angst vor prüfender Betrachtung oder Ablehnung durch andere
  • körperliche Symptome: Erröten, Harndrang oder Furcht, sich übergeben zu müssen
frühe Adoleszenz (um das 13. Lebensjahr)
Agoraphobie

ausgeprägte und unangemessene Furcht, das Haus zu verlassen, öffentliche Plätze oder Verkehrsmittel zu betreten oder sich in Menschenmengen aufzuhalten

späte Adoleszenz (um das 20. Lebensjahr)
Panikstörung
  • wiederholte, unerwartete Panikattacken mit anhaltenden psychischen Manifestationen (Furcht, Angst vor Kontrollverlust, Fremdheitsgefühl)
  • körperliche Symptome: Herzrasen, Atemnot, Schwindel, Thoraxschmerzen, Schwitzen, Parästhesie, Übelkeit
Erwachsenenalter (um das 25. Lebensjahr)
generalisierte Angststörung
  • ausgeprägte, unkontrollierbare, unangemessene Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse
  • körperliche Symptome: Müdigkeit, Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, Muskelanspannung, vegetative Beschwerden
Erwachsenenalter (um das 30. Lebensjahr)

Gut die Hälfte der Betroffenen jenseits der Adoleszenz leidet gleich an mehreren Angststörungen, schreiben Professor Dr. ­Brenda ­Penninx von der Psychiatrischen Klinik der Universität Amsterdam und Kollegen. Oft liegt eine weitere psychische Erkrankung vor, etwa eine Depression, eine bipolare Störung oder Substanzabhängigkeit. Zudem weisen Personen mit gravierenden körperlichen Beschwerden wie Herz-Kreislauf-, muskuloskelettalen oder Atemwegs­erkrankungen ein erhöhtes Risiko für eine komorbide Angststörung auf. Daher ist bei einer Angstsymptomatik stets eine gründliche körperliche und psychiatrische Untersuchung erforderlich, betonen die Experten.

Fehlerhafte Schaltkreise

Auf die Entstehung von Angsterkrankungen nehmen genetische und Umweltfaktoren Einfluss. Der Anteil der Genetik ist erheblich, weshalb zur Diagnostik stets die umfassende Familienanamnese gehört. Zudem können Kindheitstraumata, die Trennung von wichtigen Bezugspersonen, sowie ein übermäßig behütender Erziehungsstil das Risiko erhöhen. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bei Angststörungen eine Fehlfunktion der zerebralen Schaltkreise vorliegt, die normalerweise bei Gefahr aktiv werden.

Bei unklarer Symptomatik lieber nachhaken

Angsterkrankungen werden häufig nicht erkannt und bleiben unbehandelt. Viele Patienten äußern zunächst unspezifische Symptome,  z.B. kardialer oder respiratorischer Natur. Lassen sich dann mögliche Zeichen einer Angststörung eruieren, sollte das Anlass für eine weitere Abklärung bieten. Denn es gibt Erfolg versprechende Behandlungsmöglichkeiten. Sowohl evidenzbasierte Psychotherapien wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als auch Medikamente sind als effektive Erstlinienbehandlungen anerkannt. Bei der KVT lernen die Patienten in meist acht bis zwanzig Sitzungen, mit angstbesetzten Situationen umzugehen, und üben beruhigende und entspannende Techniken ein. In manchen Situationen werden bevorzugt Medikamente eingesetzt, etwa bei chronischen Verläufen, komorbider Depression oder wenn eine Psychotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt. 

Medikamentös eignen sich vor allem serotonerge Substanzen

Im Allgemeinen wirken bei Angststörungen alle selektiven Sero­tonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), Monoaminooxidasehemmer (MAO-Inhibitoren) und das trizyklische Antidepressivum ­Clomipramin. Häufig werden SSRI oder ggf. SNRI wegen ihres günstigeren Nutzen-Risiko-Profils bevorzugt, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Im klinischen Alltag erhalten viele Patienten eine kombinierte Psycho- und Pharmakotherapie.

* Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

Quelle: Penninx BWJH et al. Lancet 2021; 397: 914-927; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)00359-7

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Psychotherapien, kognitive Verhaltenstherapien und serotonerge Psychopharmaka haben sich bei der Behandlung von Angststörungen bewährt. Psychotherapien, kognitive Verhaltenstherapien und serotonerge Psychopharmaka haben sich bei der Behandlung von Angststörungen bewährt. © VectorMine – stock.adobe.com