„Cannabis kommt mir nicht in die Tüte“

Dr. Joachim Retzbach

Angsterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und belasten den Alltag stark. Angsterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen und belasten den Alltag stark. © terovesalainen – stock.adobe.com

Wenn gängige Präparate gegen Angststörungen nicht die gewünschte Wirkung erzielen, sollte man zunächst einen Wechsel der Medikation erwägen und klären, ob bereits eine leitliniengerechte Psychotherapie erfolgt ist. Cannabis-Präparaten, Ketamin und LSD erteilte eine Expertin dagegen eine klare Absage.

Nur etwa 50–65 % aller Patienten mit Angsterkrankungen sprechen auf eine Behandlung an. Das erhöht den Leidensdruck der Betroffenen und trägt zur Chronifizierung der Störung bei, erklärte Prof. Dr. Katharina Domschke, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg. Wenn ein Patient sagt: „Mir hilft gar nichts“ oder „Ich bin austherapiert“, müsse man zuallererst prüfen, ob das überhaupt stimmt. Denn häufig habe man es mit einer Pseudotherapieresistenz zu tun.

Zunächst gilt es daher die bestehende Diagnose eingehend zu prüfen. So manche soziale Phobie entpuppt sich dabei als Autismus-Spektrum-Störung, schizoide Persönlichkeits- oder posttraumatische Belastungsstörung. Dann sei es kein Wunder, wenn Angsttherapien nicht fruchten, so Prof. Domschke. Zudem hätten viele Patienten, denen nach eigener Aussage „nichts hilft“, noch gar keine leitliniengerechte Therapie erhalten. Sie waren vielleicht in einer Verhaltenstherapie, bei der es keine begleiteten Expositionsübungen gab. Oder die Pharmakotherapie bestand aus der Selbstmedikation mit Johanniskraut und Baldrian.

Fehlende Adhärenz ist keine Behandlungsresistenz

Auch bei einer vorherigen Behandlung mit SSRI oder SNRI können Fehler passiert sein. „Vielleicht haben die Patienten das Medikament unregelmäßig, in veränderter Dosis oder nur bei Bedarf eingenommen“, sagte Prof. Domschke. In all diesen Fällen liege streng genommen kein leitliniengerechter Therapieversuch vor. Im Zweifel sind die Abfrage einer möglichen Komedikation und die Bestimmung des Plasmaspiegels aufschlussreich.

Bislang unerkannte Komorbiditäten wie Suchterkrankungen, eine Depression oder Persönlichkeitsstörung können ebenfalls bestehen. Da sie die Therapie von Ängsten massiv erschweren, müssen sie vorab ausgeschlossen oder aber in der Behandlung berücksichtigt werden, bevor man von einem erfolglosen Therapieversuch sprechen darf.

Sind diese Fehlerquellen ausgeschlossen und die Kriterien für fehlenden Behandlungserfolg grundsätzlich erfüllt, kann eine Therapieresistenz diagnostiziert werden. Ein Panel von 36 internationalen Experten, dem Prof. Domschke angehörte, erarbeitete hierfür Anfang 2024 in einem Konsensverfahren erstmals eine präzise Definition (siehe Tabelle).

Wann ist eine Angsterkrankung therapieresistent?
Kriterien für eine Behandlungsresistenz gemäß einem aktuellen Expertenkonsens
Therapieversagen

Mindestens eines der folgenden Kriterien:

  • < 50 % Reduktion auf der Hamilton-Angst-Skala
  • < 50 % Reduktion auf dem Beck-Angst-Inventar
  • Punktwert > 2 auf der CGI-Skala (Clinical Global Impression Scale)
Pharmakologische Therapieresistenz

Mindestens zwei erfolglose pharmakologische Monotherapien mit den folgenden Spezifika:

  • Behandlung mit Substanzen der ersten Wahl, die zugelassen und in den Leitlinien empfohlen sind (zwei verschiedene Klassen, z.B. ein SSRI plus ein SNRI, bei GAD Clomipramin oder Pregabalin)
  • Minimaldosis laut Zulassung wurde erreicht
  • Therapiedauer jeweils mindestens 6–8 Wochen
  • idealerweise dokumentierte Therapieadhärenz
Psychotherapeutische Therapieresistenz

Mindestens eine erfolglose Behandlung mit einer Erstlinien-Psychotherapie (z.B. KVT) mit den folgenden Spezifika:

  • adäquate Durchführung (z.B. qualifizierter Therapeut)
  • ausreichende Intensität (z.B. genügend Expositionsübungen und Hausaufgaben, Adhärenz)
  • angemessene Dauer (bei GAD, Panikstörung oder sozialer Phobie z.B. 12–20 Wochen)

Quelle: Domschke K et al. World Psychiatry 2024; 23: 113-123; DOI: 10.1002/wps.21177

Der erste Wechsel erfolgt oft innerhalb einer Substanzklasse

Bei gesicherter Behandlungsresistenz kann man versuchen, von einem zugelassenen Medikament auf ein anderes zu wechseln. Oft geschieht dies zunächst innerhalb der beiden Substanzklassen SSRI und SNRI. Bei der Panikstörung lohnt zuweilen der Umstieg von einem SSRI/SNRI auf Clomipramin; Patienten mit generalisierter Angststörung kann man stattdessen Pregabalin anbieten.

Off label gibt es Evidenz für Agomelatin, Mirtazapin und Quetiapin. Letzteres ist laut Prof. Domschke bei generalisierter Angststörung in einem Dosisbereich von 50–300 mg sehr gut wirksam, vor allem hinsichtlich der Schlafqualität. Auch mit atypischen Neuroleptika in niedriger Dosierung, z.B. Olanzapin, sei ein Behandlungsversuch möglich.

Oft stellt sich auch nach einem Wechsel der Medikation kein Erfolg ein. Große Hoffnungen ruhen daher auf Substanzen, deren Einsatz in der Angstbehandlung innovativ ist, darunter Cannabidiol, Ketamin und LSD. Cannabisprodukten erteilte Prof. Domschke jedoch eine deutliche Absage. „THC macht Angst!“, mahnte sie. Die 2017 erfolgte Zulassung von Cannabis als Medizinprodukt stehe „nicht auf wissenschaftlichen Füßen“. Insbesondere fehlten umfangreiche Untersuchungen zur Sicherheit einer medizinischen Anwendung. Die aktuell umgesetzte Teillegalisierung erlaube zudem den Besitz einer für psychisch anfällige Nutzer viel zu großen Cannabismenge. Erfahrungen in Kanada hätten gezeigt, dass dort die Zahl der Angsterkrankungen nach der Legalisierung von Cannabis drastisch in die Höhegeschossen ist.

Bereits 2022 hatte eine Studie der Harvard Medical School ergeben, dass Psychatriepatienten, die Cannabis konsumierten, dadurch nicht weniger Angstsymptome hatten. Sie schliefen zwar etwas besser, dafür entwickelten sie aber häufig eine Cannabisabhängigkeit. Die Gefahr des Missbrauchs und der Suchtentwicklung sei gerade bei Patienten mit Angst und Depression deutlich erhöht, erklärte Prof. Domschke. In der Verschreibung komme ihr Cannabis daher „nicht in die Tüte“. 

Oft haben die Patienten wahre Wunder über Cannabidiol (CBD) gehört. Die Substanz gilt als nicht psychoaktiv; tatsächlich bescheinigen ihr einige Studien eine Wirkung bei der sozialen Angststörung. Die häufig angeführten Ergebnisse basierten allerdings auf extrem kleinen Stichproben und die Untersuchungen seien wegen methodischer Mängel überhaupt nicht aussagekräftig, kritisierte Prof. Domschke.

Das Anästhetikum Ketamin zeige zwar gute Ergebnisse in der Behandlung von Depressionen. Für Angsterkrankungen sei die Evidenz aber noch „miserabel“. Es brauche viel bessere Forschung, um die Wirkung in diesem Einsatzgebiet seriös beurteilen zu können.

Zu LSD bei Angststörungen erschien 2023 eine neue Untersuchung. Darin verringerte das Halluzinogen die Angst signifikant stärker als ein Placebo. Die Wirkung hielt bis zu 16 Wochen an. Auch diese Ergebnisse müssen zunächst in größeren Stichproben validiert werden, sagte Prof. Domschke.

Die Kombinationstherapie schlägt jede Form alleine

Die allererste Maßnahme bei pharmakologischer Behandlungsresistenz ist, falls noch nicht erfolgt, die Kombination mit einer Psychotherapie. „Die Therapieresistenz von Patienten, die in der Vorgeschichte lediglich eine Pharmakotherapie erhalten haben, gründet in den allermeisten Fällen darauf, dass sie keine begleitende Psychotherapie hatten“, erklärte die Referentin.

Die Kombination aus Pharmako- und Verhaltenstherapie hat sich dabei gegenüber den jeweiligen Einzelformen als signifikant wirksamer erwiesen. Da die psychotherapeutische Versorgungssituation bekanntlich schlecht ist, können zum Überbrücken der Wartezeit z.B. DiGA für Angsterkrankungen eingesetzt werden.

Goldstandard in der Psychotherapie ist die kognitive Verhaltenstherapie. Lege artis muss diese Behandlung bei Angsterkrankungen zwingend eine Exposition umfassen und die Patienten müssen zwischen den Sitzungen eigenständig Übungen durchführen. Als Alternativen, wenn z.B. keine KVT verfügbar ist, kann man achtsamkeitsbasierte Behandlungen, eine systemische Therapie und psychodynamische Verfahren in Erwägung ziehen.

Quelle: Kongressbericht 14. Psychiatrie-Update-Seminar

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