„Pressure kills kidney“

DGN 2023 Birgit Maronde 

Wenn die Blase durch eine Enthemmung spastisch wird, bauen sich Drücke auf, die auf längere Sicht die Nieren in Gefahr bringen. Wenn die Blase durch eine Enthemmung spastisch wird, bauen sich Drücke auf, die auf längere Sicht die Nieren in Gefahr bringen. © photowahn - stock.adobe.com

Für viele neurologische Patienten werden überaktive Blase und Harninkontinenz zum Riesenproblem. Dazu kommen rezidivierende Harnwegsinfektionen und ein erhöhter Druck in der Blase, der die Nieren in Gefahr bringt. Erforderlich sind eine urodynamische Untersuchung und eine multimodale Therapie. 

Um harnkontinent zu bleiben, braucht man einen intakten Verschlussapparat der Blase sowie eine ungestörte nervale Steuerung von Detrusor, innerem und äußerem Sphinkter. Diese Steuerung findet auf verschiedenen Ebenen statt: Suprapontine Zentren hemmen die Blase, im Zwischenhirn erfolgt die Koordination der Miktion, im spinalen Miktionszentrum auf Höhe S2–4 werden periphere Afferenzen und Efferenzen gebündelt. Neurologische Erkrankungen, die diese Schaltstellen in Mitleidenschaft ziehen, gehen daher häufig mit einer Blasenfunktionsstörung einher. So haben z.B. etwa 90 % der MS-Patienten 6 – 8 Jahre nach der Diagnose eine Blasenfunktionsstörung und/oder eine Inkontinenz, berichtete Neurourologe Prof. Dr. Arndt van Ophoven vom Marienhospital in Herne. 

Die folgenden vier Therapieziele sollte man bei neurogener Blase anpeilen: 

  • verlässliche Harnkontinenz und damit einhergehend eine bessere Lebensqualität des Patienten
  • druckarme Speichersituation der Blase
  • Schutz der Nierenfunktion
  • Vermeiden rezidivierender Harnwegsinfektionen.

Für den Neurourologen steht die druckarme Speichersituation ganz oben auf der Prioritätenliste. Denn wenn die Blase durch eine Enthemmung spastisch wird, bauen sich Drücke auf, die auf längere Sicht die Nieren in Gefahr bringen. „Pressure kills kidney“, warnte der Kollege. 

Anticholinergikum nimmt Druck von der Blase

Der betroffene Patient merkt davon nichts. Daher braucht man eine Blasendruckmessung bzw. eine urodynamische Untersuchung. Zeigt sich darin eine Spastizität, wird man ein Anticholinergikum verordnen, um den Detrusordruck zu dämpfen und damit auch die Dranginkontinenz zu reduzieren. In Deutschland sind dafür Oxybutynin, Propiverin, Trospiumchlorid, Tolterodintartrat, Solifenacinsuccinat, Darifenacin und Fesoterodinfumarat zugelassen. Zu ihren potenziellen Nebenwirkungen gehören u.a. Herzrhythmusstörungen, Obstipation, Schwindel/Sturzgefahr, Xerostomie sowie ­Akkommodationsstörungen. 

Eine Substanz, die die Blase dämpft, aber nicht anticholinerg wirkt, ist Mirabegron, ein Beta-3-Agonist. Er gibt „auf dem sympathischen Schenkel Gas“, d.h. er führt zur Detrusorrelaxation und zur Förderung der Blasenspeicherphase.  Mirabegron eignet sich zur Kombination mit einem Anticholinergikum und bietet insbesondere bei Parkinsonpatienten mit Dranginkontinenz eine therapeutische Alternative. Laut Prof. van Ophoven wirkt es allerdings nicht so stark wie die alten unselektiven Anticholinergika Oxybutynin oder Trospiumchlorid. 

Lässt sich der Blasendruck mit den genannten Medikamenten nicht ausreichend senken oder verursachen sie zu starke Nebenwirkungen, kommt Botulinumtoxin A in Betracht. Das Neurotoxin spritzt man zystoskopisch an 20–30 Stellen in die Blasenwand. Sie wird dadurch weicher, die Detrusor­drücke gehen zurück, funktionelle Volumina steigen an und die Kontinenz verbessert sich. Eine Gesamtdosis von 100 IE wirkt im Schnitt sechs Monate, eine von 200 IE neun Monate. 

Eine weitere Option ist die sakrale Neuromodulation. Sie eignet sich für Patienten mit Harninkontinenz oder Restharn, Stuhlinkontinenz oder Verstopfung und kombinierten Blasen-Mastdarm-Problemen. 

Blasenschrittmacher laufen bis zu 15 Jahre

Über das Sakralforamen 2 oder 3 werden Stimulations­elektroden entlang der Nerven platziert. Erweist sich die Stimulation in einer Testphase mit einem extrakorporalen Schrittmacher als erfolgreich, implantiert man einen Schrittmacher subkutan. Moderne Systeme müssen nur einmal in der Woche für eine Stunde aufgeladen werden, haben eine garantierte Laufzeit von bis zu 15 Jahren und halten einer MRT (3 Tesla) stand, erklärte der Neurourologe.  

Ein in der neurologischen Praxis ebenfalls häufiges Problem sind rezidivierende Harnwegsinfektionen. Als Risikofaktoren gelten u.a. 

  • gestörte Blasenentleerung bei Detrusorüberaktivität oder Restharn,
  • Östrogenmangel,
  • Diabetes mellitus,
  • ein kompromittiertes Immun­system,
  • fehlerhafte Intimhygiene. 

Die Behandlung erfordert ein multimodales Konzept.  „Das Antibiotikum beim richtigen Patienten, beim richtigen Keim in der richtigen Dosierung gegeben ist segensbringend und kein Gift,“ betonte Prof. van Ophoven. Die Akuttherapie kann man mit einer Langzeitprophylaxe für 3–6 Monate fortsetzen, z.B. mit 100 mg Nitrofurantoin zur Nacht, sofern die Resistenztestung nicht dagegen spricht. 

Formen der Harninkontinenz

Jeder unwillkürliche Urinverlust – und seien es nur 2–3 Tropfen – ist per definitionem eine Harninkontinenz. Unterschieden werden:

  • Belastungsinkontinenz (z.B. beim Husten oder Lachen)
  • Dranginkontinenz
  • Mischinkontinenz
  • Überlaufinkontinenz (z.B. bei Prostatahyperplasie)
  • Giggle-Inkontinenz (Harnverlust durch Kichern bei jungen Mädchen)
  • extraurethrale Inkontinenz (durch Fisteln)

Um den „Druck auf die Keime“ zu erhöhen, sollte man den Harn mit Vitamin C oder L-Methionin ansäuern. Ziel: ein pH-Wert von 5–5,5. Das Andocken der Keime an der Blasenschleimhaut lässt sich  beispielsweise mit D-Mannose oder Cranberrykonzentraten verhindern (Adhäsionsprophylaxe). Außerdem gibt es orale und intramuskuläre Immunstimulanzien, die Bestandteile von E. coli oder zusätzlich anderen Keimen enthalten. 

Prof. van Ophoven riet außerdem dazu, über ein größeres Trinkvolumen die Blase zu spülen. Bei vorhandenem Restharn müssten sich die Patienten gegebenenfalls selbst katheterisieren. Wenn man alle diese Maßnahmen berücksichtigt, kann man es nach Überzeugung des Experten schaffen, die Infektfreudigkeit deutlich zu reduzieren.

Quelle:  96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie

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Wenn die Blase durch eine Enthemmung spastisch wird, bauen sich Drücke auf, die auf längere Sicht die Nieren in Gefahr bringen. Wenn die Blase durch eine Enthemmung spastisch wird, bauen sich Drücke auf, die auf längere Sicht die Nieren in Gefahr bringen. © photowahn - stock.adobe.com