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Sarkome in die Hand von Experten geben

Weniger als 1 % aller Krebserkrankungen bei Erwachsenen sind Weichgewebesarkome, bei Kindern 7 %. Für die sehr heterogene Gruppe von Tumoren gab es bisher lediglich Expertenempfehlungen. Mit der neuen S3-Leitlinie ändert sich das. „Natürlich kennen die Experten die Daten. Aber sie wissenschaftlich nach Evidenz zu bewerten, ist noch mal etwas anderes. Das gab es bisher weltweit nicht“, betonte Professor Dr. Peter Hohenberger, Universitätsmedizin Mannheim. Gemeinsam mit Professor Dr. Bernd Kasper, ebenfalls Universitätsmedizin Mannheim, und Professor Dr. Viktor Grünwald von den Universitätskliniken Essen hat er die Leitlinie koordiniert.
Da Sarkome im ganzen Körper auftreten, zeichnet sich die Leitlinie durch ihre interdisziplinäre Ausrichtung aus. Die größte Schwierigkeit bereitete den Koordinatoren dabei nicht unbedingt die Vielfalt der Tumoren selbst, sondern die Abstimmung mit den zahlreichen Beteiligten. „Insgesamt haben 50 Organisationen mitgewirkt“, erklärte Prof. Hohenberger. Das bedeute auch, dass etwa Neurochirurgen berechtigt waren, über Empfehlungen für den Bauchraum mit abzustimmen. „Das machte die Sache nicht einfach.“
Auch die vielen verschiedenen Sarkome mussten natürlich angemessen berücksichtigt werden. Dazu konzentriert sich die Leitlinie vorrangig auf große Gruppen wie
- Leiomyosarkome,
- Liposarkome,
- Synovialsarkome oder
- undifferenzierte pleomorphe Sarkome.
Elf weiteren Subtypen widmen sich die Autoren in einem speziellen Anhang – darunter gastrointestinale Stromatumoren (GIST) sowie einige sehr seltene Sarkome für die kaum Evidenz vorliegt. „Da wird es auch keine Evidenz und keine randomisierten Studien geben“, kommentierte Prof. Hohenberger. Trotzdem nahmen die Koordinatoren diese Subtypen in das Addendum der Leitlinie auf. Darin beschreiben sie etwa deren Biologie, Metastasierungseigenschaften, Aggressivität und molekulare Merkmale, anhand derer sie sich eindeutig klassifizieren lassen. „Dazu geben wir ein paar Ratschläge, wie man therapeutisch mit diesen Tumoren umgehen sollte.“
Erstdiagnostik
Die neue Leitlinie schreibt vor, ab einem Tumordurchmesser von 3 cm die Verdachtsdiagnose histologisch zu sichern. Der Kollege betont: „Das passiert heutzutage immer noch sehr selten, weil sich die weitverbreitete Fehleinschätzung hält, die Sarkome dürfe man nicht biopsieren, dann würden sie metastasieren, oder man würde sie verschleppen. Das ist nicht der Fall.“
Schluss mit diesen Mythen! | |
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Mythos | Richtigstellung durch Prof. Hohenberger |
Sarkome sind nicht strahlenempfindlich. | „Das stimmt einfach nicht. Die Radiatio ist ein essenzieller Bestandteil der Behandlung. Es gibt Sarkome, die kann man sogar mit der Hälfte der üblichen Dosis therapieren. Natürlich gibt es Ausnahmen wie Nervenscheidentumoren, die tatsächlich schlecht auf Bestrahlung ansprechen.“ |
Sarkome darf man nicht biopsieren. | „Dem widerspricht die Leitlinie klar. Die histologische Sicherung ist einer der zwei Pfeiler der adäquaten Erstdiagnostik.“ |
Sarkome haben eine Kapsel, an der man sie ausschälen kann. | „Das ist Unsinn. Sarkome komprimieren durch ihre Größe das Umgebungsgewebe und drücken andere Organe platt. Wenn ich so etwas hören muss wie: «Das kann ich schön ausschälen, ich kann den Dickdarm erhalten!», da schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen. Die Hüllschichten, die den Tumor abgedeckt haben, müssen für eine R0-Resektion entfernt werden.“ |
Ab einer Tumorgröße von 3 cm fordern die Leitlinienautoren zudem, dass vor der OP eine Bildgebung erfolgt. „Wenn sich das beides durchsetzen würde, wären wir schon einen großen Schritt weiter“, so der Mannheimer Arzt. Immer wieder begegnen ihm die abenteuerlichsten Erklärungen, warum man etwas sofort operieren müsse, und Fehlinterpretationen vom harmlosen Fettgewebegeschwulst über angebliche Muskelzerrungen bis hin zu Hämatomen.
Aus genau diesem Grund habe es in England vor knapp zehn Jahren eine Initiative gegeben, bei der Golfbälle an niedergelassene Ärzte verschickt wurden mit dem Hinweis: „Everything which is larger than a golf ball: Think it could be sarcoma!“, erzählte Prof. Hohenberger.
Behandlung lokaler Tumoren
Die Therapie von Sarkomen obliegt interdisziplinären Tumorboards und zertifizierten Sarkomzentren: „Selbst wenn der Tumor präoperativ nicht als Sarkom erkannt wird, sollte der Patient nach der OP an ein zertifiziertes Sarkomzentrum überwiesen werden“, so Prof. Hohenberger. Dort könne nachträglich versucht werden, eine R0-Resektion zu erreichen. Diese ist der Leitlinie zufolge wesentlich für die Prognose und entscheidet über den Erfolg einer nachfolgenden Bestrahlung.
In weniger als der Hälfte der Fälle erfolge solch eine Überweisung, schätzte der Experte, nur 15–20 % der Sarkome werden aktuell in entsprechenden Zentren behandelt. Dass diese überhaupt existieren, ist der Arbeit an der Leitlinie zu verdanken: „Im Moment gibt es in Deutschland 14 Sarkomzentren. Vor 2018 gab es überhaupt keines, wir haben aus der Leitlinie erst die Qualitätsindikatoren hierfür abgeleitet“, berichtete Prof. Hohenberger.
Wichtig ist die spezielle Expertise der Zentren vor allem für die Planung und Durchführung der Operationen. An den Extremitäten kommt es darauf an, eine gute Funktion zu erhalten, z.B. durch Muskelgruppenresektion und Verpflanzung eines Muskels, um einen anderen zu ersetzen. Bei großen Tumoren kann es dazu sinnvoll sein, eine Radiatio vor die OP zu legen, auch wenn dann plastische Rekonstruktionen nötig werden.
Sarkome im Retroperioneum wiederum haben bereits bei der Diagnose eine durchschnittliche Größe von 20 cm und erfordern manchmal multiviszerale Resektionen von etwa Dickdarm, Niere, Milz oder Pankreas. „Manchmal muss auch z.B. ein Stück der Bauchschlagader entfernt und rekonstruiert werden“, erklärte Prof. Hohenberger. „Dafür braucht man wirklich spezialisierte Operateure.“ Viele Radiotherapien hingegen können auch heimatnah erfolgen, in Absprache mit dem Sarkomzentrum.
Spezielle Verfahren
Bestimmte Therapien werden fast ausschließlich für Weichteilsarkome genutzt. Dazu gehört die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion (ILP), bei der Gliedmaßen während milder Überwärmung mit TNF-α durchspült werden. Weitere Beispiele umfassen die regionale Tiefenhyperthermie oder liposomale Zytostatika. Den Stellenwert dieser Verfahren ordnen die Experten der Leitlinie ein und geben Empfehlungen zum Einsatz bzw. Nicht-Einsatz.
„Nach einer ILP-Durchströmungsbehandlung bildet sich der Tumor mit 75–80%iger Wahrscheinlichkeit zurück. Dann kann man den Resttumor entfernen – was vorher oft kaum extremitätenerhaltend möglich ist“, erklärte Prof. Hohenberger. Die Leitlinie besagt dazu beispielweise, dass jeder Patient, der mehrfach operiert wurde und bei dem eine Amputation ansteht, vorher auf dieses Verfahren hin evaluiert werden soll.
Therapie fortgeschrittener Stadien
Als Standardchemotherapie gilt Doxorubicin, ggf. in Kombination mit Ifosfamid. Es gibt zudem eine Reihe von Off-Label-Medikamenten, die in der Leitlinie aufgeführt sind wie Gemcitabin oder Dacarbacin. Eine zugelassene zielgerichtete Therapie bietet der Multityrosinkinase-Inhibitor Pazopanib – allerdings erst in der Zweitlinie. Doch auch wenn die modernen Optionen nicht den Schwerpunkt der Leitlinie bilden, gibt es in dem Bereich viel Fortschritt. „Sarkome sind dadurch, dass sie molekular gut zu charakterisieren sind, zu einer Modellerkrankung geworden“, erklärte Prof. Hohenberger.
Quelle: S3-Leitlinie Adulte Weichgewebesarkome, AWMF-Register-Nr. 032/044OL, www.awmf.org
Pressemitteilung der Deutschen Krebsgesellschaft
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