Schlaffe Glieder und doch kein Marfan

Im Alter von 14 Jahren hatte ein Kinderkardiologe dem Jungen ein Marfan-Syndrom mit geringer kardialer Beteiligung aufgrund einer leichten Aortenklappeninsuffizienz attestiert. Der Patient war als Frühgeburt mit Ikterus zur Welt gekommen und litt seit frühester Kindheit unter einer progredienten körperlichen Minderbelastbarkeit, schreibt das Team um Dr. Maryam Balke von der Neurologie der Universitätsklinik Köln.
Im Jugendalter erfolgte eine psychiatrische Begutachtung, bei der eine leichte kognitive Störung festgestellt wurde. Nach der Hauptschule begann der Patient eine Ausbildung, eine spätere Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt war jedoch nicht möglich.
Beklopfen löste myotone Reaktion aus
Erst mit 27 Jahren wurde der Mann, der zum jetzigen Zeitpunkt bei einer Größe von 183 cm gerade mal 50 kg wog, in einer Marfan-Sprechstunde vorgestellt. Mit positiven Handgelenks- und Daumenzeichen, geringer Überstreckbarkeit der Kniegelenke und einem hohen, schmalen Gaumen sowie hyperleptosomem Gesichtsschädel wurden zwar typische orthopädische Marfan-Kriterien erfüllt. Aber sonst stützte kein einziger Befund die Diagnose. Auch die jetzt erstmals angeordnete humangenetische Untersuchung konnte die Verdachtsdiagnose nicht bestätigen: Mutationen in den entsprechenden Genen wurden nicht gefunden.
Im Alter von 30 erfolgte die Aufnahme in einer neurologischen Abteilung. Bei ubiquitärer Muskelatrophie bestand eine links- und armbetonte schlaffe Tetraparese, wobei der linke Arm nicht über die Horizontale hinaus gehoben werden konnte. Das Beklopfen der Thenarmuskulatur löste eine leichte myotone Reaktion aus. Elektromyografisch fanden sich in nahezu der gesamten Extremitätenmuskulatur ausgeprägte myotone Entladungen. Angesichts der Befunde stand der Verdacht auf eine myotone Dystrophie Typ 1 (Curschmann-Steinert-Syndrom) im Raum, der sich im Gentest bestätigte.
Schweregrad wächst von Generation zu Generation
Unter einer intensiven Physiotherapie konnte die Selbstständigkeit des Patienten bislang in weiten Teilen erhalten werden, er kann mit Hilfe gehen und ist sonst vor allem bei feinmotorischen Tätigkeiten auf Unterstützung angewiesen.
Diese Kasuistik zeigt, dass ein Marfan-Syndrom immer durch einen Gentest gesichert werden muss. Habitus und früh auftretende Muskelatrophien können zu Verwechslungen mit hereditären neuromuskulären Erkrankungen führen – mit möglicherweise tödlichen Folgen.
Die myotone Dystrophie Typ 1 ist mit einem sehr hohen Risiko für einen plötzlichen Herztod verbunden. Mit einer Prävalenz von 1:10 000 zählt sie im europäischen Raum zu den häufigsten monogenetischen Erkrankungen. Der grundlegende genetische Fehler – eine Wiederholungssequenz auf Chromosom 19 – akkumuliert in der Generationenfolge. Dies führt dazu, dass der Schweregrad des Krankheitsbildes zunimmt und der Manifestationszeitpunkt vorverlagert wird.
Narkose birgt bei Dystrophie Gefahr
Klinisch fallen schlaffe Paresen und zunehmende Atrophien überwiegend der distalen Extremitätenmuskulatur auf. Auch myotone Verkrampfungen sind typisch: Sie müssen nicht immer klinisch sichtbar sein, können aber im Klopftest provoziert werden. Weiterhin zählen Schluckbeschwerden, Katarakt und Störungen der Gonadenfunktion zum Krankheitsbild, ebenso ventrikuläre Tachykardie und Kardiomyopathie. Dasselbe gilt für kognitive Defizite, emotionale Verflachung und Hypersomnie. Besonders zu beachten ist das hohe Narkoserisiko infolge Herzrhythmusstörungen und respiratorischer Insuffizienz.
Quelle: Balke M et al. Dtsch Med Wochenschr. 2017; 142: 982-985
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).