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Schulkinder dauerhaft trockenlegen

Eine wichtige Rolle beim unfreiwilligen Harnverlust im Kindesalter spielen komorbide Störungen. Deshalb sollten diese möglichst schon vor Beginn der Urotherapie oder parallel dazu behandelt werden. Vorrang genießt die Beseitigung einer etwaigen Obstipation und/oder Stuhlinkontinenz. Denn mit der normalisierten Darmentleerung bessert sich oft auch die Urininkontinenz. Sinnvoll ist eine primäre Therapie zudem bei schweren psychischen Störungen (z.B. Depression), beim ADHS genügt meist eine gleichzeitige Behandlung. Vor allem harninkontinente Mädchen leiden oft zusätzlich an Harnwegsinfekten. In diesem Fall kann eine antibakterielle Prophylaxe z.B. mit Nitrofurantoin die vesikale Dysfunktion reduzieren.
Nach einer erfolgreichen Kontrolle der Komorbidität wird primär die tagsüber auftretende Inkontinenz angegangen. Nässt ein Kind in Schlaf- und Wachzeit ein, sollte zunächst die Tagessymptomatik gebessert werden und erst im letzten Schritt die Enuresis nocturna.
Als Grundlage der Behandlung aller Formen von unfreiwilligem Harnverlust empfiehlt die Leitlinie eine Standardurotherapie (siehe Kasten). 40 % der Kinder mit nicht-organischer Harninkontinenz werden dadurch „dicht“, weitere 40 % erreichen eine deutliche Besserung.
So gelingt die Standardurotherapie
- Am Anfang steht die Entlastung von Ängsten und Schuldgefühlen. Die Inkontinenz ist kein Fehler des Kindes oder der Eltern, sondern die Folge einer verzögerten Reifung der Blasenkontrolle. Es handelt sich um eine beeinflussbare Störung (Selbsthilfekompetenz), nicht um eine Krankheit.
- Entscheidend für den Therapieerfolg ist eine Anleitung zum optimalen Miktionsverhalten. So sollte die Blase bei Harndrang möglichst rasch, in entspannter Haltung (kindgerechter Toilettensitz, Fußbank) und in Ruhe entleert werden.
- Sinnvoll ist eine Miktion nach der Uhr, deren Zeitpunkt mit Eltern und Kind besprochen werden sollte (etwa fünf- bis siebenmal täglich).
- Außerdem empfiehlt die Leitlinie, genügend zu trinken (1.000–1.500 ml/d – je nach Alter). Bei Enuresis sollte die Flüssigkeitsaufnahme zum Abend hin vermindert, aber nicht verboten werden. Dabei hat sich die 7-Becher-Regel als hilfreich erwiesen: Das Kind soll sieben Gläser Flüssigkeit (150–200 ml) über den Tag verteilt zu sich nehmen, das letzte etwa zwei Stunden vor dem Schlafengehen.
- Bewährt hat sich folgende Regel: Trinken und Wasserlassen gehören zusammen, außer bei der letzten Miktion vor dem Schlafengehen.
Elterliches Lob erhöht die Erfolgsaussichten
Die verschiedenen Formen des nächtlichen Einnässens werden nach ähnlichen Prinzipien behandelt. Zwischen der primären Enuresis (nie länger als sechs Monate trocken) und der sekundären Variante wird kein Unterschied gemacht. Zusätzlich zur Standardurotherapie empfiehlt die aktuell überarbeitete Leitlinie eine kindgerechte Registrierung der nassen und trockenen Nächte z.B. in einem Sonnenkalender. Etwa 15–20 % der Kinder werden allein dadurch kontinent. Elterliches Lob verstärkt die Chancen. Wenn die Standardurotherapie nicht zum Ziel führt, kann eine apparative Verhaltenstherapie durchgeführt werden (z.B. Klingelhose). Sie gilt in entsprechend motivierten Familien als Verfahren der ersten Wahl. Allerdings können Kinder die notwendige Mitarbeit oft erst im Alter von sieben Jahren leisten. Besonders stark profitieren junge Patienten mit altersentsprechender oder moderat verminderter Blasenkapazität und normaler nächtlicher Urinausscheidung. Die Verhaltenstherapie muss so lange durchgeführt werden, bis das Kind 14 Tage hintereinander trocken ist (max. 16 Wochen). Eine längere Anwendung ist nur sinnvoll, wenn sich die Einnässfrequenz verringert hat, aber noch keine komplette Remission erzielt wurde. Ein langfristiger Erfolg zeigt sich bei etwa der Hälfte der jungen Patienten, 15–30 % erleiden binnen sechs Monaten einen Rückfall. Bei ihnen sollte die apparative Behandlung erneut gestartet werden. Alternativ bzw. bei mangelndem Ansprechen auf die Verhaltenstherapie kann eine medikamentöse Behandlung mit Desmopressin angeboten werden. Diese eignet sich auch zur Überbrückung kritischer Situationen (z.B. Klassenfahrten, Urlaubsreisen). Wegen der Gefahr einer Wasserintoxikation darf das Kind nach der abendlichen Einnahme des antidiuretischen Wirkstoffs nicht mehr als 250 ml trinken und während der Nacht keine weitere Flüssigkeit zu sich nehmen. Etwa 70 % der Kinder sprechen rasch auf die Behandlung an. Ein Drittel bleibt unter einer fortgesetzten Therapie trocken, 40 % erfahren eine Besserung und 30 % sind Non-Responder. Am ehesten profitieren Kinder mit altersgemäßen Miktionsvolumina und nächtlicher Polyurie. Falls sich innerhalb von zwei bis vier Wochen kein Erfolg einstellt, wird ein Absetzen des Vasopressinderivats empfohlen. Wenn die Therapie fruchtet, sollte das Mittel drei Monate lang jeden Abend eine Stunde vor dem Schlafen eingenommen werden (zwei Stunden bei Kindern, die vor Mitternacht einnässen). Danach wird der Wirkstoff schrittweise ausgeschlichen. Rezidive sprechen evtl. auf einen erneuten Versuch mit der vorher verabreichten Dosis an. Bei einem Versagen von Verhaltenstherapie oder Desmopressin sollte die jeweils andere Option probiert werden. Die Kombination beider Prinzipien verstärkt den Effekt nicht. Eine weitere häufige Ursache für unfreiwilligen Harnverlust im Kindesalter ist die überaktive Blase bzw. Dranginkontinenz. Ihr liegt meist eine zentrale Reifungsstörung zugrunde. Die Urotherapie vermittelt den Betroffenen, sorgfältiger auf die Signale ihrer Blase zu achten. Dabei können schon drei einfache Ratschläge für Besserung sorgen: Bei Drangsymptomen sofort auf die Toilette gehen (auch in der Schule), Haltemanöver vermeiden und das Trinkverhalten optimieren.Anticholinergikum bei Dranginkontinenz
Junge Patienten, die auf diese Maßnahmen unzureichend reagieren, sollten zusätzlich ein Anticholinergikum einnehmen. Eine Besserung ist spätestens nach vier Wochen zu erkennen. Tritt diese ein, wird etwa sechs Monate weiterbehandelt und die Dosis anschließend langsam reduziert. Bei Verschlechterung kann die zuvor erfolgreiche Menge erneut probiert werden. Eine anhaltende Kontinenz wird meist erst nach zwei bis drei Jahren erreicht. Als Mittel der ersten Wahl empfiehlt sich wegen der besseren Verträglichkeit Propiverin. In der zweiten Linie können Oxybutynin und Trospiumchlorid verordnet werden, Letzteres erst ab zwölf Jahren. Die neueren Anticholinergika Tolterodin und Solifenacin dürfen off label angewendet werden, falls die im Kindesalter zugelassenen Substanzen nicht wirken oder intolerable Begleiteffekte auftreten. Als Alternative bzw. zusätzlich zur Pharmakotherapie empfehlen die Leitlinienautoren die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Deren Wirkweise ist noch nicht geklärt, vermutet wird eine Dämpfung des Miktionsreflexes auf spinaler und supraspinaler Ebene. Die Kinder bekommen dafür zwei Elektroden parasakral (S2–3) aufgeklebt und müssen das TENS-Gerät täglich mindestens 30 Minuten tragen. In ihren Alltagsaktivitäten werden sie dadurch nicht eingeschränkt.Blase zu festen Zeiten entleeren
Eine ebenfalls häufige Ursache für Inkontinenz bei Kindern ist der Miktionsaufschub. Therapeutisch geht es hier v.a. um eine Steigerung der Entleerungsfrequenz. Die Kinder lernen im Rahmen der Standardurotherapie, ihre Blase zu festen Zeiten zu entleeren, am besten fünf- bis siebenmal täglich. Programmierbare Uhren und Handys erleichtern die Erinnerung. Eine Pharmakotherapie ist hier nicht angezeigt. Bei ausbleibendem Erfolg ist eine Verhaltenstherapie zu erwägen – zumal Betroffene oft eine hohe Rate komorbider psychischer Störungen aufweisen. Viele Kinder mit Inkontinenz leiden an einer dyskoordinierten Miktion. Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen Detrusor und perinealer Muskulatur gestört. Während der Entleerung kommt es zu Kontraktionen des Beckenbodens. Die Folgen reichen von einer harmlosen Pollakisurie bis zum Harnstau mit schweren Nierenschäden. Therapeutisch geht es primär um eine Normalisierung des erhöhten Detrusordrucks mit möglichst restharnfreier Ausscheidung. Dafür eignen sich Biofeedbackverfahren. Optische oder akustische Signale zeigen an, ob der Beckenboden an- oder entspannt ist und erleichtern so die Kontrolle über den unteren Harntrakt. Die Therapie lässt sich mit einem Leihgerät zu Hause durchführen. Trotz aller Fortschritte in der Therapie der funktionellen Inkontinenz gibt es Kinder, die auf die obigen Maßnahmen nicht ansprechen. Ihnen kann eine gezielte Schulung helfen.Quelle: S2k-Leitlinie „Enuresis und nicht-organische (funktionelle) Harninkontinenz bei Kindern und Jugendlichen“, AWMF-Register-Nr. 028-026, www.awmf.org
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