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Sechs kardiologische Fälle, die zum Albtraum wurden

Gescheiterte Gerinnungshemmung
Akute Brustschmerzen, Präsynkope und ein Lungenödem führten einen 63-Jährigen in die Klinik. Seine Vorgeschichte ist komplex: Mitralklappenersatz, allogene Transplantation bei Multiplem Myelom sowie mehrere tiefe Venenthrombosen. Außerdem war zwei Wochen zuvor eine rechtsseitige Mastektomie durchgeführt worden, berichtete Dr. Harry Coleman vom St. Bartholomew’s Hospital London. Seit dem Eingriff hatte man ihn von Warfarin auf 18 000 IE niedermolekulares Heparin (LMWH) täglich umgestellt.
Das transthorakale Echo ergab den Verdacht auf eine Mitralklappenthrombose, der sich im Verlauf bestätigte. Inzwischen hatte die Thrombose eine erhebliche Stenose bewirkt. Mit 1,8 (l/min)/m2 lag der Herzindex deutlich unter der Norm. Es folgte ein kardiogener Schock. die Kollegen steuerten mit Inotropika (Vasopressin, Adrenalin, Noradrenalin, Milrinon) gegen und schafften es, den mittleren arteriellen Druck über 65 mmHg anzuheben.
Der EuroSCORE II** sprach mit 35,43 % für ein massiv erhöhtes Operationsrisiko. Daher entschloss man sich zur Thrombolyse. Diese gelang auch – doch leider gab es schwere Komplikationen wie einen Hämatopneumothorax und hämorrhagische Hirninfarkte mit Mittellinienverlagerung. Schließlich starb der Mann. Die Ursache für diese Katastrophe dürfte wohl in der Umstellung auf das LMWH liegen, sagte Dr. Coleman. Periinterventionell sollte man besser auf ein unfraktioniertes Heparin umsteigen und die orale Antikoagulation so früh wie möglich wieder aufnehmen, so sein Rat.
Der plaquefreie Infarkt
Dr. Damla Koca von der Cerrahpasa School of Medicine der Universität Istanbul präsentierte den Fall eines 25-Jährigen, der mit starken retrosternalen Schmerzen die Klinik aufsuchte. Kardiovaskuläre Risikofaktoren fehlten, trotzdem hatte er drei Jahre zuvor einen Infarkt erlitten. Im Herzkatheter hatte sich damals ein Thrombus dargestellt, der entfernt worden war.
Das EKG zeigte einen klassischen ST-Hebungsinfarkt (STEMI), Angio und intravaskulärer Ultraschall einen großen Füllungsdefekt der rechten Koronararterie (RCA) ohne jegliche Hinweise auf atherosklerotische Gefäßveränderungen. Es handelte sich abermals um einen Thrombus, den die Kollegen aspirieren konnten. Anschließend erhielt der junge Mann eine Tirofiban-Infusion.
Jetzt schien klar, dass ein Grundleiden dahinterstecken musste. Spontane intrakoronare Verschlüsse können z.B. durch eine Gerinnungsstörung oder Drogenmissbrauch entstehen. Nach Untersuchung durch die Rheumatologen und Hämatologen stand fest: Der Patient hat eine Polycythaemia vera. Die myeloproliferative Erkankung ist als alleinige Ursache einer Koronarthrombose selten. Allerdings zeichnen Myokardinfarkte für die Hälfte aller letalen Gefäßverschlüsse bei den Betroffenen verantwortlich. Zudem steigt durch die Polycythaemia vera das Risiko für Stentthrombosen. Eine Stentimplantation gilt es also zu vermeiden. Priorität hat die Therapie der Grunderkrankung.
Drei waren einer zu viel
Weniger glimpflich verlief zunächst der Fall von Dr. Marco Mennuni vom Hospital Maggiore Della Carita im italienischen Novara. Sein 49-jähriger Schützling kam mit einem STEMI umgehend ins Katheterlabor. Die Angio zeigte Verschlüsse in drei Gefäßen, und zwar in RCA, in einem Zweig der Circumflexa (OM2) und im Ramus interventricularis anterior (RIVA). Bevor man sie versorgen konnte, rutschte der Mann in den kardiogenen Schock. Auf Inotropika sprach er nicht an.
Es blieb kein anderer Ausweg als eine intraaortale Ballonpumpe (IABP) zu implantieren. Unter diesem Schutz erfolgte die perkutane Invervention. Doch nach zwei Stents in der RCA erlitt der Patient einen Herzstillstand. Nächster Schritt: IABP raus, extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) anschließen. Nun konnte die LAD versorgt werden. Postinterventionell lag die Ejektionsfraktion (EF) bei gerade einmal 10 %. Dennoch gelang die langsame Entwöhnung von ECMO und Beatmung. Die kardiale Reha konnte planmäßig stattfinden und brachte den 49-Jährigen ins NYHA Stadium II mit einer EF von 30 %.
Die schockige Immunsupprimierte
Die ECMO brauchte auch eine 55-jährige Patientin mit initial akuten Brustschmerzen. Anamnestisch war eine nicht-ischämische Kardiomyopathie mit einer EF von 20 % bekannt, berichtete Dr. Ioannis Mastoris von der Kardiologie am University of Kansas Medical Center. Außerdem bestand eine rheumatoide Arthritis (RA), deren Behandlung kürzlich auf Etanercept und Meloxicam umgestellt worden war.
Im Labor fanden sich Troponin und BNP sowie Krea und Entzündungsmarker erhöht. Im Röntgen-Thorax sahen die Kollegen eine milde Kardiomegalie und eine gestaute Lunge mit interstitiellem Ödem. ST-Hebungen im EKG gab es keine. Bevor weiteruntersucht werden konnte, geriet die Frau in den kardiogenen Schock. Nach IABP-Implantation und medikamentöser Therapie mit Dobutamin, Noradrenalin und Furosemid besserte sich der Zustand.
Milrinon sollte die Patientin von der IABP entwöhnen – leider ohne Erfolg. Im Gegenteil, es traten vermehrt ventrikuläre Extrasystolen auf, die im Kammerflimmern und Herzstillstand endeten. Es folgte das komplette Programm: Sedierung, Beatmung, schließlich ECMO. Unter dieser Therapie erholte sich die 55-Jährige allmählich.
Noch blieb der Auslöser dieser schweren Entgleisung unklar. Erst die Myokardbiopsie brachte eine Riesenzellmyokarditis ans Licht, vermutlich auf dem Boden der RA. Die klinisch miserable Situation führte Dr. Mastoris am ehesten auf das Etanercept zurück. Denn von vielen TNF-α-Inhibitoren ist bekannt, dass sie die kardiale Situation bei Herzinsuffizienten verschlechtern. Aktuell steht bei der Patienten die Implantation eines linksventrikulären Assist-Device im Raum.
Multiorganversagen aus dem Nichts
Eine 26-Jährige bereitete Dr. Yuki Sahashi vom Department of Cardiology der Gifu University in Japan Kopfzerbrechen. Ihre ersten Symptome: Brustschmerz und Beinödeme beidseits. In der Anamnese gab es weder kardiale noch sonstige Vorerkrankungen. Die Frau ging zunächst zum niedergelassenen Arzt.
Sie war initial hyperton, tachykard und zynotisch, ihre EF lag nur noch bei 20,3 %. Der Kollege veranlasste die sofortige notfallmäßige stationäre Einweisung. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus erlitt sie einen Herzstillstand. Unter Reanimationsbedingungen kam sie in der Klinik an, wo man sie sofort an die ECMO anschloss. In der Angio ließen sich keine Stenosen erkennen, laborchemisch bot sich das Bild eines Multiorganversagens mit Nierenausfall, disseminierter intravasaler Gerinnung und metabolischer Azidose. ECMO, Dialyse und Katecholamine stabilisierten den Zustand. Nach 40 Tagen hatte die Frau eine EF von 65 %.
Die Ursache fand sich in den erweiterten Blutuntersuchungen in Form von Anti-Cardiolipin-Antikörpern. Die 26-Jährige hatte folglich ein Antiphospholipidsyndrom (APS). Genauer: ein „katastrophales APS“ (CAPS). Dieses zeichnet sich aus durch
- Multiorganversagen in kürzester Zeit,
- den histopathologischen Nachweis multipler Verschlüsse in kleinen Gefäßen sowie
- Antiphospholipid-Antikörper im Blut.
Im vorliegenden Fall dürfte das CAPS wohl eine fulminante Myokarditis ausgelöst haben, denn die sonst eher typischen Verschlüsse in den Koronarien lagen nicht vor. Diese Komplikation wurde bisher nur selten beschrieben. Die therapeutischen Optionen des APS umfassen Kortikosteroide, i.v.-Immunglobuline, Antikoagulanzien und den Plasmaaustausch.
Ein böses postinterventionelles Erwachen
Eine mysteriöse Schockursache beschäftigte den indischen Kollegen Dr. Ashwin Kodliwadmath, Department of Cardiology, All India Institute of Medical Sciences, Rishikesh. Seine 54-jährige Patientin hatte sechs Monate zuvor einen Hinterwandinfarkt erlitten, seit zwei Monaten bestanden stabile AP-Beschwerden. Das EKG gab nichts Bahnbrechendes her, dennoch entschloss man sich zur PCI und entdeckte zwei Stenosen, die dilatiert wurden.
Eine halbe Stunde nach der Intervention klagte die Frau über innere Unruhe, Angst, Übelkeit und Erbrechen. Der Blutdruck rutschte in den Keller, der Puls begann zu rasen. EKG und Echo wiesen weder auf Blutungen noch auf Stenosen oder eine Embolie hin. Die EF war normal. Nichtsdestotrotz mündete auch dieser Fall zunächst im kardiogenen, reanimationspflichtigen Schock.
Die notfallmäßige erneute Angio brachte keinen wegweisenden Befund – dafür aber das Labor. Hyperkaliämie und Hyponatriämie deuteten auf eine akute Nebenniereninsuffizienz hin. Diese Diagnose sollte man laut dem Referenten bei einem unklaren Schock nach PCI immer in Betracht ziehen. Unter i.v.-Steroidgabe besserte sich der Zustand der Patientin binnen weniger Stunden deutlich, die Therapie wurde nach vier Tagen oral fortgeführt.
Quelle: ESC* Congress 2019
* European Cardiovascular Society
** European System for Cardiac Operative Risk Evaluation II: Dient der Bestimmung des postoperativen Risikos von Patienten, die einen Herzeingriff erhalten sollen.
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