Rheumatoide Arthritis
Die rheumatoide Arthritis ist eine chronisch-entzündliche Systemerkrankung, bei der es zu einer Synovialitis mit Arthritis, Bursitis und Tendovaginitis kommt. Fakultativ werden auch extraartikuläre Manifestationen beobachtet.
Der Verlauf ist schubweise progredient und führt unbehandelt zu Gelenkdestruktionen mit drohender Invalidität. Eine möglichst frühzeitige Diagnose und Therapie sollte daher angestrebt werden.
Die Prävalenz der RA liegt zwischen 0,5 und 1 %, wobei Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. In jüngster Zeit scheint die Inzidenz der RA abgenommen zu haben.
Der Gipfel der Neuerkrankungsrate liegt bei Frauen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren, bei Männern zwischen 65 und 75 Jahren. Genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen: Man findet eine familiäre Häufung und 70 % der Erkrankten haben das HLA-Antigen DR4/DRB1.
Die Manifestationen der RA sind zu Beginn und im Verlauf sehr unterschiedlich. Es gibt selbstlimitierende milde Verläufe – aber auch schwere Krankheitsformen, die rasch zur Gelenkdestruktionen führen können.
Prognostisch ungünstige Faktoren sind:
- positiver Rheumafaktor (RF) und/oder Antikörper gegen citrullinierte Peptide/Proteine
- höheres Alter bei Beginn der Erkrankung (> 60 Jahre)
- weibliches Geschlecht (Frauen erleiden größere Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und haben eine höhere die krankheitsbedingte Mortalität)
- fehlende soziale Bezugssysteme, schlechte ökonomische Bedingungen
- niedriges Bildungsniveau
- Rauchen
- bereits eingetretene knöcherne Destruktion (Erosionen, Knochenödem)
- verzögerter Therapiebeginn mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten
Komplikationen der RA sind:
- Funktionsverlust und Fehlstellung von Gelenken
- Nebenwirkungen der antirheumatischen Therapie
- sekundäre Amyloidose vom AA-Typ (sehr selten)
- T-gamma-lymphoproliferatives Syndrom (sehr selten)
Unspezifische Allgemeinsymptome
Abgeschlagenheit, nächtliches Schwitzen, evtl. subfebrile Temperaturen, Myalgien, Palmarerythem
Gelenkmanifestationen
- Sehr typisch für RA sind Schmerz, Schwellung und Steifheit vor allem von Hand-, Fingergrund-, Fingermittel- und/oder Zehengrundgelenken – aber auch mittlere und große Gelenke können befallen sein.
- die distalen Interphalangealgelenken II – V sind typischerweise nicht betroffen
- meist polytoper Gelenkbefall (> als 3 Gelenke), symmetrisch (beidseitig)
- Morgensteife (> 60 min)
- häufig Karpaltunnelsyndrom oder Sulcus-ulnaris-Syndrom durch Synovitis der Sehnenscheiden
- gehäuft Bakerzyste (Kniegelenk)
Bestehen die Symptome einer Synovitis (Gelenkschwellung) mindestens 6 Wochen, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer frühen RA. Bei einer Persistenz von mehr als 3–6 Monaten ist eine RA wahrscheinlich, sofern keine anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen vorliegen.
Rheumaknoten
- bei etwa 20 % der Patienten
- in Sehnen und subkutan (besonders häufig Streckseite der Ellbogengelenke)
Extraartikuläre Manifestationen
Herz: Perikarditis und Herzklappenveränderungen (ca. 30 % meist asymptomatisch)
Lunge: gehäuft COPD, Pleuritis (meist asymptomatisch), interstitielle Lungenerkrankung (ca. 10 %)
Leber: unspezifische Leberenzymerhöhung, selten periportale Fibrose
Niere: selten fokale membranöse Glomerulonephritis
Augen: Keratokonjunctivitis sicca (sekundäres Sjögren-Syndrom), Skleritis
Gefäße: rheumatoide Vaskulitis, vorzeitige Arteriosklerose
Typische Untersuchungsbefunde sind:
- „prallelastische“ Schwellung (Synovitis) und Schmerzangabe bei Druck bzw. Bewegungsprüfung der Hand-, Fingergrund- und Fingermittelgelenke
- „Querdruckschmerz“ bei seitlichem Zusammendrucken im Bereich der Finger- und Zehengrundgelenke
- Schwellungen anderer Gelenke
- evtl. Überwärmung der betroffenen Gelenke
- evtl. Rheumaknoten
Klinisch richtungsweisender Befund für die Verdachtsdiagnose RA:
- Mehr als 2 betroffene Gelenke seit ≥ 6 Wochen
- polyartikuläres symmetrisches Verteilungsmuster
- Morgensteife ≥ 60 Minuten
Patienten mit persistierenden Gelenkschwellungen ( länger als 6 Wochen) in mehr als 2 Gelenken sollten unter dem Verdacht auf eine frühe rheumatoide Arthritis (ERA) einem Rheumatologen vorgestellt werden.
Labordiagnostik:
Richtungsweisende Laborbefunde für die RA sind: Erhöhte BSG, erhöhtes CRP, Nachweis von Rheumafaktoren und/oder Nachweis von Antikörpern gegen cyclische citrullinierte Peptide/Proteine (ACPA).
BSG↑: häufig erhöht bei der (unbehandelten) RA, aber unspezifisch (auch bei Anämien, anderen entzündlichen Erkrankungen)
CRP↑: reflektiert besser die sog. Akut-Phase-Reaktion (Krankheitsaktivität), ansonsten aber genauso unspezifisch wie BSG
Blutbild: Entzündungsanämie (normochrom oder hypochrom, normozytär, Thrombozytose) bei länger dauernder aktiver Erkrankung
IgM-Rheumafaktor (RF): positiv bei 65–80 % der RA-Patienten; 55-85% bei ERA
Antikörper gegen cyclische citrullinierte Peptide/Proteine (ACPA): hochspezifisch für die RA (>95 %) und dabei genauso sensitiv (64-86 %) wie RF, kann schon vor klinischer Manifestation einer RA positiv sein
Urinuntersuchung: Ausschluss einer Hämaturie, Proteinurie als Hinweis für andere Erkrankungen (z.B. Kollagenosen)
Antinukleäre-Ak (ANA): differentialdiagnostischer Hinweis für Kollagenosen (z.B. SLE), schwach positiv auch bei der RA oder Normalpersonen
Antineutrophilen-Cytoplasma-Ak (ANCA): differentialdiagnostischer Hinweis für Vaskulitiden (z.B. M. Wegener)
HLA-B27: differentialdiagnostischer Hinweis für Spondyloarthritiden
Harnsäure/Gelenkpunktat: Abgrenzung zur polyartrikulären Gicht (selten) und infektiösen Arthritiden (meist einzelne, große Gelenke)
Weitere diagnostische Verfahren:
Röntgen
- bei klinischem Verdacht auf eine RA dorsovolare Aufnahmen (ggfs. Schrägaufnahmen) von beiden Händen und Füßen
- Ausgangsbefund für die weitere Verlaufsbeurteilung
Sonographie
- Nachweis von Gelenkergüssen, synovialer Proliferation, Tenovaginitiden, Erosionen
- In der Hand des erfahrenen Untersuchers wichtige Ergänzung des klinischen Befundes
Szintigraphie
- Nachweis und Verteilung von Zonen gesteigerten Knochenstoffwechsels unabhängig von deren Ursache (nicht spezifisch für RA)
- Indikationsstellung durch Rheumatologen
MRT
- Hochsensitive und hochauflösende Bildgebung zu Struktur und Funktion von Knochen, Gelenken, Sehnen und Muskeln
- Kein Routineverfahren, Indikationsstellung durch Rheumatologen.
Wichtige Differenzialdiagnosen sind:
- Kollagenosen (z.B. systemsicher Lupus erythematodes, Sharp-Syndrom)
- Vaskulitiden (z.B. Panarteriitis nodosa)
- Hämochromatose
- Spondylarthritiden
- Rheumatisches Fieber
- Lyme-Arthritis
- infektiöse (septische) Arthritis
- Arthritiden bei Virusinfekten
- paraneoplastische rheumatische Beschwerden
- Arthritis bei Sarkoidose
- M. Behcet
- Arthritis urica (Gicht)
- Chondrokalzinose
- aktivierte Arthrosen
- erosive Arthrose der Fingergelenke
- Rhizarthrose
- Pachydermodaktylie (angeborene Auftreibung der PIP-Gelenke)
- Fibromyalgie-Syndrom
- Karpaltunnelsyndrom bei anderen Erkrankungen oder idopathisch
Sofort nach Diagnosesicherung sollte eine krankheitsmodfizierende Basistherapie mit sogenannten DMARDs (Disease modifying Antirheumatic drugs) begonnen werden, um weitere Schäden an den Gelenken zu verhindern. Diese Medikamente wirken nicht nur symptomatisch, sondern zeigen positive Wirkungen auf den Krankheitsverlauf.
Basistherapie mit DMARDs
Methotrexat (MTX):
- Mittel der Wahl in der Primärtherapie
Andere Immunsuppressiva:
- z.B. Azathioprin, Ciclosporin A, Leflunomid
- Reservemittel, falls MTX nicht hilft oder kontraindiziert ist
Alkylanzien (z.B. Cyclophosphamid):
- bei schweren Verläufen mit lebensbedrohlichen Organmanifestatioen (z.B. Vaskulitis)
Sulfasalazin:
- bei leichtem, nicht-erosivem Verlauf oder in Kombination mit anderen DMARDs
Hydroxychloroquin:
- bei leichtem, nicht-erosivem Verlauf oder in Kombination mit anderen DMARDs
Biologika:
Die Therapie mit Biologika ist schweren Verlaufsformen vorbehalten und erst nach Versagen anderer, konventioneller DMARDs indiziert – je nach Zulassungsauflage in Kombination mit MTX. Zur Verfügung stehen:
- anti-TNFα-Therapie (Infliximab, Adalilumab, Etanercept, Certolizumab pegol, Golilumab) -Tocilizumab (IL-6-Blockade)
- Anakinra (IL-1-Rezepotorantagonist)
- Rituximab (anti-CD20-Antikörper)
- Abatacept (CTLA4-lg-Fusionsprotein)
Kombinationstherapie:
Lässt sich durch ein DMARD keine ausreichende Krankheitskontrolle erreichen, sollten bereits frühzeitig verschiedene DMARDs kombiniert werden. Die Kombination verschiedener Biologika hat dabei keinen Nutzen gezeigt.
Glukokortikoide
- bei aktiver RA temporär bis zum Wirkeintritt der DMARDs („bridging“)
- bei hochaktiver RA auch längerfristig als „low-dose“-Steroidtherapie
- evtl. intraartikuläre Injektionen (nur zur Überbrückung bis Basistherapie wirkt)
NSAR/Coxibe
- ggf. zur symptomatischen Therapie, keine positive Wirkung auf Krankheitsverlauf
Nicht-medikamentöse Therapien:
Bewegungstherapie/Physiotherapie:
- Die Patienten sollten dazu ermuntert werden, regelmäßige dynamische Bewegungsübungen und ein individuell abgestimmtes Kraft- und Ausdauertraining durchzuführen.
- Bei Funktionseinschränkungen sollte Physiotherapie verordnet werden.
- Die Patienten sollten zu sportlichen Aktivitäten ermuntert werden (vor allem Schwimmen, Radfahren, evtl. Gymnastik, Gehen/ Walking auf weichem Boden und Tanzen)
- Spitzenbelastungen und bestimmte Sportarten sollten vermieden werden (z.B. Kampfsportarten, Krafttraining mit hohen Belastungsintensitäten, Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko, extreme Dauerleistungen und Sportarten, die zu einseitigen Belastungen führen).
Ergotherapie:
- bei Einschränkungen der Handfunktion und von Alltagsfunktionen
Orthopädische Schuhversorgung:
- bei Patienten mit Fußproblemen
Psychologische Interventionen:
- bei mangelnder Krankheitsbewältigung
Patienteninformationen und –schulungen:
- Allen RA-Patienten sollten entsprechende Schulungen angeboten werden.
Die Wirksamkeit von ergänzenden Verfahren wie z.B. Akupunktur, Ayurveda, Diäten, Homöopathie, Phytotherapie, Radontherapie, TaiChi oder TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation) ist bei RA nicht durch Studien belegt.
Operative Therapieverfahren:
- evtl. Synovektomie (arthoskopisch oder offen)
- rekonstruktive Operationen (z.B. Handgelenksarthrodese, Operationen der Vorfüße)
- rechtzeitiger prothetischer Gelenkersatz
Eine wirksame Prävention ist nicht bekannt.
1. Herold - Innere Medizin 2017
S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie:
Medikamentöse Therapie der rheumatoiden Arthritis
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie:
Interdisziplinäre Leitlinie – Management der frühen rheumatoiden Arthritis
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