Fibromyalgie

Definition

Unter Fibromyalgie versteht man einen Symptomenkomplex mit folgenden Kernsymptomen:

  • chronische Schmerzen in verschiedenen Körperregionen mit typischen schmerzhaften Druckpunkten („tender points“)
  • Schlafstörung bzw. nicht erholsamer Schlaf
  • Müdigkeit bzw. Erschöpfungsneigung (körperlich und seelisch)

Die Punktprävalenz liegt in der deutschen Bevölkerung bei etwa 2 %. Frauen scheinen häufiger betroffen zu sein als Männern und das häufigste Manifestationsalter liegt zwischen 40 und 60 Jahren. Jenseits des 60. Lebensjahres nehmen die Beschwerden oft ab.

Die Fibromyalgie kann mit depressiven Symptomen assoziiert sein, wird aber nicht als depressive Störung klassifiziert. Es werden unterschiedlich stark ausgeprägte Verlaufsformen beobachtet, eine allgemein anerkannte Schweregradeinteilung fehlt jedoch.

Es lässt sich eine primäre Fibromyalgie von einer sekundären Form unterscheiden, wie man sie z.B. bei rheumatischen Systemerkrankungen oder Infektionserkrankungen (vor allem Virusinfekte wie EBV, Hepatitis B/C, HIV) findet.

Anzeige
Symptomatik

Die klinische Diagnose beruht auf der Schilderung des  typischen Symptomkomplexes in der Anamnese, klinischer Untersuchung und dem Ausschluss körperlicher Erkrankungen, welche diesen Symptomkomplex ausreichend erklären können.

Die Diagnosekriterien (ACR 2010) sind:

1. Typisches Symptommuster von

a. chronischen (> 3 Monate) Schmerzen in mehreren Körperregionen (≥ 7 von 19 Schmerzorten auf der regionalen Schmerzskala) und

b. weiteren Symptomen (> 3 Monate)

  • Müdigkeit (körperlich und/oder geistig)
  • Schlafstörungen und/oder nicht erholsamer Schlaf
  • Schwellungs- und/oder Steifigkeitsgefühl in Händen, Füßen oder Gesicht
  • oder Symptomenschwere ≥ 5

2. Ausschluss einer körperlichen Erkrankung, die das typische Symptommuster ausreichend erklären würde.

Mehr zum Thema

Auch wenn Patienten mit Fibromyalgie in der Praxis oft schwierig sind, sie bilden sich ihre Beschwerden nicht ein. Ein Arzt fordert deshalb,…

mehr

Die Fibromyalgie kennt man vor allem als Erkrankung des mittleren Alters. Doch meist begleitet sie Betroffene ein Leben lang. Dabei verändert sie…

mehr
Anzeige
Untersuchung

Die Schmerzsymptomatik sollte anhand einer Schmerzskizze durch den Patienten oder regionalen Schmerzskale erfasst werden.

Außerdem müssen Patienten vollständig körperlich untersucht werden (einschließlich Haut, neurologischer und orthopädischer Befund), um andere Erkrankungen auszuschließen.

Labor

 Diagnostik:

  • Ausfüllen einer Schmerzskizze oder der regionalen Schmerzskala durch den Patienten
  • Gezielte Exploration weiterer Kernsymptome (Müdigkeit, Schlafstörungen)
  • Vollständige medizinische Anamnese inkl. Medikamentenanamnese
  •  Screening auf vermehrte seelische Symptombelastung (vor allem Depression und Angst)
  • vollständige körperliche Untersuchung

Basislabor (zum Ausschluss anderer Erkrankungen):

  • BSG, CRP und kleines Blutbild (Ausschluss von z.B. Polymyalgia rheumatica, rheumatoide Arthritis)
  • Kreatinkinase (z.B. Muskelerkrankungen)
  • Kalzium (Ausschluss Hyperkalzämie)
  • TSH (Ausschluss Hypothyreose)
  • 25(OH)-Vitamin D (Ausschluss Vitamin-D-Mangel)

Die Laboruntersuchungen sind bei Fibromyalgie typischerweise alle unauffällig. Ist dies der Fall und zeigen sich auch klinisch keine Hinweise auf andere Erkrankungen, sollten nach den Leitlinien keinen weiteren technischen Untersuchungen mehr durchgeführt werden (z.B. Bildgebung oder neurophysiologische Untersuchungen).

Eine zusätzliche fachpsychotherapeutische Untersuchung wird empfohlen bei folgenden Konstellationen:

  • Hinweise für vermehrte seelische Symptombelastung (Angst, Depression)
  • Angabe von aktuellen schwerwiegenden psychosozialen Stressoren
  • anamnestische Angabe von aktuellen oder früheren psychiatrischen Behandlungen
  • Vorliegen schwerer biographischer Belastungsfaktoren
  • maldadaptive Krankheitsverarbeitung
  • subjektive psychische Krankheitsattributation
Anzeige
Differenzialdiagnostik

 Wichtige Differenzialdiagnosen sind:

  • Tendopathien, entzündliche degenerative Wirbelsäulen- und Gelenkleiden
  • Myofasziales Schmerzsyndrom (komplexe Schmerzsymptome durch Über- oder Fehlbelastung)
  • Polymyositis, Polymyalgia rheumatica
  • Psychosen oder psychosomatische Leiden
  • protrahierte Virusinfekte
Mehr zum Thema

Eine Patientin klagt schon seit Monaten über Schmerzen in verschiedenen Körperregionen. Außerdem kann sie schlecht schlafen und fühlt sich auch…

mehr
Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Die Patienten sollten an erster Stelle umfassend über das Krankheitsbild Fibromyalgie informiert werden. Dazu gehören folgende Hinweise:

  • keine organische Erkrankung, sondern funktionelle Störung
  • Versicherung der Legitimität der Beschwerden
  • Erläuterung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells (Stress, Teufelskreismodelle)
  • Ungefährlichkeit im Sinne einer normalen Lebenserwartung
  • Beschwerdelinderung durch eigene Aktivitäten möglich

Zusammen mit dem Patienten sollte dann realistische individuelle Therapieziele erarbeitet werden. Bei schwerer Ausprägung der Fibrmyalgie sollte eine multimodale Therapie (mindestens ein aktivierendes und ein psychotherapeutisches Verfahren) erfolgen, die auch eine zeitlich begrenzte Anwendung von Medikamenten umfassen kann. Dazu können gehören:

  • Ausdauertraining geringer bis mittlerer Intensität (z.B. schnelles Spazierengehen, Walking, Radfahren, Ergometertraining) 2-3x pro Woche über mindestens 30 Minuten
  • Wasser oder Trockengymnastik (Kombination aerobes Training, Flexibilität-, Koordinations- und Kräftigungsübungen) geringer bis mittlerer Intensität (2-3x pro Woche über mindestens 30 Minuten)
  • kognitive Verhaltenstherapie
  • meditative Bewegungstherapien (Tai -Chi, Qi-Gong, Yoga)
  • zeitlich befristeter Einsatz von Amitryptilin (10 – 50 mg/d)
  • zeitlich befristete Therapie mit Duloxetin (60 mg/d) (bei komorbider generalisierter Angststörung oder Major-Depression)
  • zeitlich befristete Therapie mit Pregabalin (150 -450 mg/d) bei komorbider generalisierter Angststörung

Ausdrücklich abgeraten wird in der Leitlinie von Opioiden und NSAR zur Linderung der Schmerzen.

Mehr zum Thema

Saunabäder härten ab. Das hat wohl jeder schon mal gehört und da ist auch was dran. Doch das Schwitzbad kann noch viel mehr in Sachen Prävention und…

mehr

Eine Alternative zum standardmäßigen aeroben Training für Fibromyalgie-Kranke bietet Tai-Chi. Symptome, Selbstwirksamkeit und Coping bessern sich…

mehr

Generalisierte Dauerschmerzen unklarer Genese: So lässt sich die Fibromyalgie auf den Punkt bringen. Ganz so knackig wie mit der Beschreibung klappt…

mehr

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation kann u.a. die Schmerz­wahrnehmung verändern. Bei vielen Patienten mit chronischen neuropathischen…

mehr

Es ist nicht leicht, eine Behandlung zu finden, die bei Fibromyalgiepatienten Wirkung zeigt. Haben Sie schon mal über den Einsatz von Therapiehunden…

mehr

Richtig viel lässt sich gegen die Fibromyalgie nicht ausrichten. Jetzt zerschlugen sich auch Hoffnungen auf die Wirkungen der Manualtherapie.

mehr

Kognitive Verhaltenstherapie wirkt sich langfristig positiv auf Patienten mit chronischem Ganzkörperschmerz aus. Die Beschwerden lassen sich dadurch…

mehr
Prävention

Eine Prävention ist nicht bekannt. Die Erfolgsaussichten der Therapie sind in den ersten zwei Erkrankungsjahren am höchsten. Die Erkrankung sollte daher möglichst frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden.

Leitlinien

1. Herold - Innere Medizin 2017

S3-Leitlinie der Deutschen Schmerzgesellschaft

„Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms“.

Forschung
Mehr zum Thema

Darmbakterien stehen im Verdacht, bei den verschiedensten Krankheiten eine Rolle zu spielen. Laut einer Untersuchung könnten sie auch mit dem…

mehr

Thermobehandlung

Patienten mit rheumatischen Erkrankungen schwören auf Thermo­behandlungen. Doch wo­rauf der therapeutische Effekt beruht und welches Ausmaß er hat,…

mehr
Abrechnung

Verschenken Sie kein Honorar: Das „Gebühren-Handbuch digital“ ist die ideale Weiterentwicklung der Printausgabe des bekannten „Medical Tribune Gebühren-Handbuchs“ - statt 2000 Buchseiten der schnelle digitale Zugriff.

Was Ihnen die Abrechnung leichter macht:

  • die immer aktuelle Fassung von EBM und GOÄ (Einheitlicher Bewertungsmaßstab und Gebührenordnung für Ärzte)
  • Tipps und Experten-Kommentare zur Honorarabrechnung (EBM/GOÄ), graphisch aufbereitet und leicht verständlich
  • Kommentare von Kollegen lesen und selbst kommentieren
  • persönliche Notizen und Lesezeichen setzen

Zum Gebühren-Handbuch digital »

Fortbildungen

23.11.2024 | 08:55 - 15:45 München

Fortbildung kompakt - Allgemeinmedizin / Innere Medizin 2024

Die Veranstaltung wird zusätzlich online übertragen.

Details Präsenz-Teilnahme Online-Teilnahme Programm
30.11.2024 | 08:55 - 16:55 Berlin

Fortbildung kompakt - Allgemeinmedizin / Innere Medizin 2024

Die Veranstaltung wird zusätzlich online übertragen.

Details Präsenz-Teilnahme Online-Teilnahme Programm
Termin Fortbildung Ort  
23.11.2024 | 08:55 - 15:45

Fortbildung kompakt - Allgemeinmedizin / Innere Medizin 2024

Die Veranstaltung wird zusätzlich online übertragen.

Details Präsenz-Teilnahme Online-Teilnahme Programm
München
7 CME-Punkte
kostenfrei
30.11.2024 | 08:55 - 16:55

Fortbildung kompakt - Allgemeinmedizin / Innere Medizin 2024

Die Veranstaltung wird zusätzlich online übertragen.

Details Präsenz-Teilnahme Online-Teilnahme Programm
Berlin
CME-Punkte werden beantragt
kostenfrei
Alle Fortbildungen




Diese Informationen dienen ausschließlich der Aus- und Weiterbildung von Angehörigen und Studenten der medizinischen Fachkreise (z.B. Ärzte) und enthalten nur allgemeine Hinweise. Sie dürfen nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden und sind kein Ersatz für eine ärztliche Beratung oder Behandlung. Die jeweiligen Autoren haben die Inhalte nach bestem Wissen gepflegt. Dennoch sollten Sie die Informationen stets kritisch prüfen und mit zusätzlichen Quellen vergleichen. Die Autoren und die Betreiber von medical-tribune.de übernehmen keine Haftung für Schäden, die durch nicht-kontrollierte Anwendung von Empfehlungen und Inhalten entstehen. Beiträge, die Angaben zum Einsatz und zur Dosierung von Medikamenten machen, sind die persönliche Einschätzung der Autoren. Sie ersetzen nicht die Empfehlungen des Herstellers oder des behandelnden Arztes oder Apothekers.