Seltene Mutationen können in Einzelfällen ungeahnte therapeutische Chancen bieten

Josef Gulden

In drei aktuellen Kasuistiken von Patientinnen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen wird die Bedeutung einer genetischen Testung hervorgehoben. In drei aktuellen Kasuistiken von Patientinnen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen wird die Bedeutung einer genetischen Testung hervorgehoben. © Mary Long – stock.adobe.com

Drei aktuelle Kasuistiken von Patientinnen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen heben die Bedeutung einer genetischen Testung bei zunächst hoffnungslos erscheinenden Krebsfällen hervor. Die Betroffenen konnten nach fehlgeschlagenen Therapien entsprechend ihres genetischen Profils – HER2-Überexpression, RET- bzw. ESR1-Mutation – doch noch erfolgreich behandelt werden.

Kasuistik 1: HER2-Expressionsprofil von fortgeschrittenen Tumoren prüfen

Das CUP-Syndrom macht ungefähr 3 % aller malignen Neoplasien aus und stellt Therapeut:innen häufig vor besondere Probleme. Kolleg:innen um Dr. ­Sandra ­Algarin ­Perneth von der Mayo Clinic in Rochester beschrieben den Fall einer 54-jährigen Patientin, die wegen eines schmerzlosen, aber beim Schlucken irritierenden Knotens am Hals vorstellig wurde. Zwei vergrößerte Lymphknoten erwiesen sich bioptisch als großzellige, hochgradige neuroendokrine Karzinome mit hoher Proliferationsaktivität. Die Forschenden konnten keinen Primarius dazu identifizieren, aber in der Bildgebung offenbarten sich Metastasen unter anderem in Hirn, Lungen, Knochen und im Halsbereich. Eine Immunchemotherapie mit Atezolizumab, Carboplatin und Etoposid erzielte nach zwei Zyklen eine leichte partielle Remission, die aber nach dem fünften Zyklus bereits wieder in eine Progression überging.

Im Zuge einer umfassenden genomischen Testung von Tumorgewebe ergaben sich neben anderen Befunden eine Amplifikation des HER2-Gens (> 20 Kopien) sowie eine Überexpression der HER2-RNA. Eine probatorische Behandlung mit Trastuzumab-­Deruxtecan (T-DXd) führte bereits nach drei Zyklen zu einer erheblichen Rückbildung, und nach sechs Zyklen war eine nahezu komplette Remission der Manifestationen in Hirn, Lungen, Knochen und Lymphknoten zu sehen. Wegen einer Pneumonitis nach neun Zyklen wurde die Behandlung auf einfaches Trastuzumab geändert bei Zugabe von Glukokortikoiden; das resultierte nach weiteren drei Monaten in einer zerebralen Progression, der die Ärzt:innen eine Ganzhirn-Bestrahlung entgegensetzten. Zwei weitere Therapielinien – zunächst Tucatinib, Trastuzumab und Capecitabin, darauf folgend Ipilimumab und Nivolumab – brachten keine dauerhafte Kontrolle der Erkrankung, sondern eine weitere Progression.

Nach Rücksprache mit Kolleg:innen aus der Pneumologie wurde T-DXd in verminderter Dosis wieder initiiert, kombiniert mit Prednison und einer täglichen pulsoxymetrischen Kontrolle. Nach drei Zyklen dieses Regimes sprach die Patientin wieder an und erhielt zum Zeitpunkt der Abfassung des Manuskripts weiterhin diese Therapie – ohne erneutes Auftreten einer Pneumonitis.

Die Testung von fortgeschrittenen Tumoren auf HER2-Überexpression könnte sich in Zukunft zur Routine entwickeln, schreiben die Forschenden. T-DXd soll in der Phase-2-Studie DESTINY-PanTumor02 an verschiedenen primären, soliden Malignitäten mit HER2-Überexpression getestet werden. 

Quelle:
Algarin-Perneth S et al. JCO Precis Oncol 2023; DOI: 10.1200/PO.23.00242

Kasuistik 2: RET-Alteration kann auch bei SCLC auftreten

Die zweite Kasuistik betrifft eine 52-jährige Nie-Raucherin mit Anfällen, bei der das Team um Prof. Dr. ­Antonio Calles, Hospital General Universitario Gregorio Marañon in Madrid, eine ausgedehnte zerebrale Metastasierung feststellten. Die weitere Exploration ergab ein infiltrierendes kleinzelliges Lungenkarzinom (SCLC) – bei Nie-Rauchern extrem selten – mit massiven hilären und bilateralen mediastinalen Lymphknoten-Konglomeraten. 

Neben einer medikamentösen Behandlung der zerebralen Anfälle erhielt auch diese Patientin Atezolizumab, Carboplatin und Etoposid, aber eine Progression zum Zeitpunkt des ersten Folge-Stagings wies den Tumor als platinresistent aus. Eine Zweitlinien-Chemotherapie schlug ebenfalls nicht an, sodass für die Betroffene sechs Monate nach der Diagnose nur eine Supportivbehandlung zu bleiben schien. Unter dieser verschlechterte sich der Zustand weiter mit Auftreten einer linksseitigen Hemiparese und einem ECOG-Performancestatus von 4.

Die genetische Testung von Tumorgewebe ergab neben anderen Aberrationen eine pathogene Missense-Mutation des RET-Proto­onkogens (C630Y). Daraufhin erhielt die Frau den hochgradig selektiven oralen RET-TKI Selpercatinib. Binnen 24 Stunden besserten sich die Symptome und nach weniger als fünf Tagen verkleinerten sich Haut- und Muskelmetastasen. Nach zwei Monaten offenbarte die Bildgebung eine erhebliche Rückbildung der Tumoren auf allen Ebenen einschließlich der Hirnmetastasen mit vollständiger Remission der vorher bestehenden Hirnödeme. Die Patientin, so die Autor:innen, sei wieder voll aktiv und könne alle ihre Aktivitäten wie vor der Erkrankung wahrnehmen; nach bislang sechs Monaten unter Selpercatinib sei keinerlei Toxizität durch die Behandlung festzustellen.

Der Fall demonstriere neben dem Nutzen einer genetischen Testung, dass spezifische und hochwirksame RET-Inhibitoren auch außerhalb der zugelassenen Indikationen – die hier bislang das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom und Schilddrüsentumoren mit RET-Fusionsmutationen umfassen – wirksam sein können.

Quelle:
Calles A et al. JCO Precis Oncol 2023; DOI: 10.1200/PO.23.00321

Kasuistik 3: Bei endokriner Resistenz auf ESR1-Mutationen testen

Der dritte Fall handelt von einer Patientin aus Israel, die 2007 im Alter von 49 Jahren die Diagnose eines frühen ER+, HER2- Mammakarzinoms erhielt und adjuvant behandelt wurde. 2015 gefundene Metastasen verschwanden unter Aromatase- und CDK4/6-Inhibitoren zunächst vollständig, schreiben Dr. Dr. ­Einav ­Nili ­Gal-Yam, Chaim Sheba Medical Center, Ramat Gan, und Dr. Dr. ­Keren ­Levanon, Tel-Aviv University, Ramat Aviv. Ende 2020 detektierten die Kolleginnen jedoch neue Pleura- und Beckenknochenläsionen. Die Patientin wurde in den Verumarm der randomisierten Phase-2-Studie ­ELAINE 1 aufgenommen, weil sich in der Liquid Biopsy Hotspot-Mutationen im ESR1-Gen fanden. In der Studie prüfen Forschende den nicht-steroidalen Estrogenrezeptor-Liganden Lasofoxifen gegen Fulvestrant. 

Bereits nach zwei Monaten hatte sich die Pleurametastase um mehr als die Hälfte verkleinert und wies keine metabolische Aktivität mehr auf. 16 Wochen nach Beginn der Behandlung war die Remission komplett und derzeit ist nach mehr als zweijähriger Behandlung kein Rezidiv zu erkennen.

Das Fazit der Autorinnen: Der vorliegende Fall könnte, zusammen mit den Daten aus ­ELAINE 1 und ­ELAINE 2, den Einsatz von Lasofoxifen in diesem Setting stärken und den Betroffenen mit bisher unerfülltem medizinischem Bedarf die Chance auf ein dauerhaftes Ansprechen bieten.

Quelle:
Gal-Yam EN et al. JCO Preci Oncol 2023; DOI: 10.1200/PO.23.00097

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In drei aktuellen Kasuistiken von Patientinnen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen wird die Bedeutung einer genetischen Testung hervorgehoben. In drei aktuellen Kasuistiken von Patientinnen mit unterschiedlichen Tumorerkrankungen wird die Bedeutung einer genetischen Testung hervorgehoben. © Mary Long – stock.adobe.com