Sind chirurgische Deeskalationsstrategien nach neoadjuvanter Therapie eine Option?

DGS 2023 Mascha Pömmerl

Sollten Mammakarzinompatient:innen nach einer neoadjuvanter Therapie auf eine Operation verzichten? Sollten Mammakarzinompatient:innen nach einer neoadjuvanter Therapie auf eine Operation verzichten? © vectorfusionart – stock.adobe.com

Die Raten an pathologischen Komplettremissionen nach neoadjuvanten Systemtherapien sind beim triple-negativen bzw. HER2+ Mammakarzinom relativ hoch. Kann hier auf operative Maßnahmen verzichtet werden und wenn ja, auf welche? Bisher konnten Personen, die nach der Neoadjuvanz weder in der Brust noch in der Axilla Tumorzellen aufwiesen, mit nicht-chirurgischen Maßnahmen nicht sicher identifiziert werden.

Für Erkrankte mit triple-negativem oder HER2+ Mammakarzinom stellt sich die Frage, ob man nach der Neoadjuvanz noch operieren muss. „Hier geht es ganz zentral darum, welches Ziel die Operation hat. Ist sie nach neoadjuvanter Therapie primär eine diagnostische oder eine therapeutische Maßnahme?“, fragte Prof. Dr. ­Jörg ­Heil, Brustzentrum Heidelberg.1 Grundsätzlich vollziehe sich in der lokalen Behandlung des Mammakarzinoms von der Mastektomie ausgehend seit Jahrzehnten eine Deeskalation; dabei sei es aber wichtig, nicht den Kipppunkt zu verpassen, wo vielleicht zu wenig gemacht würde, gab der Referent bei aller Befürwortung von Deeskalationsstrategien zu bedenken. Mit heutigem Stand müsse die Antwort auf die Frage, ob nach neoadjuvanter Systemtherapie (NST) auf die OP verzichtet werden könne, „Nein“ lauten, sagte Prof. ­Heil.

In der Axilla ging die Entwicklung von der axillären Lymphknotendissektion hin zur Sentinellymphknotenbiopsie und zur Targeted Axilla Dissection, wenn die Patient:innen mit einer pathologischen Komplettremission (pCR) auf die NST ansprechen. Fraglich ist, ob einige dieser Erkrankten gar keinen Eingriff mehr in der Axilla benötigen. Bei einer Person mit einem kleinen Tumor (TNBC oder HER2+), der anfangs nodal negativ ist (cN0), und die dann mit einer NST eine pCR in der Brust erzielt, sei die Wahrscheinlichkeit, dass danach ein Lymphknoten positiv ist, extrem klein, erläuterte Prof. ­Heil.

„Das Ansprechen auf die neoadjuvante Therapie ist einer der stärksten prognostischen Faktoren, die wir haben“, erklärte Prof. Dr. ­Andreas ­Hartkopf, Universitätsklinikum Tübingen.3 Warum also muss man nach einer pCR noch operieren, habe ihn eine Patientin gefragt, so Prof. ­Heil. „Weil wir heute mit keinem validierten, in der Breite verfügbaren Tool beantworten können, ist da noch Tumor oder nicht? Vor der Operation lässt sich per Bildgebung kaum sicher feststellen, ob noch Krebszellen am Ort des Tumors vorhanden sind.“ Weder Ultraschall, noch Mammografie noch MRT oder PET-CT lieferten verlässliche, eindeutige Ergebnisse, sagte Prof. ­Heil. Mit Blick auf die Falsch-Negativrate von knapp 18 % mithilfe der Vakuumbiopsie (VAB) in der Diagnostik-Studie RESPONDER4 fügte er hinzu: „Auch mit der Vakuumbiopsie haben wir es nicht erreicht, ausreichend sicher den Nicht-Tumorbefall der Brust nachzuweisen.“

Verzicht auf eine Sentinellymphknoten-Biopsie möglich?

Die Autor:innen der ­EUBREAST-01-Studie untersuchen in einem Kollektiv (cT1-T3 cN0 M0) den Verzicht auf die Sentinellymphknoten-Biopsie, wenn radiologisch eine pCR erzielt wurde. Die prospektive einarmige Studie rekrutiert voraussichtlich noch bis November 2024. 

Kann auf eine OP verzichet werden?

Deutsche Kolleg:innen untersuchten am RESPONDER-Kollektiv die Fähigkeit eines Machine Learning Algorithmus, diejenigen Patient:innen zu identifizieren, die komplett auf die präoperative Systemtherapie angesprochen hatten.5 Sie kamen zu dem Schluss, dass der intelligente VAB-Algorithmus Tumorreste nach der neoadjuvanten Behandlung verlässlich ausschließen kann. Bei Personen mit außergewöhnlich gutem Ansprechen könnte zukünftig das Weglassen der OP von Brust und Axilla in klinischen Studien untersucht werden, resümierten die Autor:innen.

Auch in den USA wurde eine Studie zum Verzicht auf die Brust-OP durchgeführt, allerdings „in einem hochselektiven Patient:innengut“, so Prof. ­Heil, und mit einer extrem geringen Teilnehmendenzahl.6 31 Erkrankte mit TNBC oder HER2+ Tumor und pCR in der Vakuumbiopsie wurden nicht operiert. Nach einem medianen Follow-up von 26,4 Monaten war es zu keinem ipsilateralen Mammakarzinom gekommen. Dass bei 31 Betroffenen und noch dazu in diesem überschaubaren Zeitraum kein Rezidiv auftrat, sei „nicht mehr und nicht weniger als vielleicht ein proof of principle“, kommentierte Prof. ­Heil. Es sei an der Zeit, dass auch im operativen Bereich der Senologie mehr Evidenz generiert würde. Dazu brauche es zunächst eine diagnostische, dann aber auch eine therapeutische Studie, um zu klären, ob die Diagnostik die gewünschte Relevanz hat. Herausfordernd sei hier aber die Wahl des Endpunkts. 

Abschließend wies Prof. ­Heil darauf hin, dass die Bedeutung von nicht diagnostizierten und nicht operierten Tumorresiduen nach NST auch vor dem Hintergrund der postneoadjuvanten Behandlungen nicht klar sei. Der Verzicht auf die OP sei ein Schritt in Richtung Individualisierung der onkologischen Therapien, der für einen Teil der Patient:innen tatsächlich passend sein könne.  

Quellen:
1.    Heil J. 42. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie; Vortrag „­­Können wir auf die OP verzichten?“
2.    Barron AU et al. JAMA Surg 2018; 153: 1120-26; DOI: 10.1001/jamasurg.2018.2696
3.    Hartkopf A. 42. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Senologie; Vortrag „Postneoadjuvante Therapiestrategien“
4.    Heil J et al. Ann Surg 2022; 275: 576-81; DOI: 10.1097/SLA.0000000000004246
5.    Pfob A et al. J Clin Oncol 2022; 40: 1903-15; DOI: 10.1200/JCO.21.02439
6.    Kuerer HM et al. Lancet Oncol 2022; 23: 1517-24; DOI: 10.1016/S1470-2045(22)00613-1

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