Stand der Methadondebatte: Warten auf Daten

Manuela Arand

Für beide Positionen gibt es Argumente, aber wenig Studien. Für beide Positionen gibt es Argumente, aber wenig Studien. © iStock/CurvaBezier

An Einzelschicksalen aufgehängte Erfolgsversprechen gibt es in der Onkologie immer wieder. Methadon als potenzielles Krebstherapeutikum ist der jüngste, aber sicher nicht der letzte Fall.

Für Privatdozent Dr. Ulrich Schuler, Direktor des Palliativzentrums am Universitätsklinikum Dresden, begann die Methadondebatte Heiligabend 2014, als ein sterbenskranker Patient aufgenommen wurde. Der verlangte nach Methadon – in der festen Überzeugung, das werde ihn retten. Den Kollegen am MD Anderson Cancer Center in Houston, das Dr. Schuler zwecks Informationsaustausch kontaktiert hatte, war das auch neu. Sie prüften retrospektiv in einer Fallkontrollstudie, ob auf Methadon umgestellte Patienten eine bessere Prognose hatten als die, die ein anderes Opioid zur Schmerztherapie erhalten hatten. Unterschied im Überleben: keiner. Die Kurven verliefen praktisch deckungsgleich. „Damit war das Thema für mich eigentlich erledigt“, so der Referent.

Sprunghaft gestiegenes Interesse auf Suchmaschinen

Einige Zeit passierte nichts, bis im vergangenen Jahr TV-Berichte die Debatte anheizten. Parallel stieg die Anzahl an Anfragen nach „Methadon und Krebs“ in den Suchmaschinen – aber nur in den deutschsprachigen. International schlug das Thema keine großen Wellen. Auch beim Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2017 gab es keinen einzigen Beitrag, der sich mit Methadon in diesem Kontext beschäftigt hätte, berichtete Dr. Schuler: „Das ist ein rein deutsches Phänomen.“

Seit 2017 beschäftigt Methadon viele Akteure: Auf der Pro-Methadon-Seite stehen vor allem die Chemikerin Dr. rer. nat. Claudia Friesen, Universitätsklinikum Ulm, und der niedergelassene Allgemein- und Palliativmediziner Dr. Hans-Jörg Hilscher, Iserlohn. Die Mahner plädieren hingegen dafür, erst einmal eine saubere Datenlage zu schaffen, bevor man Krebspatienten Methadon verab­reicht. Zu dieser Gruppe zählen neben Dr. Schuler diverse Onkologen – wie auch das Klinikum von Dr. Friesens eigener Universität.

Wirksamkeit und Toxizität von Methadon ungeklärt

Auch die DGHO rät in einem Positionspapier zu Zurückhaltung: „Die Daten zur Wirksamkeit von Methadon bei Patienten mit Gliomen beruhen auf einer einzigen, unkontrollierten Studie“, heißt es dort. Sie müssten dringend in kontrollierten Studien überprüft werden, notfalls zunächst in einer Best-case-Analyse. Hier könnten Befürworter ihre besten Fälle einreichen, um sie dann von unabhängigen Wissenschaftlern überprüfen zu lassen.

Bis dahin bleibe nur, die vorhandenen Daten kritisch zu betrachten: Ist Methadon wirklich so ungefährlich wie behauptet? Eine israelische Studie mit Substitutionspatienten kam zu einem anderen Schluss: Hier war die Gesamtmortalität bei Patienten unter Methadondauertherapie 12,2-fach höher als in der Normalbevölkerung. „Kein Grund zur Panik“, beruhigte der Experte. Die Patienten in der Studie waren im Schnitt 40 Jahre alt – in diesem Alter ist die Sterblichkeit bekanntlich nicht besonders hoch. „Das Zwölffache von sehr wenig ist immer noch sehr wenig.“ Nichtsdestotrotz ergaben große Studien aus Frankreich, Australien und Großbritannien, dass mehr Substitutionspatienten unter Methadon sterben als unter Bu­prenorphin. Die Unterschiede seien zwar klein, aber nicht zu vernachlässigen. „Die Leitlinien machen derzeit einen Schwenk von Methadon zu Buprenorphin.“

Toxizität von Methadon nimmt mit dem Alter zu

Was Dr. Schuler Sorgen bereitet ist, dass methadonassoziierte Todesfälle mit dem Alter zunehmen, wie eine britische Datenbankanalyse kürzlich ergab. Krebspatienten sind im Schnitt mindestens 20 Jahre älter als Substitutionspatienten, sodass eine altersabhängige Toxizität erhebliche Probleme bereiten könnte. Der älteste Patient in der britischen Studie war übrigens 64 Jahre alt – dies entspricht ungefähr dem medianen Alter onkologischer Patienten.

Die Befürworter der Methadontherapie halten dagegen, dass bei der onkologischen Indikation jedoch sehr viel niedrigere Dosen benötigt würden. So ganz korrekt ist das laut Dr. Schuler aber nicht: Die Dosis für Substitutionspatienten liegt bei im Schnitt etwa 70 mg/d, die bei Krebs verwendeten Dosen sind etwa halb so hoch. Ob sich damit Gewebespiegel erreichen lassen, die den bei Experimenten in der Petrischale verwendeten Konzentrationen entsprechen, erscheint zweifelhaft. Inzwischen liegen In-vitro-Daten mit gemischten Resultaten vor. In einigen Studien wurde eine synergistische Wirkung mit Zytostatika beobachtet, in anderen nicht, in wieder anderen Versuchen nur in Konzentrationen, die in vivo unrealistisch sind.

Einzelfälle dominieren in der Diskussion

Zweifellos gebe es spektakuläre Einzelfälle wie den der jungen Glioblastom-Patientin, auf den sich viele Fernsehbeiträge gestützt haben – die Patientin ist drei Jahre nach Operation und Radiochemotherapie mit zusätzlicher Methadongabe weiterhin tumorfrei. Ob das auch ohne Methadon der Fall wäre, vermag niemand zu sagen. Ergebnisse einer Auswertung der amerikanischen SEER(Surveillance, Epidemiology and End-Results)-Datenbank verdeutlichen, dass vor allem jüngere Patienten mit Glioblastom nach Radiochemotherapie teilweise lange überleben können. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate betrug in der Studie fast 20 %. „Einzelfälle dominieren die Diskussion, aber sie helfen uns nicht weiter“, gab der Referent zu bedenken.

Er wies abschließend darauf hin, dass Neben- und Wechselwirkungen einer Arzneimitteltherapie meldepflichtig sind. Bei einer Off-label-Anwendung wie im Fall von Methadon gelte das auch für leichte unerwünschte Effekte.

Quelle: Schuler U, Hornemann, B. Oncol Res Treat 2018; 41 (suppl 4): V83

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Für beide Positionen gibt es Argumente, aber wenig Studien. Für beide Positionen gibt es Argumente, aber wenig Studien. © iStock/CurvaBezier