Methadon und Krebs – viel Wind um nichts?

Interview: Christine Vetter

Rechts im Bild: Prof. Dr. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg und DKFZ.
Rechts im Bild: Prof. Dr. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg und DKFZ. © zVg;fotolia/M.Rode-Foto

Es hat um das Thema „Methadon bei Krebs“ in den vergangenen Monaten einen regelrechten Hype in den Medien gegeben. Was wissenschaftlich belegt ist und wie vor diesem Hintergrund Patienten, die nach einer solchen Behandlung fragen, aufzuklären sind, erläutert Professor Dr. Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeine Neurologie/Neuroonkologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

Gibt es wissenschaftliche Belege für die klinische Wirksamkeit von Methadon bei Tumorerkrankungen?

Prof. Dr. Wolfgang Wick: Derzeit existieren keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Methadon die Entwicklung einer Krebserkrankung beim Menschen positiv beeinflussen kann. Es gibt Hinweise aus präklinischen Modellen und insbesondere von Untersuchungen in Zellkulturen, dass Tumorzellen in ihrem Wachstum gehemmt werden können.

Bei diesen Zellkulturen handelt es sich jedoch nicht um realistische experimentelle Modelle des Tumorwachstums, sodass es fraglich ist, welche Relevanz den Befunden zukommt. Die eingesetzten Modelle sind zudem ungeeignet, um aus den Ergebnissen auf Effekte beim Menschen zu schließen. Außerdem liegen die publizierten Wirkstoffkonzentrationen um ein Vielfaches höher als sie beim Menschen erreichbar sind, sodass auch aus diesem Grund eine Übertragbarkeit der Resultate nicht möglich ist. Es wurden bereits erste Experimente im Mausmodell vorgenommen, allerdings ist die Fallzahl bei den Überlebenskurven noch so klein, dass Rückschlüsse bislang nicht möglich sind.

Bedeutet das, dass keine Wirkung gegeben ist?

Prof. Wick: Nein, das heißt es nicht. Es kann durchaus sein, dass es Mechanismen gibt, über die Methadon günstigen Einfluss auf das Tumorwachstum nimmt. Das aber muss in entsprechenden Tests und nachfolgenden Studien eruiert und belegt werden. Und nur, wenn dies wissenschaftlich valide entsprechend den allgemein gültigen Kriterien erfolgt, ist eine Anwendung gerechtfertigt. Davon sind wir jedoch noch sehr weit entfernt.

Was wurde konkret in den Zellkulturen gesehen?

Prof. Wick: Methadon hat bei diesen Versuchen, bei denen Glioblastom- sowie Leukämiezellen eingesetzt wurden, die Zellproliferation gehemmt und in Kombination mit Doxorubicin die Apoptose stimuliert. Es muss noch viel Forschung betrieben werden, ehe klar ist, ob das Konzept der Methadonbehandlung beim Menschen sinnvoll anzuwenden ist. Allerdings gibt es derzeit keine Anschlussförderung für die weitere Forschung, weil die beantragten Versuche hinsichtlich ihrer Qualität und Validität nicht entsprechend bewertet wurden. Das hat nichts damit zu tun, dass die Forschung aus monetären Interessen heraus blockiert worden wäre, wie es in den Medien zum Teil dargestellt wurde. Es bedeutet lediglich, dass die geplanten Versuche nicht den Qualitätsansprüchen genügt haben, die eine weitere Forschungsförderung rechtfertigen würden.

Wie kam es denn dann zu dem enormen Medienecho?

Prof. Wick: Die Deutsche Krebshilfe hat die erste Forschungsphase gefördert und das Ergebnis in einer Pressemitteilung öffentlich dargestellt. Das haben verschiedene Medien aufgegriffen und aus der zunächst seriösen Berichterstattung hat sich das Ganze dann hochgeschaukelt bis hin zur Darstellung als „hoffnungsvolle“ Daten und Ansätze für eine neue Therapieoption bei Patienten mit einem Hirntumor.

Es hat inzwischen von verschiedenen Seiten einschließlich der NOA, also der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft, Stellungnahmen gegeben, die die Relevanz der Daten richtigstellen. Trotzdem werden leider auch von Ärztekammern Praxen gesucht, in denen Methadon bei Tumorpatienten verordnet wird. Das halten wir für nicht seriös, da die wissenschaftliche Basis für diese Verordnungen nicht gegeben ist.

Wie gehen Sie im klinischen Alltag bei der Aufklärung von Patienten vor?

Prof. Wick: Patienten, die gezielt nach Methadon fragen, erkläre ich eindeutig, dass es bislang keine Belege für eine Wirksamkeit gibt und eine Verordnung somit nicht sinnvoll und nicht zu rechtfertigen ist. Denn ich kann es nicht verantworten, Hoffnungen auf Therapieeffekte zu schüren, für die es keinerlei Belege gibt.

Wir sehen derzeit zum Teil Patienten im fortgeschrittenen Tumorstadium, bei denen Therapieoptionen, die sich als unwirksam erwiesen haben und unter denen ein Progress eingetreten ist, fortgeführt werden und die zusätzlich Methadon verordnet bekommen. Das halte ich für nicht zu vertreten und kläre auch diese Patienten entsprechend auf – zumal Methadon ja auch erhebliche Nebenwirkungen verursachen kann. Es macht keinen Sinn, auf Basis der derzeitigen Daten eine unwirksame Therapie fortzuführen und auf Methadoneffekte zu hoffen, anstatt auf eine potenziell gut dokumentierte Zweit- oder Drittlinientherapie umzusteigen. 

Gibt es keine Ausnahmen, in denen Sie Methadon einsetzen?

Prof. Wick: Es mag durchaus Fälle geben, in denen eine Verordnung gerechtfertigt ist. Zum Beispiel kann die Methadontherapie sinnvoll sein bei Patienten im palliativen Setting und insbesondere, wenn sie unter Tumorschmerzen leiden und Opioide erhalten. Wenn Patienten in einem solchen Stadium nach Methadon fragen, wird man ihnen das Präparat sicher nicht vorenthalten, obschon Kollegen aus der Schmerz- und Palliativmedizin aus Gründen der starken interindividuellen Variabilität der Effekte und mäßiger Handhabbarkeit häufig andere Opiate bevorzugen.

Wir sehen die Therapie mit Methadon bei diesen wenigen Patienten als einen Kompromiss; Dogmatismus ist in der Medizin selten günstig. Die Anwendung ist allerdings auf solche Einzelfälle zu beschränken. Alles andere ist aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht nicht korrekt.

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Rechts im Bild: Prof. Dr. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg und DKFZ.
Rechts im Bild: Prof. Dr. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg und DKFZ. © zVg;fotolia/M.Rode-Foto