Symptomlinderung an erster Stelle

Dr. Dorothea Ranft

Irgendwann kratzt man, obwohl es keinen Auslöser mehr dafür gibt und der Juckreiz wird chronisch. Irgendwann kratzt man, obwohl es keinen Auslöser mehr dafür gibt und der Juckreiz wird chronisch. © iStock/Anut21ng

Ein chronischer Pruritus bleibt aufgrund der Vielzahl an potenziellen, nicht nur dermatologischen Auslösern schwer zu bändigen. An erster Stelle steht die Symptomlinderung, das spiegelt auch die aktualisierte S2k-Leitlinie wider. 

Als chronisch wird ein Pruritus bezeichnet, wenn er länger als sechs Wochen anhält. Er kann unabhängig vom Auslöser fortbestehen, verliert dann ähnlich wie Schmerz seine Warnfunktion und wird zum eigenständigen Krankheitsbild. Da sich die Mechanismen hinter der Chronifizierung zwischen den verschiedenen Pruritusformen nicht grundlegend unterscheiden, ähneln sich auch die Therapieansätze.

Am Anfang steht eine sorgfältige Anamnese zu Juckempfinden, Kratzverhalten (Finger, Bürste etc.) und potenziellen Ursachen. Außerdem müssen durch die hohe Krankheitslast auch psychische Erkrankungen (Angststörung, Depression) erfasst und interdisziplinär weiterverfolgt werden. Inspiziert wird die gesamte Haut einschließlich Mukosa, Kapillitium, Haare, Nägel und Anogenitalregion. Eine Schwierigkeit besteht mitunter darin, Kratzläsionen und Hautveränderungen durch eine Dermatose zu unterscheiden, da sie sich z.T. überlagern können. Eingeteilt werden die verschiedenen Pruritusformen nach IFSI-Klassifikation.

Außerdem empfiehlt die Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) eine Palpation von Leber, Nieren, Milz und Lymphknoten, um internistische Ursachen nicht zu übersehen. Bei unklarer Genese können eventuell Labordiagnostik (s. Kasten), apparative Untersuchungen und Biopsien weiterhelfen. 

Basislabor bei chronischem Pruritus

  • BSG, CRP
  • Differenzialblutbild, Ferritin
  • Bilirubin, Transaminasen, AP
  • Kreatinin, Harnstoff, eGFR, Kalium, Urinstreifentest
  • Nüchternblutzucker
  • Laktatdehydrogenase
  • TSH

Je nach Ergebnis sollte die zugrunde liegende Erkrankung behandelt, Allergene gemieden oder auslösende Medikamente abgesetzt werden. Damit endet aber ein bereits chronifizierter Juckreiz nur selten, betonen die Leitlinienautoren. Zur Symptomlinderung tragen bereits einige allgemeine Maßnahmen bei (s. Kasten). Eine entscheidende Rolle kommt der rückfettenden und hydratisierenden Basistherapie zu, die auch in beschwerdefreien Intervallen beibehalten werden sollte. 

Allgemeine Therapiemaßnahmen

Verwenden

Vermeiden

milde, nicht alkalische Seifen, rückfettende Waschsyndets oder Dusch- und Badeöle

Hitze (z.B. Sauna)

lauwarmes Wasser (kurz und nicht zu oft baden), bei Dermatosen nach Wasserkontakt die Haut abtupfen statt abreiben

alkoholische Umschläge

rückfettende topische Basistherapie (mindestens einmal täglich, v.a. nach dem Duschen und Baden)

Irritanzien wie Kamille, Teebaumöl, Rivanol meiden

Präparate zur kurzfristigen Linderung (z.B. Menthol, Polidocanol), Umschläge (feucht, fett-feucht, kühlend)

scharf gewürztes Essen

weiche luftige Kleidung, z.B. aus Baumwolle

größere Alkoholmengen 

modifizierte Kratztechnik: kalten Waschlappen auflegen, leichten Druck anwenden und mit Handschuhen schlafen

Aufregung, Stress 

Bei Atopie: Allergene (z.B. Hausstaubmilben)

Die Basis kann man je nach Situation um spezifische lokale Wirkstoffe / Therapien ergänzen.

  • Menthol, Polidocanol und ggf. Lidocain: Sie haben aber lediglich einen kurzzeitigen Effekt. 
  • Topische Glukokortikoide: Ihr Einsatz sollte sich auf entzündlichen Hautveränderungen beschränken oder auf Fälle, die auf keine Alternative ansprechen.
  • Capsaicin z.B. als 8%iges Pflaster: Geeignet zur Behandlung des chronischen lokalisierten Pruritus, brachioradialem Pruritus oder Notalgia paraesthetica. 
  • Lokal wirksame Calcineurin­inhibitoren wie Pimecrolimus: Sie haben sich bei Pruritus-Patienten mit atopischem Ekzem bewährt (Zweitlinientherapie) und können off label auch bei anderen inflammatorischen Dermatosen und Kratzläsionen angewandt werden. 
  • UV-Phototherapie: Sie hat den Vorteil, dass sie bei renalen, hepatischen und hämatologischen Grunderkrankungen (z.B. Polycythaemia vera) ebenfalls wirkt.

Die Empfehlung topischer Cannabinoidrezeptor-Agonisten ist dagegen bei der Aktualisierung herausgefallen.

Systemisch kann man weiterhin zur initialen symptomatischen Behandlung auf nicht-sedierende Antihistaminika zurückgreifen, bei Bedarf auch hochdosiert (bis zur vierfachen Standardmenge). Allerdings enthält die aktuelle Leitlinie nur noch eine „kann erwogen werden“ Empfehlung. Steroide kommen systemisch nur bei schwerstem Pruritus infrage und sollten auf maximal zwei bis drei Wochen begrenzt werden. 

Patienten mit chronischer nodulärer Prurigo können von einer immunsuppressiven Behandlung z.B. mit Ciclosporin, Methotrexat oder Azathioprin profitieren. Fallberichte sprechen zudem für eine Wirkung von Dupilumab, welches die IL-4/IL-13-Signalwege hemmt. Wie gut sich immunmodulierende Substanzen für die rein symptomatische Therapie eines chronischen Pruritus eignen, konnte noch nicht abschließend gesichert werden. 

Bei unklarer Ursache oder mangelndem Ansprechen kommen Gabapentinoide, Antidepressiva und Opioidantagonisten infrage. Gabapentin und Pregabalin werden auch speziell für Patienten mit neuropathischem und nephrogenem Pruritus empfohlen. Die Opioidantagonisten Naltrexon (oral) und Naloxon (i.v.) entfalten ihren antipruritischen Effekt über das ZNS. Wichtig ist die Aufklärung über etwaige anfängliche Nebenwirkungen wie Erbrechen, Schwindel und Müdigkeit sowie den abschwächenden Effekt im Falle einer morphinbasierten Schmerztherapie. 

Aus der Gruppe der Antidepressiva bevorzugt das Leitliniengremium Serotoninwiederaufnahmehemmer (off label), wobei die beste Evidenz für den paraneoplastischen, urämischen und hepatischen Pruritus vorliegt. Auch das sedierende Mirtazapin (abendliche Einnahme) und das Trizyklikum Doxepin können off label eingesetzt werden. Serotonin- und Leukotrien-Rezeptorantagonisten werden generell nicht mehr empfohlen.

Chronischer Pruritus unklarer Genese

1. Wahl: 

H1-Antihistaminika (ggf. Hochdosis) oder Gabapentin (bis 3.600 mg/d) bzw. Pregabalin (bis 600 mg/d)

2. Wahl:

Paroxetin 20 mg/d

3. Wahl: 

Mirtazapin 15 mg abends

4. Wahl: 

UVB-Therapie (311 nm)

5. Wahl:

Naltrexon (50–150 mg/d oral) oder 
Naloxon (1,6 mg /h für 4 h, i.v.)

Begleitend eignen sich bei erosiven Kratzläsionen topische Antiseptika und lokal wirksame Steroide. Schlafstörungen lassen sich mit Hypnotika, sedierende Antidepressiva und niedrig potenten Neuroleptika angehen. Auch psychosomatische Interventionen können nützlich sein. 

Viele Patienten mit chronischem Pruritus profitieren von Entspannungstechniken wie einem autogenen Training mit Kühlsuggestionen. Psychoedukative Schulungsprogramme reduzieren die Neigung der Patienten zu Katastrophisieren, mindern das Gefühl der Hilflosigkeit und können den Teufelskreis aus Jucken und Kratzen durchbrechen. Vorliegende psychische Begleiterkrankungen (Depression etc.) sollten leitliniengerecht behandelt werden. 

Quelle: S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus“, AWMF-Register-Nr.: 013-0482, www.awmf.org

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Irgendwann kratzt man, obwohl es keinen Auslöser mehr dafür gibt und der Juckreiz wird chronisch. Irgendwann kratzt man, obwohl es keinen Auslöser mehr dafür gibt und der Juckreiz wird chronisch. © iStock/Anut21ng