
Teuer gleich besser?

Eine gut und konsistent wirksame Akutmedikation bei Migräneattacken ist wichtig, um die Patienten im Alltag zu halten und das Risiko von Chronifizierung und psychiatrischen Komorbiditäten wie Depression und Angst zu minimieren, erinnerte Prof. Dr. Dagny Holle-Lee vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum, Universität Essen. Ihr Anspruch: Das Medikament sollte Schmerzen und die subjektiv störendsten Begleitsymptome mit einer einzigen Applikation nebenwirkungsarm rasch und dauerhaft beseitigen und die Funktionsfähigkeit wiederherstellen, sodass der Patient möglichst keine Notfallversorgung oder keine Arztbesuch benötigt. Zudem muss der Patient das Medikament oral, nasal oder per Pen selbst applizieren können.
Die aktuelle Migräneleitlinie zeigt auf, was es aktuell gibt: fünf klassische Analgetika und sieben Triptane sowie Metoclopramid oder Domperidon gegen Übelkeit und Erbrechen. Trotz der Vielzahl an Optionen ist das Angebot ausbaufähig, denn die verfügbaren Therapeutika wirken nicht bei allen Patienten. Dies wird vor allem bei Triptanen zum Problem, weil es keine weitere Eskalationsstufe gibt. Deshalb ist es wichtig, bei unzureichender Response auf ein bestimmtes Triptan einen anderen Wirkstoff und unterschiedliche galenische Zubereitungen auszuprobieren, betonte Prof. Holle-Lee.
Mit Ditanen und Gepanten sind in den USA bereits weitere Substanzklassen für die Akuttherapie der Migräne auf dem Markt, in Europa stehen sie kurz vor der Zulassung. Eine Metaanalyse der Zulassungsstudien bescheinigt Lasmiditan eine Überlegenheit gegenüber Placebo gemessen an den Parametern normalisierte Funktion, Schmerzlinderung bzw. -freiheit und Abwesenheit der störendsten Begleitsymptome nach zwei Stunden. Eine Subgruppenanalyse der CENTURION-Studie zeigt, dass ein Versuch mit Lasmiditan auch bei solchen Patienten lohnt, die auf Triptane nicht oder nur schlecht reagieren. Die Ansprechrate war in diesem Kollektiv deutlich höher als unter Placebo.
Von den Nebenwirkungen fallen deutliche zentralnervöse Effekte ins Auge, u.a. Schwindel, Benommenheit und Lethargie, Übelkeit und Parästhesien. Die US-Zulassung sieht vor, die Patienten auf das Schwindelrisiko hinzuweisen und dass sie acht Stunden nach der Einnahme nicht Auto fahren dürfen. Experimente im Simulator ergaben eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit, ohne dass dies den Betroffenen bewusst ist. Fahrtauglichkeit spiegelt letztlich Alltagsfunktion und Konzentrationsvermögen, was die Akzeptanz des Ditans beeinträchtigen könnte.
Die ersten CGRP-Rezeptor-Antagonisten sind in den USA für die Akuttherapie zugelassen. Metaanalysen zeigen für die beiden Wirkstoffe Rimegepant und Ubrogepant eine Überlegenheit gegen Placebo bei allen relevanten Endpunkten. Prof. Holle-Lee hob außerdem das günstige Nebenwirkungsprofil hervor, das sich kaum vom Placeboniveau unterscheidet.
Insgesamt scheinen die neuen Wirkstoffe nicht effektiver zu sein als Triptane und NSAR, wie eine aktuelle Analyse nahelegt. Lasmiditan kann sich beim Endpunkt Schmerzfreiheit nach zwei Stunden immerhin noch mit oralem Sumatriptan messen, Gepante scheinen schwächer wirksam und schneiden nicht besser ab als NSAR. Absoluter „Gewinner“ dieser Analyse ist übrigens Sumatriptan s.c. mit 60 % schmerzfreien Patienten. Gepante schaffen nicht einmal halb so gute Werte, Lasmiditan liegt knapp besser als orale Triptane.
Wie die Substanzen wirken
Kosten von bis zu 110 Euro pro Tablette
Kosten spielen bei der Akutmedikation eine erhebliche Rolle. Schließlich gibt es Patienten, die das Medikament zehn-, fünfzehnmal pro Monat brauchen. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Universität Essen, wies darauf hin, dass eine Tablette mit 100 mg Sumatriptan im Schnitt 5 € kostet. Dagegen sind (in den USA) für Lasmiditan umgerechnet 110 € und für Ubrogepant knapp 90 € pro Tablette zu zahlen. „Können Sie sich vorstellen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss einem Medikament zur Behandlung einer Migräneattacke zustimmt, das so wirksam ist wie Ibuprofen und 90 € kostet? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich“, meinte Prof. Diener. Für ihn liegt der eigentliche Skandal darin, dass Triptane viel zu selten verordnet werden. Einer aktuellen Erhebung des Robert Koch-Instituts zufolge erhalten nur 7 % der Migränepatienten ein Triptan. Dies sei umso erstaunlicher als „Triptane ja inzwischen fast nix mehr kosten“. Wenn die neuen Wirkstoffe demnächst in Europa zugelassen werden, wird es daher um diejenigen Patienten gehen, die mit den aktuell zur Verfügung stehenden Wirkstoffen nicht zurechtkommen oder diese nicht bekommen dürfen. „Wir, die wir in der Praxis Migränepatienten betreuen, haben das Gefühl: So viele sind es nicht, die auf Triptane nicht ansprechen, wenn man sie gründlich ausprobiert und die richtige Applikationsform wählt“, meinte Prof. Holle-Lee. Hochrechnungen aus den USA kommen immerhin auf etwa 20 % der Patienten, die für eine der neuen Therapieoptionen infrage kommen. Das dürfte dem Kostenargument noch einmal zusätzlich Gewicht verleihen.Auch Prophylaktika kritisch hinterfragen
Quelle: 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – Live. Interaktiv. Digital
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