Teuer gleich besser?

Manuela Arand

Trotz der Vielzahl an Optionen ist das Angebot ausbaufähig. Trotz der Vielzahl an Optionen ist das Angebot ausbaufähig. © iStock/seb_ra

Neue Substanzen zur Therapie des Migräneanfalls stehen ins Haus. Sie kosten deutlich mehr als die älteren Optionen, etwa die Triptane. Ob sie in jedem Fall ihren Preis wert sind, muss hinterfragt werden.

Eine gut und konsistent wirksame Akutmedikation bei Migräneattacken ist wichtig, um die Patienten im Alltag zu halten und das Risiko von Chronifizierung und psychiatrischen Komorbiditäten wie Depression und Angst zu minimieren, erinnerte Prof. Dr. Dagny Holle-Lee vom Westdeutschen Kopfschmerzzentrum, Universität Essen. Ihr Anspruch: Das Medikament sollte Schmerzen und die subjektiv störendsten Begleitsymptome mit einer einzigen Applikation nebenwirkungsarm rasch und dauerhaft beseitigen und die Funktionsfähigkeit wiederherstellen, sodass der Patient möglichst keine Notfallversorgung oder keine Arztbesuch benötigt. Zudem muss der Patient das Medikament oral, nasal oder per Pen selbst applizieren können.

Die aktuelle Migräneleitlinie zeigt auf, was es aktuell gibt: fünf klassische Analgetika und sieben Triptane sowie Metoclopramid oder Domperidon gegen Übelkeit und Erbrechen. Trotz der Vielzahl an Optionen ist das Angebot ausbaufähig, denn die verfügbaren Therapeutika wirken nicht bei allen Patienten. Dies wird vor allem bei Triptanen zum Problem, weil es keine weitere Eskalationsstufe gibt. Deshalb ist es wichtig, bei unzureichender Response auf ein bestimmtes Triptan einen anderen Wirkstoff und unterschiedliche galenische Zubereitungen auszuprobieren, betonte Prof. Holle-Lee.

Mit Ditanen und Gepanten sind in den USA bereits weitere Substanzklassen für die Akuttherapie der Migräne auf dem Markt, in Europa stehen sie kurz vor der Zulassung. Eine Metaanalyse der Zulassungsstudien bescheinigt Lasmiditan eine Überlegenheit gegenüber Placebo gemessen an den Parametern normalisierte Funktion, Schmerzlinderung bzw. -freiheit und Abwesenheit der störendsten Begleitsymptome nach zwei Stunden. Eine Subgruppenanalyse der CENTURION-Studie zeigt, dass ein Versuch mit Lasmiditan auch bei solchen Patienten lohnt, die auf Triptane nicht oder nur schlecht reagieren. Die Ansprechrate war in diesem Kollektiv deutlich höher als unter Placebo.

Von den Nebenwirkungen fallen deutliche zentralnervöse Effekte ins Auge, u.a. Schwindel, Benommenheit und Lethargie, Übelkeit und Parästhesien. Die US-Zulassung sieht vor, die Patienten auf das Schwindelrisiko hinzuweisen und dass sie acht Stunden nach der Einnahme nicht Auto fahren dürfen. Experimente im Simulator ergaben eine eingeschränkte Fahrtauglichkeit, ohne dass dies den Betroffenen bewusst ist. Fahrtauglichkeit spiegelt letztlich Alltagsfunktion und Konzentrationsvermögen, was die Akzeptanz des Ditans beeinträchtigen könnte.

Die ersten CGRP-Rezeptor-Antagonisten sind in den USA für die Akuttherapie zugelassen. Metaanalysen zeigen für die beiden Wirkstoffe Rimegepant und Ubrogepant eine Überlegenheit gegen Placebo bei allen relevanten Endpunkten. Prof. Holle-Lee hob außerdem das günstige Nebenwirkungsprofil hervor, das sich kaum vom Placeboniveau unterscheidet.

Insgesamt scheinen die neuen Wirkstoffe nicht effektiver zu sein als Triptane und NSAR, wie eine aktuelle Analyse nahelegt. Lasmiditan kann sich beim Endpunkt Schmerzfreiheit nach zwei Stunden immerhin noch mit oralem Sumatriptan messen, Gepante scheinen schwächer wirksam und schneiden nicht besser ab als NSAR. Absoluter „Gewinner“ dieser Analyse ist übrigens Sumatriptan s.c. mit 60 % schmerzfreien Patienten. Gepante schaffen nicht einmal halb so gute Werte, Lasmiditan liegt knapp besser als orale Triptane.

Wie die Substanzen wirken

Ditane Lasmiditan ist der erste 5-HT1F-Agonist. Im Gegensatz zu den am selben Rezeptor ansetzenden Triptanen zeigt er keine vasokonstriktorische Wirkung. Dieser Unterschied rührt daher, dass er nicht an den Rezeptoren 5-HT1B und 5-HT1D angreift, welche die Gefäßengstellung bewirken. Da er die Bluthirnschranke passiert, übt er periphere und zentrale Wirkungen (und Nebenwirkungen) aus. CGRP-Rezeptor-Antagonisten (u.a. Gepante) Diese Medikamente zählen zu den sogenannten small molecules mit einem Molekulargewicht unter 900 Dalton. Sie setzen wie die Antikörper am Calcitonin-Gene Related Peptide an, was erklärt, dass sie als erste Substanzklasse neben der Akuttherapie auch zur Prophylaxe geeignet sein könnten. Die prophylaktische Wirksamkeit scheint allerdings nicht bei allen Wirkstoffen gleich ausgeprägt zu sein. CGRP-Antikörper Das proinflammatorische Neuropeptid Calcitonin-Gene Related Peptide ist einer der stärksten endogenen Vasodilatatoren und spielt eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie der Migräne. Einerseits verstärkt es die Schmerzsensibilisierung, andererseits stellt es die Gefäße im ZNS weit. Die monoklonalen Antikörper blockieren CGRP entweder direkt oder über seinen Rezeptor.

Kosten von bis zu 110 Euro pro Tablette

Kosten spielen bei der Akutmedikation eine erhebliche Rolle. Schließlich gibt es Patienten, die das Medikament zehn-, fünfzehnmal pro Monat brauchen. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Universität Essen, wies darauf hin, dass eine Tablette mit 100 mg Sumatriptan im Schnitt 5 € kostet. Dagegen sind (in den USA) für Lasmiditan umgerechnet 110 € und für Ubrogepant knapp 90 € pro Tablette zu zahlen. „Können Sie sich vorstellen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss einem Medikament zur Behandlung einer Migräneattacke zustimmt, das so wirksam ist wie Ibuprofen und 90 € kostet? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich“, meinte Prof. Diener. Für ihn liegt der eigentliche Skandal darin, dass Triptane viel zu selten verordnet werden. Einer aktuellen Erhebung des Robert Koch-Instituts zufolge erhalten nur 7 % der Migränepatienten ein Triptan. Dies sei umso erstaunlicher als „Triptane ja inzwischen fast nix mehr kosten“. Wenn die neuen Wirkstoffe demnächst in Europa zugelassen werden, wird es daher um diejenigen Patienten gehen, die mit den aktuell zur Verfügung stehenden Wirkstoffen nicht zurechtkommen oder diese nicht bekommen dürfen. „Wir, die wir in der Praxis Migränepatienten betreuen, haben das Gefühl: So viele sind es nicht, die auf Triptane nicht ansprechen, wenn man sie gründlich ausprobiert und die richtige Applikationsform wählt“, meinte Prof. Holle-Lee. Hochrechnungen aus den USA kommen immerhin auf etwa 20 % der Patienten, die für eine der neuen Therapieoptionen infrage kommen. Das dürfte dem Kostenargument noch einmal zusätzlich Gewicht verleihen.

Auch Prophylaktika kritisch hinterfragen

Der Frage, ob sie wirksamer und/oder verträglicher sind als die herkömmlichen Prophylaktika, müssen sich auch die CGRP-Antikörper stellen. Alles andere, was zur Migräneprophylaxe eingesetzt wurde, ist mehr oder minder zufällig dorthin gelangt – CGRP-Antikörper sind die ersten explizit zu diesem Zweck entwickelten Wirkstoffe. Laut einem aktuellen Review zeigen sie eine hohe Effektivität – pro Monat resultieren zwei Migränetage weniger im Vergleich zu Placebo, berichtete Prof. Dr. Uwe Reuter von der Universität Greifswald. Das sei mehr als Betablocker, Topiramat & Co. erreichen. Dazu komme eine gute Verträglichkeit. Kaum ein Patient breche die Therapie wegen Nebenwirkungen ab. Bei den oralen Migräneprophylaktika sei Intoleranz dagegen der häufigste Grund für den Therapieausstieg. Die guten Ergebnisse ziehen sich durch alle Antikörperstudien und alle Patientengruppen, ob therapienaiv oder schwer behandelbar, ob episodische oder chronische Migräne, betonte Prof. Reuter. In der ersten Head-to-Head-Studie zwischen zwei Migräneprophylaktika (Erenumab und Topiramat) konnte seine Arbeitsgruppe zeigen, dass sich die bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit des „Mab“ in einer größeren Adhärenz niederschlug. Vier von zehn Patienten brachen die Topiramatbehandlung wegen Nebenwirkungen ab, die meisten schon in den ersten sechs Wochen. Die Abbruchrate unter Erenumab lag um drei Viertel niedriger. Unter dem Antikörper erreichte mehr als die Hälfte der Patienten eine mindestens 50%ige Reduktion der monatlichen Migränetage. Der Rückgang unter Topiramat lag hingegen nur bei knapp einem Drittel.

Quelle: 94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie – Live. Interaktiv. Digital

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