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Viren im Dienste der Onkologie

Therapie mit ADC ist neuer Erstlinienstandard beim mUC
Zielgerichtete Chemotherapien mit Antikörper-Drug-Konjugaten (ADC) sind auch in der Uroonkologie in der Behandlungsrealität angekommen: Die Wirksamkeitsdaten der Kombination aus Enfortumab-Vedotin (EV) mit Pembrolizumab beim nicht-resezierbaren oder metastasierten Urothelkarzinom (mUC) in der KEYNOTE-A39/EV-302-Studie „sorgten für Furore“, sagte PD Dr. Robert Tauber, Urologische Klinik des Klinikums rechts der Isar, München.1 Sowohl das PFS als auch das Gesamtüberleben der Patient:innen wurde gegenüber dem bisherigen Erstlinienstandard Gemcitabin + Cisplatin/Carboplatin in etwa verdoppelt. Der Experte bilanzierte: „Die Daten sind unglaublich gut. Man hat die Verbesserung im Prinzip in allen untersuchten Subgruppen gesehen.“ Sowohl die ESMO* als auch die EAU** empfehlen Pembrolizumab + EV beim mUC als Erstlinientherapie für Erkrankte, die eine Kombinationstherapie erhalten können. Im September 2024 erfolgte die EMA-Zulassung in dieser Indikation.
Zielstruktur von EV ist das beim Urothelkarzinom stark exprimierte Oberflächenprotein Nectin-4. Mit dem TROP-2-gerichteten Sacituzumab-Govitecan wird ein weiteres ADC beim fortgeschrittenen UC untersucht. Ersten Ergebnissen der Phase-3-Studie TROPiCS-04 zufolge konnte das OS zwar numerisch, aber nicht signifikant verlängert werden.Sie verfehlte damit den primären Endpunkt, berichtete der Referent.
PSMA als Eintrittspforte in den Tumor – Radioligandentherapie
Ähnlich den ADC mit ihren spezifischen Antikörpern und ihrer zytotoxischen Fracht wirkt auch die Radioligandentherapie (RLT) zielgerichtet. „Das Prinzip ist dasselbe“, so Dr. Tauber. „Der Radioligand hat hier die Funktion des Antikörpers.“ Zielstruktur der RLT beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) ist PSMA. Auf Prostatakrebszellen in der Regel überexprimiert, wird es nur in wenigen anderen Organen wie beispielsweise den Speicheldrüsen stark exprimiert. In der derzeit beim mCRPC zugelassenen RLT bindet der 177Lutetium-markierte PSMA-Ligand selektiv an das Molekül und liefert Beta-Strahlung an PSMA-positive Zellen und deren Mikroumgebung.
Wechsel zu Alphastrahler bei nachlassender Wirkung?
Der antitumorale Effekt könne aber nachlassen, erklärte der Oberarzt. Nach 177Lu-PSMA-Versagen untersuchten Forschende die PSMA-225Actinium-Ligandentherapie. „Als Alphastrahler hat Actinium eine viel höhere Durchschlagskraft als Lutetium.“ Die Ansprechrate war bei den extrem vorbehandelten Erkrankten sehr hoch, allerdings auch die therapieinduzierte Mundtrockenheit, die bei allen Behandelten auftrat und auch zu Therapieabbrüchen führte. „Idealerweise hat man für die zielgerichtete Behandlung mit ADC und Radioligandentherapie Antigene, die spezifisch nur auf Tumorzellen exprimiert werden. In der Realität ist das aber noch nicht so und so haben wir verschiedene Nebenwirkungsspektren, abhängig vom jeweilig genutzten Antigen“, fasste Dr. Tauber zusammen. Die Entwicklung und der Einsatz weiterer ADC seien jedoch zu erwarten.
T-Cell-Engager für das fortgeschrittene Prostatakarzinom?
Bispezifische Antikörper können zum einen an zwei unterschiedliche Rezeptoren auf Tumorzellen binden – und dann direkt in Signalwege eingreifen –, aber teilweise auch T-Zellen in Kontakt mit der Tumorzelle bringen. Dann spricht man von BiTE-Antikörpern (Bi-specific T-Cell Engagers) oder T-Cell-Engagern.
Auch wenn es für beide Therapieprinzipien noch keine Zulassungen in der Uroonkologie gibt, könnten BiTE-Antikörper zukünftig beim Prostatakarzinom wichtig werden, postulierte Prof. Dr. Günter Niegisch, Leiter des Uroonkologischen Zentrums Düsseldorf.2
Funktioniert die Immunclearance von entarteten Zellen durch die T-Lymphozyten nicht, kommt es zu einer Tumorerkrankung. Zu den Mechanismen, mit denen sich maligne Zellen der Bekämpfung durch das Immunsystem entziehen können, zählt die Dysregulation von Immuncheckpoints, was eine negative Regulierung der T-Zell-vermittelten Immunantwort bewirkt. Checkpointinhibitoren sollen die T-Zell-Antwort des Immunsystems wieder verbessern. „Sie wirken eigentlich erst spät im System. Sie sorgen nämlich dafür, dass T-Zellen, die den Tumor erkannt haben, diesen auch tatsächlich angreifen können“, führte der Fachmann aus.
Das Ansprechen auf eine Checkpointinhibition fällt bei verschiedenen Tumorentitäten sehr unterschiedlich aus, beim Prostatakarzinom funktioniert die Immuntherapie mit PD-(L)1-Inhibitoren bekanntermaßen nicht. Das System scheint also in diesem Fall an einer anderen Stelle gestört zu sein.
Verantwortlich könnte laut dem Experten eine Beeinträchtigung des Antigen-Präsentations-Pathways sein: Die Neoantigene des Tumors können dann dem Immunsystem über MHC-I-Moleküle schlechter präsentiert und daher nicht erkannt werden. Prostatakarzinomzellen wiesen häufig eine ungenügende Expression dieser MHC-I-Proteine auf, ordnete Prof. Niegisch ein. „Hier versucht man nun, mit T-Cell-Engagern zu arbeiten.“
Derzeit sucht man nach dem optimalen Target auf Prostatakarzinomzellen. Zu deren tumorspezifischen Antigenen zählen neben dem Bekanntesten, PSMA, auch PSCA, STEAP-1 oder DLL3. Erste Studien mit den PSMA-gerichteten T-Cell-Engagern Pasotuximab und JNJ-63898081 wurden laut dem Referenten vorzeitig beendet. Er schilderte: „Das Problem war, dass gegen BiTEs leider wiederum Antikörper gebildet wurden, die die BiTEs abgefangen haben, auch wenn es zumindest vorübergehend zu einem PSA-Ansprechen gekommen war.“
Das optimale Target wurd noch nicht gefunden
Andere PSMA-gerichtete BiTEs bewirkten zwar ebenfalls eine PSA-Response, aber auch hohe Toxizitäten. Laufende kleinere Studien mit den Targets STEAP-1 und DLL3 führten bisher zu einem insgesamt besseren Ansprechen und einer geringeren Antikörperbildung gegen die Therapie. Weitere Studien liefen bzw. seien in Planung, stellte Prof. Niegisch in Aussicht. Wie bei der CAR-T-Zell-Therapie gehört auch bei den T-Cell-Engagern das Cytokine Release Syndrome (CRS) zu den problematischsten Nebenwirkungen.
Schon Realität: Onkolytische Viren beim Blasenkarzinom
Die erste Therapie mit einem onkolytischen Adenovirus in der Uroonkologie wurde in den USA mit FDA Breakthrough Therapy Designation und Fast Track Designation zugelassen: Cretostimogene-Grenadenorepvec, das beim nicht-muskelinvasiven Blasenkarzinom mit Hochrisiko-Klassifikation nach Bacillus-Calmette-Guerin(BCG)-Versagen eingesetzt wird. In der Zulassungsstudie betrug die Komplettansprechrate 75,2 %. Das Virus wird wie BCG intravesikal instilliert, im metastasierten Stadium könne es auch in eine Metastase injiziert werden, beschrieb PD Dr. Roman Nawroth, Laborleitung der Experimentellen Urologie an der Urologischen Klinik am Klinikum rechts der Isar München.3
„Was die onkolytischen Viren von vielen anderen neuen Therapien unterscheidet, ist, dass wir im Grunde keine Nebenwirkungen haben“, konstatierte der Biologe. Dies treffe insbesondere auf Adenoviren zu, da diese vom Immunsystem sofort erkannt würden. Damit sei die Dauer der Therapie begrenzt, denn nach etwa fünf Tagen kläre das Immunsystem das Therapeutikum. Bisher wurden keinerlei längerfristige Nebenwirkungen beobachtet.
Onkolytische Viren infizieren nach Applikation normale Zellen und Tumorzellen, können sich jedoch aufgrund einer genetischen Modifikation nur in Letzteren vermehren. „Das Virus kann nur in Zellen mit Störung der Zellteilungskontrolle wie in Tumorzellen replizieren“, erklärte Dr. Nawroth die konditionale Vermehrung von Cretostimogene-Grenadenorepvec. Danach kommt es zur Onkolyse: Das Virus zerstört die Tumor-Wirtszelle, dabei werden neue virale Partikel freigesetzt, was zu Reinfektionen weiterer Tumorzellen und nachfolgender Onkolyse führt. „Dieser direkte Effekt der Onkolyse ist aber nur ein Teileffekt der Virustherapie, damit alleine kann man keinen Tumor eliminieren“, merkte der Experte an.
Onkolytische Viren induzieren aber zusätzlich auch eine systemische Immunantwort. Dr. Nawroth erläuterte: „Die Viren töten die Tumorzellen nicht einfach ab, sondern sie treiben die Zellen in einen immunogenen Zelltod.“ Von der sterbenden Tumorzelle werden Moleküle freigesetzt, die das Immunsystem ansprechen, und durch die Lyse werden zudem Tumor-Neoantigene zugänglich, die von den „angelockten“ Immunzellen bekämpft werden. „Damit haben wir eine klassische Immunzellaktivierung und damit eine systemische Immunantwort“, resümierte der Wissenschaftler.
Bei der aktuell in den USA zugelassenen Virustherapie handelt es sich um ein Virus der ersten Generation. 2002 kloniert, beruhe es auf dem Wissen des letzten Jahrtausends, so Dr. Nawroth. „Wir haben also noch viel Luft nach oben, diese Therapien zu verbessern, und die Ansprechraten sind jetzt schon sehr gut. Aus meiner Sicht gehört die Zukunft in der Onkologie onkolytischen Viren.“
* European Society for Medical Oncology
** European Association of Urology
Quellen:
1. Tauber R. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. „Neue Therapieansätze einfach erklärt – Antikörper-Wirkstoff-Konjugate“
2. Niegisch G. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. „Neue Therapieansätze einfach erklärt – Bispezifische Antikörper/T-Cell Engager“
3. Nawroth R. 76. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. „Neue Therapieansätze einfach erklärt – Onkolytische Viren“
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