Behandlungsbarrieren überwinden

AIO-Herbstkongress 2022 Dr. Miriam Sonnet

Die Behandlung von Hirnfiliae sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen, um optimale Sequenzen aus lokalen und systemischen Therapien festzulegen. Die Behandlung von Hirnfiliae sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen, um optimale Sequenzen aus lokalen und systemischen Therapien festzulegen. © Richman Photo – stock.adobe.com

Das Wissen um den Prozess der Metastasierung befindet sich im Wandel. Früher galt das Konzept der Metastasierungskaskade – heute geht man davon aus, dass noch nicht einmal ein Primärtumor nötig ist, damit sich Zellen in Organen ansiedeln können. Geändert hat sich auch die Behandlungsstrategie: Aktuell kommen bei Hirnfiliae vermehrt Immuntherapien zum Einsatz. 

Patient:innen mit aktiver Hirnmetastasierung waren häufig von klinischen Studien zu Immuntherapeutika ausgeschlossen, konstatierte Dr. Daniel ­Heudobler, Universitätsklinikum Regensburg.1 Gründe seien unter anderem die schlechte Prognose, außerdem habe man aufgrund der Blut-Hirn-Schranke und der angeblichen Immunpriviligiertheit des ZNS lange geglaubt, mit einer systemischen Behandlung nichts erreichen zu können. Die Situation habe sich glücklicherweise etwas geändert, so der Referent. Als Beispiel nannte er die CheckMate-204-Studie, in der die Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab bei Personen mit aktiven, asymptomatischen Hirnfiliae geprüft wurde. Die intrakranielle Benefitrate (icCBR) betrug 57 %, darunter 26 % Komplettremissionen. Betroffene mit symptomatischen Filiae (Kohorte B) erreichten eine ­icCBR von nur rund 16 %. 

Entsprechende Untersuchungen gibt es auch beim NSCLC. In diesem Jahr wurde ein Update der ATEZO-BRAIN-Studie präsentiert, in die Erkrankte mit Nicht-Platten­epithelkarzinom im Stadium IV und nicht behandelten Hirnmetastasen (median 5) eingeschlossen waren. Die Teilnehmenden erhielten Atezolizumab plus Carboplatin plus Pemetrexed alle drei Wochen für 4–6 Zyklen und anschließend eine Erhaltungstherapie mit Atezolizumab und Pemetrexed. Die sys­temische und intrakranielle Ansprechrate von 45 % bzw. 42,5 % bezeichnete der Referent als „beeindruckend“. Das mediane sys­temische bzw. intrakranielle PFS betrug 8,9 Monate bzw. 6,9 Monate. 

Die Fünf Barrieren überwinden

Für die Behandlung von Hirnmetastasen gebe es fünf Barrieren:

  • das limitierte anatomische Volumen
  • die immunologische Barriere der Blut-Hirn-Schranke
  • das immunsuppressive Organ
  • die gliale und myeloide Pseudokapsel
  • die epitheliale Barriere am Makro-Metastasen-Interface

Es gelte, diese zu überwinden, um organspezifisch therapieren zu können – geprüft wird dies in der Break-B5-BM-NSCLC-Studie (s. Kasten).

Die Break-B5-BM-NSCLC-Studie

In der Break-B5-BM-NSCLC-Studie werden Patient:innen mit Nicht-Plattenepithel-NSCLC im Stadium IVB und neu diagnostizierten Hirnmetastasen eingeschlossen. Mindestens eine Filia dürfe vorher nicht bestrahlt sein und keine direkte lokale Behandlung erfordern. Zum „Durchbrechen der Barriere“ erhalten die Betroffenen für zwei Zyklen Nivolumab, Ipilimumab und Bevacizumab in Kombination mit einer Chemotherapie, bestehend aus Carboplatin und nab-Paclitaxel. Im Anschluss wird die Behandlung mit Nivolumab, Ipilimumab und Bevacizumab fortgeführt. Zurzeit rekrutieren zehn deutsche Zentren. Bisher wurden 26 Personen eingeschlossen und 19 behandelt; geplant sind 39. Bei sieben Patient:innen kam es zu einem Screen-Failure. In der Studie ist auch ein translationales Forschungsprogramm verankert, in dessen Rahmen verschiedene Proben – z.B. zellfreie DNA, Pleuraergüsse oder Metastasen – untersucht werden.

Die Behandlung von Hirnfiliae sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen, um optimale Sequenzen aus lokalen und systemischen Therapien festzulegen, schloss der Referent. Insgesamt profitierten die Betroffenen von einer Immuntherapie. Es seien mehr spezifische, klinische Studien notwendig. Klären müsse man z.B. die Wirksamkeit der Kombination mit einer Lokaltherapie, die ideale Sequenz, die Behandlung in einer oligometastasierten Situation und die Frage nach den Biomarkern.

Früher dachte man, dass Filiae durch die Metastasierungskaskade entstehen: Gesundes Gewebe wird zunächst hyperplastisch und entwickelt sich dann zum Adenom und Karzinom. Von Letzterem können sich schließlich Zellen loslösen, in die Blutgefäße übergehen und in sekundären Organen Ableger bilden, berichtete Prof. Dr. Tobias Pukrop, Universitätsklinikum Regensburg.2 „Mittlerweile hat sich hier aber einiges getan“, so der Referent. Schon 2016 demonstrierten Forschende in einer Studie, dass die Zellen schon während der Krebsinitiierung in der Lage sind, zu metastasieren – und das sogar besser als diejenigen, die von einem reifen Primarius stammen. Eine aktuelle Publikation stelle dieses Konzept jedoch völlig auf den Kopf: Diese besagt, dass es nicht einmal einen Tumor braucht, damit es zu einer Dissemination kommt. Die Wissenschaftler:innen hatten in einem Mausmodell einen Kalziumkanal verändert – und allein das führte dazu, dass benigne, epitheliale Zellen durch den ganzen Körper streuten und in einzelnen Organen nachgewiesen werden konnten. Der Prozess der Metastasierung hänge also nicht von der Progression des Primarius ab, sondern er finde wahrscheinlich ständig statt; nur überleben die disseminierten Zellen dann meist in den Organen nicht.

Dabei scheine nicht nur eine einzelne Zelle über ein hohes Metastasierungsvermögen zu verfügen. Vielmehr sind es polyklonale Cluster, die das höchste Potenzial haben, andere Organe zu besiedeln. Es stelle sich nun die Frage, wie es dann zur Extravasation kommt, so der Referent. Forschende konnten zeigen, dass sich das Blutgefäß quasi um den Clot „herumbaue“ und es anschließend wieder zu einer Rekanalisierung des Gefäßes komme. „Das bedeutet, dass sich die Tumorzellen überhaupt nicht bewegen müssen“, erläuterte Prof. Pukrop. Je „kompakter“ sie im Organ ankommen, desto wahrscheinlicher sei eine Metastasierung.

Die Organe selbst verfügen über ein eigenes Abwehrsystem und kämpfen gegen die fremden Zellen an. Therapeutisch sinnvoll sei es daher, diejenigen, die noch nicht abgetötet wurden, zu adressieren. Es gelte, das „Shielding“, das die Zellen schützt, anzugreifen. Man müsse die organspezifische Abwehr in Zukunft besser verstehen und sich therapeutisch zunutze machen.

Ebenfalls überholt scheint das Konzept der Blut-Hirn-Schranke in Bezug auf Filiae zu sein. Früher galt das ZNS als immunpriviligiertes Organ und man nahm an, dass Immunzellen nicht einwandern können. Man müsse vielmehr von einer „Blut-Metastasen-Schranke“ sprechen, denn die Filiae würden die Blut-Hirn-Schranke abschwächen. Das bedeute, dass systemische Therapeutika die Zellen erreichen können: So gehen verschiedene zielgerichtete Substanzen mit einem hohen intrakraniellen Ansprechen einher. Neu sei auch die Erkenntnis, dass T-Zellen zwar Hirnmetastasen infiltrieren, der Primarius dabei aber die Immun­infiltration bestimme, erläuterte Prof. Pukrop.

Quellen:
1. Heudobler D. 19. AIO-Herbstkongress; Vortrag „Immun-Onkologische Therapieansätze und Stand der Break B5-Studie“
2. Pukrop T. 19. AIO-Herbstkongress; Vortrag „Aktuelles aus der Pathophysiologie von Hirnmetastasen“

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Die Behandlung von Hirnfiliae sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen, um optimale Sequenzen aus lokalen und systemischen Therapien festzulegen. Die Behandlung von Hirnfiliae sollte in einem multidisziplinären Team erfolgen, um optimale Sequenzen aus lokalen und systemischen Therapien festzulegen. © Richman Photo – stock.adobe.com