Wie lassen sich unnötige Antibiotikatherapien vermeiden?

Dr. Dorothea Ranft

Therapiebedürftig ist die asymptomatische Bakteriurie nur bei Schwangeren und vor urologischen Eingriffen, wie die Leitlinien feststellen. Therapiebedürftig ist die asymptomatische Bakteriurie nur bei Schwangeren und vor urologischen Eingriffen, wie die Leitlinien feststellen. © iStock/MJ_Prototype

Antibiotikatherapien sollten nur bei klarer Indikation und mit gut verträglichen Substanzen erfolgen – so weit die Theorie. Doch in der Praxis ist dies oft nicht leicht umzusetzen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die großzügige Attestierung von Penicillinallergien.

Nach wie vor zu häufig mit Antibiotika behandelt wird die asymptomatische Bakteriurie. Therapiebedürftig ist dieser Befund aber nur bei Schwangeren und vor urologischen Eingriffen, wie die Leitlinien feststellen. Ansonsten bringt die Behandlung dem Patienten keinen Vorteil: Sie reduziert weder das Auftreten von Komplikationen wie Pyelonephritis und Urosepsis noch die damit verbundene Mortalität. Auch die Zahl der (symptomatischen) Harnwegsinfekte wird nicht verringert, betonen Dr. Anahita­ Fathi­ und Kollegen vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Adäquate Indikation in nur 60 % der Fälle gegeben

Gleichzeitig birgt der nicht-indizierte Antibiotikaeinsatz ein erhebliches Schadenspotenzial. Abgesehen von individuellen Folgen für den Patienten wie unerwünschte Arzneimitteleffekte oder das vermehrte Auftreten von Infektionen mit Clostridioides­ difficile, steht dabei natürlich die Entwicklung bakterieller Resistenzen im Fokus.

Allerdings kann die Differenzierung zwischen harmloser Bakteri­urie und Harnwegsinfekt in der Praxis schwierig sein, insbesondere bei multimorbiden oder kognitiv eingeschränkten Patienten. Um einen Übergebrauch von Antibiotika zu vermeiden, empfehlen die Autoren, Urinkulturen nur bei klinischem HWI-Verdacht anzulegen. Ausnahmen: Schwangerschaft und geplante Operation z.B. an der Prostata.

Auch in anderen Indikations­bereichen wird die antiinfektive Therapie möglicherweise noch zu großzügig eingesetzt. So ermittelte eine US-Studie mit fast 30 000 zufällig ausgewählten Behandlungen, dass nur in 60 % der Fälle eine adäquate Indikation vorlag. Am häufigsten betroffen: Chinolone – trotz des relativ hohen Nebenwirkungsrisikos dieser Substanzgruppe.

Im Rahmen einer vergleichbaren deutschen Untersuchung verordneten Allgemeinärzte, Internisten und Urologen ebenfalls auffällig häufig Ciprofloxacin. Das Chinolon wurde vor allem bei Harn- und Atem­wegsinfekten verschrieben, obwohl die Leitlinien andere Antibiotikagruppen bevorzugen. Außerdem fiel in der Studie eine deutliche saisonale Häufung im Winter auf, was auf eine vermehrte Fehlanwendung bei in der Regel meist viralen respiratorischen Infektionen hindeutet.

Bei vielen Erkrankungen sind Beta­laktame wegen ihrer guten Wirksamkeit und Verträglichkeit Mittel der ersten Wahl. Oft verhindert jedoch eine angebliche Penicillinal­lergie den Einsatz.

Unverträglichkeit fälschlich als Allergie gedeutet

Sie ist inzwischen die am häufigsten in Krankenakten aufgeführte Al­lergie und betrifft im stationären Bereich schon bis zu 20 % der Patienten. Studien ergaben jedoch, dass in vielen Fällen eine andere Form der Unverträglichkeit fälschlich als Allergie gedeutet wird. Bei zahlreichen Patienten liegt die Reaktion auch so weit zurück, dass vermutlich keine allergische Disposition mehr besteht.

Zu viel Kultur

Auch hinsichtlich der Blutkulturen sind Patienten in Deutschland überversorgt. Diese sollten nur eingesetzt werden, wenn mit mindestens moderater Wahrscheinlichkeit eine Bakteriämie vorliegt. Ein unkompliziertes Erysipel zum Beispiel ist keine Indikation. Allerdings schwimmen die Erreger oft nur intermittierend und in geringer Konzentration im Blut. Deshalb können zum Nachweis einer Kunstklappen- oder Implantatinfektion multiple (3–5) Kulturen erforderlich sein.

Deshalb raten die Autoren, gezielt zu erfragen, welche Symptome wann aufgetreten sind. Beim Ausschlag sollte man genauer differenzieren. IgE-vermittelte Sofortreaktionen wie die Urtikaria sind bedeutsamer als das typische makulopapulöse Exanthem nach einigen Tagen Therapie. Außerdem sind schwere Manifestationen wie das Stevens-Johnson-Syndrom zu eruieren (blasenbildende Dermatose, Mukosabeteiligung). In diesem Fall ist eine weitere Allergiediagnostik kontraindiziert. Bei unklaren Reaktionen, die länger als zehn Jahre zurückliegen, kann eine Reexposition ohne Allergietest vertretbar sein, wenn der Patient adäquat überwacht wird. Gleiches gilt nach Einschätzung der Autoren, wenn die Anamnese nur eine geringe Gefährdung ergibt (z.B. Juckreiz ohne Ausschlag). Bei einem mittleren Risiko wird eine Testung empfohlen. Die Untersuchung lohnt sich für den Betroffenen, denn die alternativ eingesetzten Antibiotika, vor allem Chinolone, Glykopeptide und Clindamycin, weisen ein wesentlich ungünstigeres Nebenwirkungsprofil auf als Betalaktame.

Quelle: Fathi A et al. Internist 2021; 62: 373-378; DOI: 10.1007/s00108-021-00967-5

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Therapiebedürftig ist die asymptomatische Bakteriurie nur bei Schwangeren und vor urologischen Eingriffen, wie die Leitlinien feststellen. Therapiebedürftig ist die asymptomatische Bakteriurie nur bei Schwangeren und vor urologischen Eingriffen, wie die Leitlinien feststellen. © iStock/MJ_Prototype