Zerebrale Vaskulitis behandeln oder ausschließen

Manuela Arand

Das diagnostische Work-up bei Vaskulitisverdacht sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor der Patient eine immunsuppressive Therapie erhält.
Das diagnostische Work-up bei Vaskulitisverdacht sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor der Patient eine immunsuppressive Therapie erhält. © brand.punkt.‒ stock.adobe.com

Vaskulitiden sind seltene, aber wichtige Schlaganfallursachen – wichtig deshalb, weil sie in vielen Fällen gut behandelbar sind. Machen sie sich als Notfall bemerkbar, muss zwar unverzüglich therapiert werden. Doch kann eine vorschnelle Immunsuppression dem Patienten auch das Leben kosten.

Circa zwei von 100 Schlaganfällen liegt eine Vaskulitis zugrunde. Warnsymptome, die daran denken lassen sollten, sind Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Adynamie oder Arthritiden in der Anamnese, erklärte Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Berlin. „Wenn Sie dann im Labor neben einer Erhöhung der Akutphase-proteine eine Anämie, Leuko- und/oder Thrombozytose finden, sollten Sie weitersuchen.“ Natürlich braucht nicht jeder Schlaganfallpatient eine Vaskulitisabklärung, zumal diese aufwendig und kostspielig ist. Erforderlich ist sie aber, wenn neurologische plus systemische Symptome den Verdacht nahelegen. 

Riesenzellarteriitis via Duplexsonografie sichern

Beispielhaft schilderte Prof. Berlit den Fall einer 74-jährigen Patientin, die mit akuter Hemiparese rechts und Aphasie aufgenommen wurde. Seit vier Wochen appetitlos, klagte sie außerdem über Schulter- und Kopfschmerzen. Die Angiografie enthüllte eine massive intrakranielle Stenose der Carotis interna. Alles zusammen ließ an eine Riesenzellarteriitis denken – neu aufgetretener Kopfschmerz, Alter über 50 Jahre, weibliches Geschlecht sind dafür typisch. 

Inzwischen ist es nicht mehr zwingend erforderlich, den Verdacht bioptisch zu sichern. Das Halo-Zeichen in der Duplexsonografie bietet eine zuverlässige, elegante und nicht-invasive Alternative. Gleiches gilt für die MRT, in der sich die entzündeten Gefäße darstellen (Sensitivität für beide Methoden > 85 %, Spezifität > 96 %). Bei jedem zweiten Patienten mit Riesenzellarteriitis ist die Aorta beteiligt, was zur potenziell tödlichen Dissektion führen kann, warnte Prof. Berlit. Er forderte deshalb, bei allen betroffenen Patienten in der MRT auch den Aortenbogen anzuschauen. Standardtherapie bei Riesenzellarteriitis ist Prednisolon, der Anti-IL-6-Antikörper Tocilizumab oder – off label – MTX kann zum Steroidsparen und schnelleren Tapern eingesetzt werden. 

Das diagnostische Work-up bei Vaskulitisverdacht sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor der Patient eine immunsuppressive Therapie erhält, und seien es „nur“ systemische Kortikosteroide. „Wir Neurologen sind schnell bei der Hand, Kortison zu geben, wenn wir denken, dass eine Entzündung im Spiel ist“, so Prof. Berlit. „Aber wir sollten uns zurückhalten, weil es die Diagnostik stören kann.“ 

Eine besondere Herausforderung stellt die primäre Angiitis des ZNS (PACNS) dar, eine sehr seltene Vaskulitisform. Den Verdacht wecken sollten klinische Zeichen einer multifokalen oder diffusen Hirnerkrankung, die sprunghaft oder schleichend fortschreitet, ohne dass eine systemische Infektion oder Inflammation vorliegt. Den Liquor sollte man immer untersuchen, unterstrich der Kollege, auch um keine infektiöse Ursache der Symptome zu übersehen. Bei PACNS finden sich fast immer Auffälligkeiten im Sinne einer leichten lymphozytären Pleozytose und eines erhöhten 
Proteingehalts. 

Wenn CT, MRT oder Liquorbefund die Annahme einer Angiitis stützen, muss der histologische Nachweis einer leptomeningealen oder parenchymatösen Vaskulitis die Diagnose bestätigen. Die Histologie bei PACNS zeigt eine granulomatöse Entzündung, fibrinoide Nekrosen der Gefäßwand und/oder rein lymphozytäre Infiltrate. „Das ist der wichtigste Schritt: Sie müssen Ihre Diagnose beweisen und bei einer Erkrankung, die sich exklusiv im ZNS abspielt, brauchen Sie eine Hirn­biopsie“, betonte Prof. Berlit. Denn die Standardinduktions­therapie umfasst neben Steroiden Cyclophosphamid, das man wegen der vielfältigen Nebenwirkungen nicht auf bloßen Verdacht verordnen sollte. 

„Wir haben auch gute Erfahrungen mit Rituximab gemacht, das ist besser verträglich“, berichtete der Neurologe. Nach erfolgreicher Induktion kann auf MTX oder Azathioprin gewechselt werden. Die Patienten brauchen mindestens sechs bis zwölf Monate Induktionstherapie bis zur Remission und zwei Jahre Erhaltungstherapie. Das unterstreicht die Bedeutung der Biopsie zur Diagnosesicherung. 

Bis zu 20 % der PACNS-Patienten sterben vorzeitig

Die Prognose der PACNS ist trotz Therapie schlecht: In jedem dritten bis vierten Fall treten Rezidive auf, die Mortalität wird auf bis zu 20 % beziffert. Sind große Gefäße betroffen und ist der Therapie ein ischämischer Schlaganfall vorausgegangen, verschlechtert dies die Prognose. Um Rezidive frühzeitig zu erkennen, ist ein Follow-up von fünf Jahren erforderlich. 

Die Bedeutung der sorgfältigen Abklärung verdeutlichte Prof. Berlit am Fall eines 32-Jährigen, der mit ähnlichen Vorzeichen wie die oben beschriebene Patientin stationär aufgenommen wurde – seit vier Wochen Kopfschmerzen, Gewichtsverlust, leichte Hemiparese und Aphasie. Die Hirnbiopsie, obwohl aus einem in der MRT verdächtig erscheinenden Areal entnommen, zeigte nur normales Hirngewebe. Angiographisch er­gab sich sich ein vaskulitistypisches Bild mit geschlängelten Gefäßen und Stenosen. 

Hätten die Kollegen jetzt entschieden, mit einem Steroid zu behandeln, wäre das dem Patienten nicht gut bekommen, „hätten sie ihm Cyclophosphamid oder Rituximab gegeben, wäre er gestorben“, so Prof. Berlit. Denn der Mann hatte zwar eine zerebrale Vaskulitis, aber eine septische Gefäßentzündung auf dem Boden einer bakteriellen Endokarditis. Bei einem Patienten mit Vaskulitis und systemischen Symptomen, doch negativer Hirnbiopsie muss immer per Blutkultur eine systemische Infektion ausgeschlossen werden.

Ein Fallstrick der besonderen Art ist das Syndrom der reversiblen zerebralen Vasokonstriktion (RCVS). Die betroffenen Patienten klagen über einen Vernichtungskopfschmerz, der mit oder ohne neurologische Symptome einhergeht. In den meisten Fällen zeigt die MRT allenfalls geringe Auffälligkeiten, kleine Subarachnoidalblutungen oder Infarktzonen. Angiografisch finden sich zwar vaskulitistypische Vasokonstriktionen, diese resultieren aber nicht aus einem entzündlichen Geschehen. Auslöser können u. a. Medikamente sein, vor allem auch solche, die häufig in der Rheumatologie eingesetzt werden, etwa Tacrolimus und Cyclophosphamid. 

Präsentiert sich ein Rheumapatient mit Kopfschmerzen und schlaganfallähnlichen Symptomen, liegt also nicht zwangsläufig eine zerebrale Vaskulitis im Rahmen der Grunderkrankung vor, sondern vielleicht ein RCVS, das schnell und einfach zu behandeln ist: Vasokonstriktion und Symptome schwinden rasch unter Nimodipin. 

Kongressbericht: 8th Congress of the European ­Academy of Neurology

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Das diagnostische Work-up bei Vaskulitisverdacht sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor der Patient eine immunsuppressive Therapie erhält.
Das diagnostische Work-up bei Vaskulitisverdacht sollte auf jeden Fall abgeschlossen sein, bevor der Patient eine immunsuppressive Therapie erhält. © brand.punkt.‒ stock.adobe.com