Zum Sensibelchen gemacht

Dr. Andrea Wülker

Dass immer mehr Kinder zu Allergikern werden, liegt unter anderem am inflationären Antibiotikaeinsatz.
Dass immer mehr Kinder zu Allergikern werden, liegt unter anderem am inflationären Antibiotikaeinsatz. © iStock/Richard-Villalonundefined

Antibiotika­therapien in den ersten Lebensjahren können die gesunde Interaktion zwischen Darmmikrobiom und dem sich entwickelnden Immunsystem stören und allergische Erkrankungen begünstigen. Daher gilt: Antibiotika gerade am Beginn des Lebens oder in der Schwangerschaft mit Bedacht einsetzen!

Die Zusammensetzung des Mikrobioms ist für die Entwicklung eines gesunden Immunsystems entscheidend. Eine mikrobielle Dysbalance, z.B. infolge einer Antibiose in der frühen Kindheit, kann die Entstehung von Allergien fördern. Umgekehrt erhöht zum Beispiel das allergische ­Asthma ­bronchiale das Risiko für den unvernünftigen und unnötigen Einsatz von Antibiotika.

Eine Autorengruppe um Dr. ­Gerdien Tramper-Stranders von der Pädiatrischen Abteilung des ­Franciscus ­Gasthuis & ­Vlietland in Rotterdam beschreibt die komplexen Zusammenhänge zwischen Mikrobiom und allergischen Erkrankungen. In einem Positionspapier, das die Wissenschaftler im Auftrag der ­EAACI* angefertigt haben, erläutern sie die Rationale für den Einsatz von Antibiotika bei Allergien, insbesondere bei Asthma und atopischer Dermatitis, und geben den aktuellen Wissensstand zum Einsatz von Prä- und Probiotika bei diesen Erkrankungen wieder.

Während lungengesunde Menschen in ihren Atemwegen eine hohe mikrobielle Diversität aufweisen, sind beim Asthmapatientendeutlich weniger Bakterienspezies zu finden. Neben dem Rauchen und einer Kortikoidtherapie kann auch die Einnahme von Antibio­tika die mikrobielle Vielfalt in den Atemwegen relevant beeinträchtigen, berichten die Experten. Das Hautmikrobiom von Gesunden weist ebenfalls eine deutlich größere mikrobielle Diversität auf als das von Personen mit atopischer Dermatitis, liefern Dr. ­Tramper-­Stranders und Kollegen ein weiteres Beispiel. Bei Letzteren dominiert oft ­Staphylococcus ­aureus, während kommensale Bakterien den Rückzug antreten.

Was die Experten empfehlen

  • bei Schwangeren und kleinen Kindern: Antibiotika möglichst einschränken, um die „Allergie-Epidemie“ bei Kindern einzudämmen.
  • bei Asthma und atopischer Dermatitis: Einsatz von Antibiotika begrenzen. 
  • falls Antibiotika gegeben werden müssen: Substanzen mit möglichst schmalem Spektrum über eine möglichst kurze Zeit verordnen.

Auffällig ist, dass insbesondere Patienten mit allergischen Erkrankungen über die Maßen Antibiotika verordnet bekommen. Einerseits gelten Menschen mit Allergien als besonders anfällig für bakterielle Infektionen, versuchen die Autoren eine Erklärung. Andererseits – und das dürfte ihrer Einschätzung nach der Hauptgrund für den übermäßigen Antibiotikaeinsatz bei dieser Patientengruppe sein – lassen sich allergische Symptome oft nur schwer von denen eines Infekts abgrenzen. Fast jedes sechste Kind, das in den USA aufgrund von Asthma in einer ambulanten Einrichtung vorgestellt wird, erhält ein Antibiotikum, berichten die Autoren. Und erwachsene Patienten mit Asthmaexazerbation bekommen in nahezu 50 % der Fälle eine Antibiose verordnet. Da die Exazerbationen allerdings in der Regel viral getriggert sind, dürften diese Medikamente in den meisten Fällen überflüssig sein – oder gar schädlich, da sie das respiratorische Mikrobiom weiter destabilisieren und Resistenzen induzieren können, schreiben die Kollegen. Die sogenannten Prä- und Probiotika scheinen den Ergebnissen von In-vitro-Studien zufolge speziell zum Aufbau eines normalen Darmmikrobioms beizutragen und Entzündungsmechanismen im Allgemeinen zu modulieren. Probiotika sind definitionsgemäß „Präparate mit lebensfähigen Mikroorganismen, die einen gesundheitlichen Nutzen bieten, wenn sie in angemessener Menge angewandt werden“. Meistens handelt es sich um Lactobacillus- und Bifidobacterium-Spezies sowie um Hefen wie ­Saccharomyces ­boulardii. Präbiotika sind fermentierte Lebensmittelbestandteile, die zu spezifischen Veränderungen der Zusammensetzung oder der Aktivität der gastrointestinalen Mikroflora beitragen, etwa Fruktooligosaccharide oder Galaktooligosaccharide. Die Evidenz zum Nutzen der Pro- und Präbiotika ist insgesamt aber eher schwach, betonen die Autoren. Die Studien zum Thema sind vom Aufbau her und in ihrer Zielsetzung sehr heterogen.

* European Academy of Allergy and Clinical Immunology

Quelle: Tramper-Stranders G et al. Allergy 2021; 76: 3276-3291; DOI: 10.1111/all.15046

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Dass immer mehr Kinder zu Allergikern werden, liegt unter anderem am inflationären Antibiotikaeinsatz.
Dass immer mehr Kinder zu Allergikern werden, liegt unter anderem am inflationären Antibiotikaeinsatz. © iStock/Richard-Villalonundefined