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Zungenschmerz plus Erblindung

Ein Patient litt sei zwei Wochen unter Zungen- und Gesichtsschmerzen. Hinzu kamen starke Kopfschmerzen mit Sehstörungen und passagerer Erblindung des linken Auges. Diese ungewöhnliche Symptomkonstellation machte Anna Stenzl von der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde am Klinikum rechts der Isar in München und ihren Kollegen die Diagnose nicht einfach.
Am linken Zungenrand des 79-Jährigen zeigte sich eine Nekrose mit beginnender Ulzeration. Der sonstige HNO-Befund sowie der Hirnnervenstatus blieben unauffällig – ebenso wie eine zahnärztliche Untersuchung. Lediglich eine leichte Dysarthrie fiel auf, die zusammen mit dem erneuten nun bleibenden Visusverlust an ein zerebrales embolisches Ereignis denken ließ.
Im Labor fielen stark erhöhte Entzündungswerte auf
Dies konnte aber klinisch und radiologisch ausgeschlossen werden, die Dysarthrie war offensichtlich durch den Zungenschmerz und den Muskeldefekt bedingt. Die CT-Angiographie ergab nur eine kleine punktförmige Ischämie frontal links. Auch eine septische Embolie durch eine Endokarditis konnte als Ursache ausgeschlossen werden.
Die anschließende augenärztliche Untersuchung ergab einen linksseitigen Zentralarterienverschluss mit irreversiblem Sehverlust. Im Labor fielen vor allem stark erhöhte Entzündungswerte und eine Sturzsenkung von 95 mm/h auf.
Bei der rheumatologischen Konsilaruntersuchung konnten die Kollegen mittels Temporalis-Duplexsonographie eine moderate Wandverdickung (0,9 mm, Halo-Zeichen) mit Lumenkompression und nicht-kompressiblem Intimaödem zeigen. Wegen des nicht ganz klaren Bilds empfahlen sie eine Temporalarterienbiopsie. Diese zeigte das Bild einer fokal floriden Vaskulitis inklusive Intimafibrose und partieller Lumenobliteration sowie lymphozytär dominierte entzündliche Infiltrate. Obwohl der Nachweis von Riesenzellen nicht eindeutig erbracht werden konnte, lautete die Einschätzung der Kollegen: Arteriitis temporalis.
Die Symptome passten zu einer Vaskulitis
Für die Diagnose sprachen das hohe Alter des Patienten, die plötzlichen starken Kopfschmerzen und die hohe BSG. Die Amaurose passte ebenfalls ins Bild der Vaskulitis. Zungennekrosen sind dagegen eine sehr seltene Manifestation – vor allem wenn sie wie in diesem Fall ohne stärker ausgeprägte Allgemeinsymptome wie Fieber und Krankheitsgefühl auftreten. Allerdings fehlte auch das typische Bild der pulslosen und druckschmerzhaften A. temporalis und weder ANCA noch Kryoglobuline waren erhöht.
Schon vor der definitiven Diagnose hatte der Patient ASS und hoch dosiert Prednisolon i.v. erhalten sowie Methotrexat nach ausbleibendem Erfolg. Zu einer Besserung von BSG und Entzündungsparametern kam es erst durch die Gabe des IL-6-Rezeptorblockers Tocilizumab. Die Analgesie musste auf niederpotente Opioide eskaliert werden.
Leider konnte man während einer zweiten Episode drei Monate später selbst mit einer noch aggressiveren Therapie – Steroidstoß, Plasmapherese, Tocilizumab plus MTX – die irreversible Erblindung des anderen Auges nicht mehr verhindern. Der Zungendefekt heilte im weiteren Verlauf dagegen ab und die Schmerzen gingen zurück. Der Patient konnte im stabilen Allgemeinzustand (inkl. eingeleiteten Unterstützungsmaßnahmen) entlassen werden.
Die Münchner Kollegen raten aufgrund ihrer Erfahrung in diesem Fall dazu, Frühsymptome wie plötzlich aufgetretene Kopfschmerzen und Sturzsenkung bei älteren Menschen immer ernst zu nehmen. Sie empfehlen, bei einer solchen Konstellation umgehend eine Temporalis-Duplexsonographie zu veranlassen.
Quelle: Stenzl A et al. HNO 2022; 70: 304-307; DOI: 10.1007/s00106-021-01044-x
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