Honorarabschluss: Geringere Vergütungszuwächse in allen KVen
KBV und Krankenkassen haben sich auf einen Anstieg des Orientierungs(punkt)wertes (OPW) zum 1. Januar 2020 um 1,52 % geeinigt. Der OPW für eine EBM-Leistung beträgt damit 10,9871 Cent. Dies entspricht bundesweit einer Erhöhung der Gesamtvergütungen (MGV) um etwa 565 Mio. Euro.
Gefordert hatte die KBV eine Anhebung des OPW um etwa 2,7 %. Die Kassen hatten 0,2 % angeboten. Bei einer solchen Diskrepanz landet man üblicherweise vor dem Erweiterten Bewertungsausschuss (Schiedsamt). Dass es dann flugs zum beiderseits begrüßten Durchbruch kam, klingt da merkwürdig.
Die Antwort auf die Frage, warum die Kassen so schnell mitgespielt haben, ergibt sich allerdings aus der abgebildeten Tabelle. Die Kassen mussten, nachdem sie die Entwicklung bei den Morbiditäts- und Demografieraten gesehen hatten, nur die Grundrechenarten anwenden. Beide Steigerungsraten sind für 2020 derart „mies“, dass sie den Anstieg des OPW um 1,52 % auffressen.
Selbst die „Weltmeister“ bei der Diagnosekodierung in den neuen Bundesländern können nur wenig auf die OPW-Rate draufsatteln und erwarten niedrigere Steigerungsraten als 2019. Lediglich Mecklenburg-Vorpommern kann mit einem ähnlichen Zuwachs wie im Vorjahr rechnen. Zusätzliches Honorar für einen nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs aufgrund eines überproportionalen Anstiegs von Akuterkrankungen verglichen mit dem Jahr 2017 ist auch nicht zu erwarten.
Die in Berlin festgelegten Steigerungsvolumina sind nun die Grundlage für die Honorarverhandlungen 2020 in den KV-Bezirken. Allerdings besteht auch dort kaum Spielraum. Das Bundesversicherungsamt hatte die Krankenkassen bereits 2018 in einem Rundschreiben aufgefordert, sich bei den regionalen Honorarverhandlungen mit den KVen exakt an die gesetzlichen Vorgaben, also an die in der Tabelle dokumentierten Steigerungsraten, zu halten.
Die regionalen Veränderungsraten wurden vom Institut des Bewertungsausschusses errechnet und basieren auf den Behandlungsdiagnosen nach ICD-10. Der Demografierate liegen als Kriterien Alter und Geschlecht der Versicherten in den jeweiligen KV-Bezirken zugrunde.
Da allein die Erhöhung des OPW zu einer sicheren Honorarsteigerung in den Praxen führt, wird das Honorarvolumen 2020 stagnieren. Die Reduktion durch Morbiditäts- und Demografiefaktor mindert das regionale MGV-Volumen und damit die Regelleistungsvolumina der Praxen.
Was wird aus der EBM-Reform 2020?
Die im Wert angehobenen einzelnen EBM-Leistungen werden dadurch nur zu einem reduzierten Prozentsatz vergütet, wobei dieser Effekt z.B. in Hamburg deutlich mehr durchschlägt als in Mecklenburg-Vorpommern.
Honorarraten 2020 (in %): Punktwertanhebung +/- Demografie- und Morbiditätsentwicklung | ||||||
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KV | OPW | Demografie | Morbidität | Summe | 2019 | 2020 / 2019 |
Mecklenburg-Vorpommern | 1,52 | 0,14 | 0,64 | 2,30 | 2,50 | -7,8 |
Sachsen-Anhalt | 1,52 | -0,05 | 0,66 | 2,13 | 2,42 | -11,9 |
Thüringen | 1,52 | 0,01 | 0,52 | 2,04 | 2,85 | -28,3 |
Sachsen | 1,52 | -0,15 | 0,31 | 1,68 | 2,42 | -30,5 |
Brandenburg | 1,52 | -0,05 | 0,16 | 1,63 | 2,16 | -24,5 |
Niedersachsen | 1,52 | -0,10 | 0,08 | 1,50 | 2,61 | -42,3 |
Westfalen-Lippe | 1,52 | -0,18 | -0,01 | 1,32 | 2,72 | -51,3 |
Schleswig-Holstein | 1,52 | -0,09 | -0,25 | 1,18 | 2,53 | -53,5 |
Nordrhein | 1,52 | -0,24 | -0,14 | 1,14 | 2,21 | -48,4 |
Hessen | 1,52 | -0,22 | -0,20 | 1,10 | 2,21 | -50,2 |
Saarland | 1,52 | -0,08 | -0,35 | 1,09 | 1,36 | -19,8 |
Rheinland-Pfalz | 1,52 | -0,18 | -0,39 | 0,96 | 2,49 | -61,6 |
Baden-Württemberg | 1,52 | -0,17 | -0,45 | 0,90 | 1,70 | -47,0 |
Bayern | 1,52 | -0,17 | -0,47 | 0,88 | 1,53 | -42,6 |
Bremen | 1,52 | -0,54 | -0,47 | 0,50 | 2,27 | -77,8 |
Berlin | 1,52 | -0,47 | -0,91 | 0,14 | 1,69 | -91,5 |
Hamburg | 1,52 | -0,40 | -1,01 | 0,11 | 1,02 | -89,2 |
Quelle: Beschluss des Bewertungsausschusses vom 14.8.2019 (Angaben ohne Gewähr); OPW = Anhebung des Orientierungspunktwerts, Demografie- und Morbiditätsentwicklung sowie Summen: gerunderte Werte
Echte Honorarsteigerungen können also nur mit extrabudgetär vergüteten Leistungen erzielt werden, da hier die MGV keine Rolle spielt und die Anhebung des OPW unbudgetiert erfolgt.
Eine besondere Rolle spielt auch die lange geplante Novellierung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Sie sollte eigentlich 2019 unter Berücksichtigung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) realisiert werden. Seit einigen Monaten tagt ein KBV-Gremium, das eine Entscheidung im Bewertungsausschuss vorbereitet. Ein konkreter Reformentwurf soll vorliegen. Ob hiermit auch die dringend notwendigen Änderungen im Hausarzt-Kapitel vorgenommen werden, ist bisher nicht zu erkennen.
Bereits die schnelle Rücknahme der Forderung eines höheren Hausbesuchshonorars zum 1. Januar 2019 nährte den Verdacht, dass die KBV bei den Verhandlungen zur Weiterentwicklung des EBM die Hausärzte vergessen wird.
Geradezu fahrlässig geht man außerdem mit einem anderen wichtigen Element im Hausarzt-EBM – den Chronikerleistungen nach den Nrn. 03220 und 03221 – um. Einen ernsthaften Versuch, die sachfremden Regelungen zum Ansatz dieser Leistungen an die Realität anzupassen, hat der KBV-Vorstand schon lange nicht mehr unternommen, obwohl er in den Vertreterversammlungen Ende 2015 und 2016 dazu aufgefordert wurde.
Eine Lösung bietet der neue § 87 Absatz 2 des SGB V. Darin wird die KBV aufgefordert, im EBM die Bewertung bestimmter Leistungen und die Überprüfung wirtschaftlicher Aspekte, insbesondere bei medizinisch-technischen Geräten, auf aktueller betriebswirtschaftlicher Basis anzupassen. Frei werdende Honorarvolumina sollen der sprechenden Medizin zugute kommen. Der Gesetzgeber hat damit die Notwendigkeit einer angemessenen Vergütung der zuwendungsintensiven Medizin erkannt.
KBV zeigt kein Interesse an einer Umverteilung
Die KBV hat allerdings mehrfach erklärt, dass sie keine Umverteilung im Rahmen der EBM-Reform beabsichtige. Gelder aus der Abwertung medizintechnischer Leistungen will sie nicht zur Aufwertung der zuwendungsintensiven Medizin abzweigen – und aus der mageren Honorarsteigerung 2020 ergeben sich auch keine Ressourcen. Der Gesetzgeber ist somit weiterhin gefordert.
Medical-Tribune-Bericht