Regresse Krankenkasse reagiert allergisch

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Isabel Aulehla

Für Immuntherapien sind zugelassene Präparate mit Blick auf das Regressrisiko die bessere Wahl. Für Immuntherapien sind zugelassene Präparate mit Blick auf das Regressrisiko die bessere Wahl. © Africa Studio – stock.adobe.com

Bislang bestand die Annahme, dass auch nicht zugelassene Therapieallergene erstattungsfähig seien. Nur eine Krankenkasse widersprach und stellte Prüfanträge. Die Sozialgerichte geben ihr nun Recht. Regresse nahen. 

Vergangenes Jahr erhielten hunderte allergologisch tätige Ärzte die Info, dass gegen sie Regressanträge laufen. Der Vorwurf lautete, sie hätten nicht zugelassene Therapieallergene zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet, obwohl diese nicht erstattungsfähig seien. Die Betroffenen reagierten verständnislos, denn die gesetzliche Lage schien eindeutig: Die KBV hielt die Verordnung der Präparate für rechtens, das Bundesgesundheitsministerium ebenso, nicht mal der GKV-Spitzenverband hatte ein Problem damit. 

Nur eine kleine Krankenkasse in Bochum, die Viactiv, sah das anders. Sie hatte 461 Prüfanträge gestellt, den Zorn der Ärzteverbände auf sich gezogen und dann beteuert: Man wolle nicht auf die Regresse bestehen, sondern bevorzuge eine Beratung der betreffenden Mediziner. Dennoch kam es zu Regressforderungen

Dermatologen fahren aus der Haut

Dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen platzte angesichts der Regressforderungen der Viactiv kürzlich der Kragen. Er will der Krankenkasse den DermaOne-Vertrag zur besonderen Versorgung von Psoriasis und Neurodermitis kündigen. Der Verband hatte vorab aufgefordert, alle Prüfanträge wegen der Therapieallergene schriftlich zurückzunehmen. Dem war die Viactiv nicht nachgekommen. „Es kann nicht sein, dass Dermatologinnen und Dermatologen im Rahmen des DermaOne-Vertrages mit viel Aufwand Versicherte derjenigen Kasse versorgen, die ihnen gleichzeitig mit Regressanträgen das Leben schwer macht“, so Verbandspräsident Dr. Ralph von Kiedrowski. Die Viactiv bestätigt, ein entsprechendes Schreiben sei eingegangen, sie kommentiert den Fall weiter nicht.

Einige der Betroffenen klagten vor den Sozialgerichten – doch das ging nach hinten los, zeigt sich nun. In den vergangenen Wochen ergingen Urteile, die die Rechtssicht der Krankenkasse bestätigen. Die Verordnungen waren demnach rechtswidrig, die Regresse zulässig. Möglicherweise wird die Frage bald höchstrichterlich geklärt.

In den strittigen Fällen geht es um die Verordnung von Therapieallergenen, die nie zugelassen wurden. Erst 2008 weitete der Gesetzgeber die Zulassungspflicht mittels der Therapieallergene-Verordnung (TAV) auf die Allergene aus. Die Pflicht gilt seitdem für neue Präparate. Für Altpräparate, die 2008 schon im Umlauf waren, greift aber eine Ausnahmeregel: Sie durften auf dem Markt bleiben, sofern die Hersteller rechtzeitig einen Antrag auf Zulassung stellten. Dies taten zwar zahlreiche Firmen, weitere wirkliche  Zulassungsbemühungen unternahmen sie aber wohl teils nicht. So listet das Paul-Ehrlich-Institut selbst 15 Jahre später noch 43 Produkte, die zwar nicht zugelassen, aber verkehrsfähig sind. 

Verzögerungsstrategie statt Qualitätsnachweis?

Politisch stieß dies mehrfach auf Skepsis. Es drängt sich der Verdacht auf, die Unternehmen könnten die Zulassung bewusst nicht voranbringen, um die – möglicherweise unwirtschaftlichen und wirkungslosen – Produkte auf dem Markt zu halten und GKV-Erstattungen einzustreichen. Die Unionsfraktion äußerte im Mai in einer kleinen Anfrage außerdem Bedenken zur Patientensicherheit. Denn bis heute werden die Allergene trotz bestehender Alternativen rege verordnet. Dabei sind sie nicht auf Qualität, Unbedenklichkeit oder einen nachweisbaren Behandlungserfolg geprüft. Nur eine Chargenprüfung beim PEI durchlaufen sie.

Die Viactiv hält die Altpräparate aus all diesen Gründen für nicht erstattungsfähig. Das Sozialgericht Hannover bestätigte diese Auffassung im September, die Verordnungen waren demnach rechtswidrig (Az.: S 20 KA 308/22). Das Urteil gilt als Musterverfahren für über 20 weitere Fälle. 

Geklagt hatte eine pneumologische Berufsausübungsgemeinschaft. Die Ärzte hatten zwei Versicherten das Produkt „Pollinex Quattro Gräser/Roggen“ verordnet und sollen einen Regress in Höhe von 1.494,30 Euro zahlen. Sie argumentierten, die KBV habe mitgeteilt, dass das Produkt verordnungsfähig sei. Mit den in der TAV geschaffenen Übergangsfristen zeige der Gesetzgeber, dass die Präparate weiter zur Verfügung stehen sollten. Selbst die Autoren der relevanten S2k-Leitlinie AIT2022 würden davon ausgehen, dass die Therapieallergene verschreibungs- und verkehrsfähig seien. 

GKV darf nur bezahlen, was zugelassen wurde

Davon abgesehen, rügten die Ärzte, habe die Kasse keine wirtschaftliche Alternativbehandlung genannt. Schon deswegen sei der Antrag abzuweisen. Für eine Therapie mit dem vergleichbaren zugelassenen Präparat wären höhere Kosten entstanden.

All dies ließ das Gericht nicht gelten. Ein Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln durch die GKV bestehe nur bei Verordnungen, „die nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bieten“. Davon könne ausgegangen werden, wenn es sich um Fertigarzneimittel handele, die gemäß Arzneimittelgesetz zugelassen wurden. Erstattungsfähig ist damit nur, was zugelassen ist.

Dass die ärztliche Selbstverwaltung bislang von einer Erstattungsfähigkeit ausging, hält das Gericht für unbedeutend: „Aus dem Umstand, dass die Prüfgremien oder Kostenträger über einen längeren Zeitraum vergleichbare Verordnungen nicht beanstandet haben, erwächst kein Recht und kein Vertrauensschutz, auch in Zukunft entsprechend verordnen zu dürfen.“

Die Prüfstelle fordere zu Recht die volle Rückzahlung der entstandenen Kosten, stellte das Gericht klar. Zwar ist seit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz eine Differenzkos­tenrechnung zwischen Verordnung und vergleichbarer Therapie vorgesehen. Doch diese komme bei einer generell unzulässigen Verordnung nicht zur Anwendung. 

Laut Sozialgericht Hannover wurde bislang keine Berufung gegen das Urteil eingelegt. In einem anderen Fall zogen die Kläger allerdings vor das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Az.: L 3 KA 47/23). Der Fall könnte letztlich bis vor das Bundessozialgericht gehen. 

Im Fall einer Hautärztin aus dem rheinland-pfälzischen Ramstein-Miesenbach kam das Sozialgericht Mainz zu den gleichen Ansichten wie die Richter in Hannover. Sie soll  einen Regress von 747,15 Euro zahlen (Az.: S 2 KA 195/22).

Quelle: Medical-Tribune-Bericht