Wirtschaftlichkeitsprüfungen Arzneiregresse: Erst sinkt das Risiko, dann steigt es wieder
Die gute Botschaft lautet: Bisher wurden die Einsparungen der Kassen durch Arzneimittel-Rabattverträge bei der Vorauswahl zur Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht berücksichtigt. Vertragsärzte konnten so aus rein statistischen Gründen in Prüfverfahren verwickelt werden. Das ist geändert worden.
Arzneimittelverordnungen wurden dem Arzt bisher mit einem Wert zugeordnet, den die Kassen gar nicht bezahlt haben. Wer deshalb eine signifikante Überschreitung bei der Arzneimittelverordnung hatte, geriet in ein Prüfverfahren und war von einem Regress bedroht. Die seit 2023 gültigen Rahmenvorgaben sollen nun gewährleisten, dass weniger Ärzte von Verfahren der Richtgrößen- oder Durchschnittswertprüfungen bei Arzneirezepten betroffen sind.
KBV und GKV-Spitzenverband haben die Rahmenvorgaben zu den Wirtschaftlichkeitsprüfungen entsprechend angepasst. Die KBV konnte erreichen, dass Einsparungen aus Rabattverträgen für biosimilar- oder generikafähige Arzneimittel bereits bei der Vorabprüfung abgezogen werden. Dabei sollen Einsparungen wie folgt erfasst werden:
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In der Verordnungsstatistik des Arztes für die Vorabprüfung werden jeweils nur die Kosten des günstigsten Arzneimittels mit dem gleichen Wirkstoff, der gleichen Wirkstärke und der gleichen Packungsgröße berücksichtigt.
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Die Krankenkassen haben alternativ die Möglichkeit, vom Verordnungsvolumen die arztbezogen ermittelten Einsparungen abzuziehen, die sie aufgrund von Rabattverträgen erzielt haben.
In den Verhandlungen hatte der GKV-Spitzenverband darauf hingewiesen, dass nicht alle Krankenkassen technisch in der Lage seien, die Forderung der KBV umzusetzen, und daher für diese Krankenkassen ein alternatives Vorgehen möglich sein müsse. Die Kassen sind nun aber verpflichtet, die Einsparungen bei den Vorabprüfungen entsprechend zu berücksichtigen.
Das bedeutet für die Praxis:
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Wichtig ist, dass die „Aut-idem-Kennzeichnung“ konsequent nur in Fällen zur Anwendung kommt, bei denen der Patient eindeutig ein medizinisch notwendiges Arzneimittel benötigt, für das es keine biosimilar- oder generikafähige Alternative gibt.
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Der Apotheker muss hier das aktuell preisgünstigste Arzneimittel abgeben, das hier auch in die Volumenberechnung der Praxis eingeht.
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Eine Auffälligkeitsprüfung ist dann theoretisch nur noch bei Dosisabweichungen möglich.
E-Rezept: Hier droht künftig eine Regressgefahr
Doch kaum ist eine Honorargefahr gebannt, deutet sich schon eine andere an: Obgleich der Einsatz des elektronischen Rezepts noch in den Kinderschuhen verharrt, gibt es bereits ein Umsetzungsproblem, das in der Zukunft zu Arzneimittelregressen führen kann.
Zum Hintergrund: Das Einlösen von E-Rezepten per Gesundheitskarte soll laut Gematik noch in diesem Jahr möglich werden. Ein Problem bei der Verordnung ist bislang, dass Versicherte E-Rezepte nur über eine spezielle App in der Apotheke einlösen können. Sie müssen vorher ein aufwendiges Identifizierungsverfahren durchlaufen und brauchen eine NFC-fähige eGK sowie eine PIN von ihrer Krankenkasse.
Dies stellt für viele Menschen eine Hürde dar. Also müssen Ärzte, die das elektronische Rezept nutzen und die Verordnungsdaten digital übermitteln, ihren Patienten weiterhin einen Papierausdruck mit einem QR-Code aushändigen. Mit dem Code kann das Apothekenpersonal die Verordnung vom Server abrufen. Die Gematik passt nun die Spezifikation des E-Rezepts so an, dass die elektronische Gesundheitskarte zum Einlösen von Medikamenten datenschutzkonform eingesetzt werden kann.
Künftig muss die Praxissoftware bei E-Rezepten auch die Ausstellung von sog. Mehrfachverordnungen für die Dauermedikation chronisch Kranker ermöglichen. Dies gilt formal schon seit April 2023. Hier dürfen Apotheken das Arzneimittel bis zu vier Mal innerhalb eines Jahres abgeben, vorausgesetzt das Rezept trägt eine entsprechende Kennzeichnung. Die Anzahl der Abgaben sowie der Beginn ihrer jeweiligen Einlösefrist muss der verordnende Arzt festlegen, wobei das Ende dieser Frist optional ebenfalls angegeben werden kann, aber maximal 365 Tage nach dem Ausstellungsdatum liegen darf. Damit ist eine längerfristige Versorgung von Versicherten mit einem kontinuierlich benötigten Arzneimittel möglich.
Mehrfachverordnungen dokumentieren
Auf papiergebundenen Verordnungen ist aufgrund der damit verbundenen technischen Probleme bisher keine Mehrfachverordnung möglich gewesen. Das ist auch gut so, denn solche Mehrfachverordnungen können Auswirkungen auf die eventuell prüfungsrelevanten Verordnungskosten in den nachfolgenden Quartalen haben, in denen die jeweiligen Einzelverordnungen eingelöst werden. Diesen Verordnungskosten steht nämlich ggf. im betreffenden Quartal kein Behandlungsfall gegenüber.
Die KBV empfiehlt deshalb, solche Mehrfachverordnungen zu dokumentieren, um im Fall einer Wirtschaftlichkeitsprüfung entsprechend argumentieren zu können. Eine Regelung auf Verwaltungsebene sei nicht möglich. Denn aufgrund der freien Konfigurierbarkeit der Gesamtgültigkeit sowie der variablen Einlösefristen der einzelnen Verordnungen, die nicht zwangsläufig in mehreren Quartalen liegen müssen, sei es nicht möglich, einen allgemeingültigen Mechanismus zu definieren, um diese Budgeteffekte der Mehrfachverordnung zu berücksichtigen.
Auf diese Entwicklung sollte man in der Praxis vorbereitet sein. Wichtig ist, dass die Nutzung der Mehrfachverordnung im Ermessen des Arztes liegt und Versicherte hierauf keinen gesetzlichen Anspruch haben. Das ist sicherlich eine einfache Möglichkeit, das Problem zu entschärfen, bis es dafür eine Lösung gibt.
Medical-Tribune-Bericht