Wirtschaftlichkeitsprüfung: Kassen kündigen Rahmenvereinbarung

Niederlassung und Kooperation Autor: Anouschka Wasner

Mit der Kündigung der Rahmenvereinbarung stehen der verkürzte Regress-Zeitraum und die Begrenzung der Rückforderungen auf der Kippe. Mit der Kündigung der Rahmenvereinbarung stehen der verkürzte Regress-Zeitraum und die Begrenzung der Rückforderungen auf der Kippe. © iStock/erhui1979

Regressverfahren aufgrund nicht wirtschaftlicher Verordnungen sind ein Damoklesschwert. Entlasten sollte die Rahmenvorgabe zur Wirtschaftlichkeitsprüfung zwischen KBV und Kassen. Die wurde jetzt völlig überraschend gekündigt. Was steckt dahinter?

Mitten in der Pandemie und schon nach rund einem Jahr hat der GKV-Spitzenverband einseitig die Rahmenvorgabe zur Wirtschaftlichkeit unvermittelt gekündigt. „In der Fußballersprache nennt man das eine Blutgrätsche“, kommentierte das KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister. Auch die Vertreterversammlung der KBV von Ende März erklärte hierzu ihr „absolutes Unverständnis“ und forderte die Krankenkassen auf, ohne Wenn und Aber zu den Vereinbarungen zu stehen, für die der Gesetzgeber klare Vorgaben geschaffen hat. 

Selbstverwaltung wird handlungsunfähig  

Dr. Norbert Metke, Vorstands-Vorsitzender der KV Baden-Württemberg, nennt den Vorgang einmalig und eine Attacke auf die Selbstverwaltung. Viele Einzelkassen hätten die Vorgaben des mit dem GKV-Spitzenverband einvernehmlich ausgehandelten Vertrages wohl regional schon nicht umgesetzt, weil ihnen Inhalte ein Dorn im Auge sind. Hinter dem Vertrag stünden aber Vorgaben des Gesetzgebers – wenn Gesetzesaufträge durch Scheinverträge blockiert werden, wie könne die Selbstverwaltung dann ihren Auftrag erfüllen? Nach dieser Groteske müsse man sich fragen, ob Verhandlungen des GKV-Spitzenverbandes überhaupt Sinn machen oder man nicht zukünftig unmittelbar das Schiedsamt anrufen müsse. 

Ausgehandelt worden war die Rahmenvereinbarung als mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) im Mai 2019 auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung neu geregelt wurde. Die wichtigste Veränderung, die das neue Gesetz mitgebracht hatte: dass der Regress-Zeitraum von vier auf zwei Jahre reduziert wurde und dass im Falle eines Regresses nicht  mehr die gesamten Kosten der als unwirtschaftlich geltenden Leis­tung zu erstatten sind, sondern nurmehr die Mehrkosten, also die Differenz zwischen dem verschriebenen und einem üblichen Medikament. 

Die KBV konnte sich damals über das in der dann ausgehandelten Rahmenregelung Erreichte freuen. Auch wenn man am liebs­ten gar keine Regresse und Richtgrößenprüfungen mehr hätte, sei diese Neuregelung „ein ganz großer Schritt, fast schon ein Paradigmenwechsel.“

Erfolgreich gefochten hatten die Ärztevertreter u.a. in der Frage, in welchen Fällen die Mehrkosten erstattet werden müssen. Mit der Vereinbarung soll diese Regelung über das Gesetz hinaus bei fast allen Leistungen berücksichtigt werden, lediglich Verordnungsausschlüsse wie etwa die von Lifestyle-Arzneimitteln oder Erkältungsmedikamenten bzw. Ausschlüsse nach der Heilmittel-Richtlinie sind davon ausgenommen. Durchgesetzt wurde auch, dass die Mehrkostenberechnung bei allen Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen aufgrund von Richtlinien des G-BA durchgeführt wird. Dazu zählen bei Arzneimitteln unter anderem Prüfanträge wegen eines Off-Label-Use. 

Außerdem wurde vereinbart, dass die Differenzberechnung auch bei der Prüfmaßnahme „Beratung vor Regress“ angewendet wird. Dadurch kann der Arzt unter die Auffälligkeitsgrenze gelangen und die nur einmalig anzuwendende Regelung „Beratung vor Regress“ bleibt für zukünftige Verfahren erhalten. Ein weiterer Erfolg: die Verkürzung des Regress-Zeitraumes auf zwei Jahre gilt aufgrund der Rahmenvorgabe auch für Einzelfallprüfungen.

Gekündigt wurde die Vereinbarung zum 31.10.2021. Aktuell wollte sich der GKV-Spitzenverband gegenüber Medical Tribune nicht dazu äußern, welche Zielsetz­ung eine neue Vereinbarung aus Kassensicht verfolgen soll. Es sei ausreichend Zeit, „weitere Schritte gemeinsam mit der KBV zu gehen“. Solange es keine neue – geschiedste oder einvernehmlich getroffene – Vereinbarung gibt, gilt die aktuelle Rahmenvereinbarung allerdings erst mal weiter.

Wie wird Wirtschaftlichkeit geprüft?

Vertragsärzte sind zur Wirtschaftlichkeit verpflichtet: Die verordneten Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots unterliegt einer gesetzlich vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitsprüfung der ärztlichen Leistungen und der vom Arzt veranlassten Leistungen. Es gibt Auffälligkeitsprüfungen, die bei max. 5 % der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden, wenn die vereinbarten Richtgrößen überschritten wurden, und Zufälligkeitsprüfungen, die stichprobenmäßig bei 2 % der Ärzte durchgeführt werden und ärztliche Leistungen und Verordnungen betreffen. Und die Krankenkassen können über Prüfanträge Einzelfallprüfungen auslösen, z.B. bei Fällen von Folgeverordnungen, während der Patient stationär untergebracht ist oder wenn Arzneimittel (noch) nicht erstattungsfähig sind oder bei Verdacht auf Off-Label-Use ohne passende Verordnung. Die Methoden zur Prüfung von Verordnungen variieren von KV zu KV, seitdem mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz zum 1. Januar 2017 die Richtgrößenprüfung als bundesweite Methode durch regional vereinbarte Prüfungen abgelöst wurde. Grundsätzlich können die folgenden Methoden zur Anwendung kommen:
  • Richtgrößenprüfung: Als Richtgröße gilt der Betrag, der Niedergelassenen für Arznei- und Verbandmittel sowie Heilmittelverordnungen pro Patient und Quartal im Durchschnitt zur Verfügung steht. Wird dieser um mehr als 15 % überschritten, wird ein Prüfverfahren eingeleitet. Dabei werden ggf. die Praxisbesonderheiten in die Rechnung einbezogen. Liegt der Betrag weiterhin um mehr als 15 % über der Richtgröße, gilt bei erstmaliger Überschreitung in der Regel „Beratung vor Regress“. Bei wiederholter Überschreitung bzw. in manchen KVen generell bei Überschreiten von 25 % kann ein Regress festgesetzt werden.
  • Durchschnittswerteprüfungen: Hier werden die Verordnungskosten mit dem Durchschnitt der Fachgruppe verglichen. Die Durchschnittswerte werden erst im Anschluss an den jeweiligen Verordnungszeitraum berechnet.
  • Prüfungen nach Zielwerten: Dafür werden für bestimmte Prüfgruppen jährlich Wirtschaftlichkeitsziele mit Zielwerten für vorrangig einzusetzende Wirkstoffe vereinbart. Die Zielwerte orientieren sich an den Durchschnittswerten der betreffenden Prüfgruppe. Es können Wirkstoffquotenziele, Wirkstoffmengenziele sowie fachgruppenübergreifende Verordnungsziele unterschieden werden.

Medical-Tribune-Bericht