Geriatrie mit Potenzial Leistungen sind zum Teil bereits entbudgetiert

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Welche geriatrischen Leistungen abgerechnet werden können, erfahren Sie am Fallbeispiel eines 76-jährigen Patienten mit Herzinsuffizienz (Agenturfoto). Welche geriatrischen Leistungen abgerechnet werden können, erfahren Sie am Fallbeispiel eines 76-jährigen Patienten mit Herzinsuffizienz (Agenturfoto). © fizkes – stock.adobe.com

Die geriatrischen Leistungen im Hausarzt-EBM sind regional mehr oder weniger stark budgetiert. Sollte die politisch versprochene Entbudgetierung kommen, ist hier aufgrund des hohen Anteils solcher Patienten in der Praxis ein Honoraranstieg zu erwarten. Welche Leistungen sich abrechnen lassen, zeigt ein Fallbeispiel.

Das hausärztlich-geriatrische Basisassessment nach GOP 03360 ist die Eingangspforte für die Betreuung geriatrischer Patienten. Sie kann zweimal im Krankheitsfall berechnet werden. Bereits der einmalige Ansatz reicht aus, um die eigentliche Betreuung nach GOP 03362 (hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex) in jedem Quartal abzurechnen. 

Das Basisassessment kann jedoch nur berechnet werden, wenn der Patient 70 Jahre oder älter ist und zusätzlich entweder ein Pflegegrad und/oder mindestens eine geria­trietypische Morbidität vorliegt. Zu Letzterer gehört z.B. eine multifaktoriell bedingte Mobilitätsstörung samt Fallneigung und Altersschwindel, eine komplexe Beeinträchtigung kognitiver, emotionaler oder verhaltensbezogener Art, ein Frailty-Syndrom (Kombinationen von unbeabsichtigtem Gewichtsverlust, körperlicher und/oder geistiger Erschöpfung, muskulärer Schwäche, verringerter Ganggeschwindigkeit und verminderter körperlicher Aktivität), eine Dysphagie, Inkontinenz oder ein therapierefraktäres chronisches Schmerzsyndrom.

Die GOP für den Arznei-Check plus Medikationsplan

Die Betreuung nach der GOP 03362 schließt an diese Diagnostik an und beinhaltet typische hausärztliche Leistungen zur Einleitung und/oder Koordination der Behandlung, ggf. therapeutischer Maßnahmen wegen geriatrischer Syndrome wie Stuhl- und/oder Harninkontinenz, Sturzgefahr bei lokomotorischen Problemen, Frailty-Syndrom, Immobilität und verzögerter Remobilität, Hemiplegiesyndrom, kognitiven und neuropsychologischen Störungen oder metabolischer Instabilität. Hinzu kommt das Überprüfen und ggf. Anpassen aller verordneten Arzneimittel und der Selbstmedikation plus Erstellen bzw. Aktualisieren eines Medikationsplans. 

Im EBM gibt es für Hausärzte die extrabudgetär vergüteten GOP 30980 und 30988, wenn sie Patienten einem geriatrisch spezialisierten Arzt oder einer Institution zuführen (30980) und anschließend die Behandlungsempfehlungen umsetzen (30988). Da beide Leistungen nur einmal im Krankheitsfall berechnet werden dürfen, kann eine solche Überweisung nur im jährlichen Abstand stattfinden. 

Die GOP 30980 steht für die konsiliarische „Abklärung vor der Durchführung eines weiterführenden geriatrischen Assessments“ der GOP 30984 bis 30986. Deren Ansatz ändert nichts an der Berechnungsfähigkeit der GOP 03360 in der eigenen Praxis. Da die GOP 03362 davon abhängt, dass ein geriatrisches Assessment vorliegt, das nicht älter als ein Jahr ist, dieses aber nicht selbst erbracht worden sein muss, berechtigt auch das Vorliegen eines solchen Assessments – ggf. sogar aus einer stationären Einrichtung – zur Berechnung der GOP 03362 über vier Quartale hinweg.

Der geriatrisch spezialisierte Arzt darf nur Therapievorschläge machen. Die kann der überweisende Hausarzt umsetzen, muss er aber nicht. Die „Einleitung und Koordination solcher Therapiemaßnahmen“ ist nach der GOP 30988 berechnungsfähig. In Betracht käme z.B. der Antrag auf eine geriatrische Reha nach der GOP 01611/01613.

Eine Reha-Maßnahme nach Formblatt 61 kann seit Juli 2022 von der Krankenkasse nicht mehr abgelehnt werden, wenn der Versicherte 70 Jahre oder älter ist und eine geriatrietypische Multimorbidität besteht sowie vorgegebene Funktionstests durchgeführt wurden. Da sowohl die geforderte Multimorbidität wie auch Teile der Funktionstests inhaltlich aus den GOP 03360 bzw. 30984 hervorgehen, können diese Befunde die Grundlage des Reha-Antrags bilden, sofern sie nicht älter als sechs Wochen alt sind. Gefordert werden Ergebnisse aus mindestens zwei der folgenden Bereiche:

  • Mobilität (Timed Up & Go in Verbindung mit Chair-Stand-Up-Test, de-Morton-Mobility-Index, Motilitätstest nach Tinetti, Handkraft-Messung)
  • Kognition (Mini-Mental-Status-Test, Geriatrische Depressions-Skala, Uhrentest nach Watson)
  • Schmerz (visuelle oder numerische Schmerzskala)
  • Herz-/Lungenfunktion (Ergo-/ Spirometrie, NYHA-Skala)

Die GOP 01611 wird im Jahr 2023 und auch 2024 extrabudgetär vergütet. Die GOP 01613 für die Testverfahren wird dagegen aus der Morbi-Gesamtvergütung bezahlt. 

Fallbeispiel: 76-jähriger Patient mit Herzinsuffizienz

Die Umsetzung aller genannten Leistungen ist in diesem Fallbeispiel dargestellt (siehe Tab. 1): Der 76-jährige Patient leidet an Herzinsuffizienz NYHA II, mittelgradigem Hypertonus und einem nicht-insulinpflichtigen Diabetes mellitus 2. Er kommt in Begleitung seiner Tochter in die hausärztliche Sprechstunde. Nach deren Aussage hat er kognitive Störungen und eine signifikante Fallneigung entwickelt. Da der Patient regelmäßig im DMP Diabetes Typ 2 und KHK untersucht wurde, wird zunächst nur der Barthel-Index erfasst und ein Timed Up & Go plus Chair-Rise-Test als geriatrisches Basisassessment gemacht.

Tab. 1: Basismanagement in der Hausarztpraxis
EBM Legende Euro
03005 Versichertenpauschale (VP) im 76. Lebensjahr, einmal im Behandlungsfall 22,98

03020

03040

Hygiene- und hausärztliche Grundpauschale (wird von der KV zugesetzt) 16,09
03220 Zuschlag zur VP für Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung, einmal im Behandlungsfall 14,94
03360 Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment, zweimal im Krankheitsfall 12,99
03230 Problemorientiertes ärztliches Gespräch, je vollendete 10 Minuten 14,71

Tab. 2: Wegen des Verdachts auf eine beginnende Demenz wird der Patient einem Neurologen vorgestellt und auf dessen Empfehlung hin zur weiteren Diagnostik an einen geria­trisch spezialisierten Arzt überwiesen. Der Termin bei einem Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Geriatrie wird innerhalb von zwei Wochen vereinbart.

Tab. 2: Abklärung und Terminvermittlung
EBM Legende Euro
03221  Zuschlag zur GOP 03220 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung, einmal im Behandlungsfall 4,60
03362 Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex, einmal im Behandlungsfall 20,00
30980 Abklärung vor einem weiterführenden geriatrischen Assessments, einmal im Krankheitsfall 22,18
03008 Zuschlag zu der VP nach der GOP 03000 für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins 15,15
03230 Problemorientiertes ärztliches Gespräch, je vollendete 10 Minuten 14,71

Tab. 3: Der Patient kommt aus der geriatrisch spezialisierten Praxis mit etlichen Therapieempfehlungen zurück, insbesondere wird eine baldmöglichste geriatrische Reha empfohlen. Diese werden umgesetzt, ein Antrag auf geriatrische Reha wird gestellt. Die Testergebnisse aus der spezialisierten Praxis fließen in den Antrag ein. Mittlerweile hat ein Quartalswechsel stattgefunden.

Tab. 3: Verordnung medizinischer Rehabilitation
EBM Legende Euro
03005 VP im 76. Lebensjahr, einmal im Behandlungsfall 22,98
03220 Zuschlag zur VP für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung, einmal im Behandlungsfall 14,94
30988 Zuschlag zur GOP 03362 für die Einleitung und Koordination der Therapiemaßnahmen gemäß multiprofessioneller geriatrischer Diagnostik nach Durchführung eines weiterführenden geriatrischen Assessments, einmal im Krankheitsfall 7,47
01611 Verordnung medizinischer Rehabilitation mit Muster 61 36,20
01613 Zuschlag zur GOP 01611, einmal im Krankheitsfall 8,62
03230 Problemorientiertes ärztliches Gespräch, je vollendete 10 Minuten 14,71

Bei dem Fallbeispiel ist ferner zu beachten: Sofern auch der Termin beim Neurologen als dringlich vermittelt wurde, kann die GOP 03008 zweifach angesetzt werden. Die GOP 01613 ist im Behandlungsfall nicht neben der GOP 03360 berechnungsfähig. Da hier ein Quartalswechsel erfolgte, kann die GOP aber angesetzt werden, wenn die geforderten Funktionstests durchgeführt wurden. Sofern die Ergebnisse der nach GOP 03360 oder 30984 vorgenommenen Tests nicht älter als sechs Wochen sind, kann das als Basis für die der GOP 01613 verwendet werden. Bei der Demenzdiagnostik könnte auch die GOP 03242 (Testverfahren) bis zu dreimal im Behandlungsfall zum Ansatz kommen, allerdings nicht im selben Quartal, in dem die GOP 03360 oder 01613 berechnet wurden. 

Medical-Tribune-Bericht