Pfadfinder im ICD-10-Dschungel
Während Spezialisten bezüglich eines Diagnoseschlüssels meist bereits in einem Kapitel des Standardwerkes fündig werden, müssen Hausärzte oft über die gesamte Breite des Buches suchen, was sich oft recht schwierig gestaltet. Darauf verweist Dr. Sebastian Carnarius vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi). Er rät zur Nutzung des Hausarzt-Thesaurus im Rahmen der Zi-Kodierhilfe.
Wechsel jederzeit mit einem Mausklick möglich
Der Wechsel zwischen der ICD-Vollversion und dem Hausarzt-Thesaurus sei mit einem Klick möglich. Wie das Zi auf seiner Webseite beispielhaft erklärt, schlägt der Hausarzt-Thesaurus etwa unter dem Stichwort „Wirbelsäule“ 38 Möglichkeiten vor (was immer noch reichlich ist) – statt der 728 Varianten im ICD-10-GM. Beim Begriff „Myokardinfarkt“ sind es sieben statt 108 ICD-10-Kodiermöglichkeiten.
Es gibt jedoch weiteren Optimierungsbedarf. Ab Januar wird dieser deshalb in einem „Hausarzt-Thesaurus 2.0“ umgesetzt sein. Beteiligt waren an der Überarbeitung laut Dr. Carnarius Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internisten sowie Mitglieder von hausärztlichen Verbänden und der KBV. Die Basis der Überlegungen bildete die Analyse des Kodierverhaltens der Hausärzte von IV/2014 bis III/2015 und hierbei die Betrachtung der 175 häufigsten „Dreisteller“ sowie der dazugehörigen terminalen ICD-10-Codes.
Bereitschaft zum Wechsel zu Hausarzt-Listen ist hoch
Der Hausarzt-Thesaurus 2.0 wird insgesamt 579 Einträge umfassen, davon 365 unterschiedliche ICD-10-Codes. Blau werden die Einträge zu anatomischen und funktionellen Systemen gekennzeichnet sein. Ein grüner Teil bezieht sich auf häufige Behandlungsanlässe und typische Patientengruppen. Auch eine Untergliederung in Abschnitte mit im Schnitt jeweils nur zehn Einträgen schafft mehr Übersichtlichkeit.
Hausärzte würden im Kodieren vor allem einen Nutzen für die Krankenkassen sehen, die darüber mehr Geld aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich bekommen, sagt Professor Dr. Thomas Kühlein, Direktor des Allgemeinmedizinischen Instituts der Universität Erlangen. Das Kodieren biete aber auch die Möglichkeit zur Reflexion der eigenen Arbeit. Es stelle sich jedoch die Frage, ob ICD-10 die richtige Klassifikation sei, um die hausärztliche Patientenversorgung statistisch zu beschreiben, oder ob eine andere Klassifikation wie die International Classification of Primary Care (ICPC) nicht besser geeignet wäre. Eine Umfrage unter Hausärzten habe ergeben, so der Professor für Allgemeinmedizin, dass 70 % „sofort“ und „gerne“ auf eine solche Liste umstellen würden und 78 % der Codes bereits jetzt über selbst erstellte oder über die Praxissoftware verfügbare Hauslisten („Cheat-Sheets“) genutzt würden.
Prof. Kühlein stellte auf dem Zi-Forum „ICPC-2“ vor. Dieses Klassifizierungssystem für die Hausarztmedizin findet auf einem beidseitig bedrucktem DIN-A4-Blatt Platz. Gesucht werden kann hier nicht nur ausgehend von der Diagnose, sondern auch vom Beratungsansatz aus (Warum kam der Patient?). Der Aufbau ist organbezogen. Innerhalb aller Kapitel wird zudem farblich unterteilt in Prozeduren-Codes, Symptome, Infektionen, Neubildungen, Verletzungen, Fehlbildungen und „andere Diagnosen“.
ICPC-2, das schon in vielen europäischen Ländern genutzt wird, berücksichtigt ca. 300 Diagnosen und 100 Symptome. Prof. Kühlein hält die Nutzung von ICPC-2 auch für eine Kodierung bzgl. des Morbi-RSA für „theoretisch möglich“. Die Johns Hopkins-Universität in Baltimore, USA, habe mit ihrem ACG-System die Möglichkeit geschaffen, die Morbiditätslast über ICPC-2 abzubilden. Darüber ließe sich sicher auch der Morbi-RSA abwickeln.