Neue Versorgungspauschale Wie sich die Altersstruktur der Patienten und die Leistungen einer Hausarztpraxis auf die Einnahmen auswirken können

Abrechnung und ärztliche Vergütung , Kassenabrechnung Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Arztpraxen könnten sich durch die neuen Änderungen fallzahlunabhängig nun auch ältere Patient:innen „leisten“ ohne Verlust eines angemessenen Honorars. Arztpraxen könnten sich durch die neuen Änderungen fallzahlunabhängig nun auch ältere Patient:innen „leisten“ ohne Verlust eines angemessenen Honorars. © Alexander Raths – stock.adobe.com

Laut KBV droht beim Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz ein „Chaos bei der Abrechnung hausärztlicher Leistungen“. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband begrüßt dagegen die geplanten Regelungen und macht Gestaltungsvorschläge. Wer liegt richtig? Nun: Probeberechnungen zur Versorgungspauschale erlauben eine Prognose.

Zwei Tabellen, die sich auf den ersten Blick sehr ähnlich sehen: Betrachtet werden zwei Praxen mit 1.500 Fällen, aber unterschiedlicher Altersstaffelung der Behandlungsfälle. In der vom BMG vorgesehenen neuen Versorgungspauschale sollen die bisherigen Versicherten- sowie die Chronikerpauschalen nach den GOP 03220/03221 zusammengeführt werden. 

Dementsprechend enthält Spalte 2 die aktuellen Honorierungen dieser GOP, summiert auf den im Gesetz vorgesehenen Krankheitsfall (vier aufeinanderfolgende Quartale). 

Die Spalten 3 und 4 stellen die Simulation mit unterschiedlichen Fallzahlen in den Altersgruppen dar. Die türkis markierten Zahlen in Tabelle 1 führen zu dem aktuell wahrscheinlichen Jahresergebnis, wenn es bei der jetzigen Trennung von Versicherten- und Chronikerpauschalen nach der sog. 4/3/2/1-Regel bleiben würde. Die Praxis B in Spalte 4 mit einer geringeren Anzahl älterer Patienten verliert hier deutlich gegenüber der Praxis A in Spalte 3 mit dem höheren Anteil solcher Patienten. 

Tab. 1: Simulation der bisherigen Auswirkungen beim Ansatz der GOP 03000 und 03220/03221 als Jahrespauschale in einer Praxis mit 1.500 Fällen

Altersstaffel

Euro/ Krankheitsfall

Praxis A Fallzahl

Praxis B Fahlzahl

Versicherte bis zum vollendeten 4. Lebensjahr (Lj.)

188,52

100

100

Versicherte ab Beginn des 5. bis zum vollendeten 18. Lj.

148,92

100

400

Versicherte ab Beginn des 19. bis zum vollendeten 54. Lj.

135,52

400

500

Versicherte ab Beginn des 55. bis zum vollendeten 75. Lj.

151,76

400

200

Versicherte ab Beginn des 76. Lj.

176,60

500

300

Summe (Fallzahl in Türkis x Euro):

149.004

83.332

Quelle: EMB, eigene Berechnungen

Voraussetzung für den Ansatz der Versorgungspauschale ist eine „lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedarf“. Erklärtes Ziel der Strukturreform ist es, dass gut eingestellte chronisch Kranke nicht mehr in jedem Quartal – oder wie bei der jetzigen Chronikerregelung mindestens zweimal innerhalb von vier Quartalen – einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt haben müssen.

Das erweitert die Zahl der Patienten, bei denen die neue Versorgungspauschale zum Ansatz kommen kann, auf die in der Tabelle 2 türkis markierten Felder. Patienten z.B. mit einer Hypothyreose, einer Migräne oder einem Reizdarmsyndrom fallen unter die neue Definition, auch wenn sie z.B. nur einmal innerhalb von vier Quartalen zur Verlaufskontrolle in die Praxis kommen. Tab. 2 zeigt, dass hier die Praxis B mit dem geringeren Anteil älterer Patienten um rund 10.000 Euro näher ans Ergebnis der Praxis A heranrückt. Allerdings wird bei dieser Darstellung unterstellt, dass bei allen Patienten im 19. bis 54. Lebensjahr die neue Versorgungspauschale berechnet werden kann. In der Realität kommt es auf den einzelnen Fall an. Zusammenfassend kann man aber davon ausgehen, dass es durch die Versorgungspauschale zu keinen größeren Umverteilungen beim Honorar kommen wird.

Tab. 2: Simulation der künftigen Auswirkungen beim Ansatz der neuen jährlichen Versorgungspauschale in einer Praxis mit 1.500 Fällen

Altersstaffel

Euro/ Krankheitsfall

Praxis A Fallzahl

Praxis B Fahlzahl

Versicherte bis zum vollendeten 4. Lebensjahr (Lj.)

188,52

100

100

Versicherte ab Beginn des 5. bis zum vollendeten 18. Lj.

148,92

100

400

Versicherte ab Beginn des 19. bis zum vollendeten 54. Lj.

135,52

400

500

Versicherte ab Beginn des 55. bis zum vollendeten 75. Lj.

151,76

400

200

Versicherte ab Beginn des 76. Lj.

176,60

500

300

Summe (Fallzahl in Türkis x Euro):

203.212

151.092

Quelle: EMB, eigene Berechnungen

Anders ist die Ausgangslage bei der neuen Vorhaltepauschale, die nach der Gesetzesbegründung die bisherige GOP 03040 ersetzen soll. Diese wird bisher in allen Fällen automatisch durch die KV zugesetzt. 

Bei unseren Beispielen mit 1.500 Fällen führt dies unabhängig von der Struktur der Fallzahlen zu einem Ergebnis von 98.200 Euro über vier zusammenhängende Quartale. Praxen mit vielen jungen Patienten und relativ leichten Erkrankungen sind im Vorteil, wenn es ihnen gelingt, diese Patienten zumindest einmal in die Praxis zu „locken“.

Dem entspricht auch die wieder eingeführte Regelung, dass bei leichten Erkältungsbeschwerden eine AU-Bescheinigung für bis zu drei Tage telefonisch zu erlangen ist. Kommt der Patient dann noch in die Praxis, weil die drei Tage nicht reichen, ist er ein Fall für die GOP 03040, obgleich der Vorhalteaufwand für die Praxis hier sehr gering ist.

Dies hat den Gesetzgeber zu einer Strukturänderung veranlasst. Die Vorhaltepauschale – und damit ein potenzielles Jahreshonorar von 98.200 Euro für die Beispielpraxen – erhält nur, wer Vorhaltekosten aufbringen muss für Patienten, die als vermehrt betreuungsbedürftig eingestuft werden können.

Hausbesuche in Pflegeheimen, bei älteren Patienten ab 75 Jahren, die Betreuung von geriatrischen Fällen und Palliativpatienten sowie die Bereitschaft, hier auch in Abendsprechstunden und am Samstag zur Verfügung zu stehen, sollen den Ansatz der Leistung ermöglichen, wenn mindestens 450 Fälle betreut werden. Der Schnupfenpatient oder die Hobbypraxis sind damit raus.

Praxen winken gleich mehrere Vorteile

Der Gesetzgeber ist sich offensichtlich der Tragweite dieser Regelung bewusst. Denn: Sollte das Gesamthonorarvolumen, das künftig zur Verteilung unbudgetiert anfällt, das jetzige Volumen beim Ansatz der GOP 03040 unterschreiten, muss das über Zuschläge wieder in die Gesamthonorarverteilung einfließen.

In den Genuss dieser Zuschläge sollen aber nur die Praxen kommen, bei denen die Voraussetzungen für die Vorhaltepauschale gegeben sind. Solche Praxen wären dann dreifach im Vorteil: Sie können die Vorhaltepauschale ansetzen, erhalten ggf. Zuschläge dazu und bekommen die Leistungen, die als Voraussetzung für den Ansatz definiert sind, unbudgetiert vergütet – wie z.B. die Hausbesuche und die Geriatrieleistungen nach den GOP 03360/03362.

Um Härten bei dieser Neuregelung zu vermeiden, lässt der Gesetzentwurf eine Abstaffelung zu. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hat diesbezüglich einen guten Vorschlag unterbreitet. Ausgehend von zwölf Kriterien, die den Ansatz der Vorhaltepauschale ermöglichen, soll die Leistung prozentual gestaffelt ausgezahlt werden – je nach erfüllten fünf (Basis), acht (Fortgeschrittene) oder zehn Kriterien (umfassend).

Fazit: Wenn es so wie angekündigt bleibt, werden die beiden neuen GOP dazu führen, dass sich Praxen künftig fallzahlunabhängig ältere, chronisch kranke Patienten „leisten“ können. Sie erhalten ein angemessenes Honorar, das eine gewisse Zahl an „Scheinverdünnern“ nicht mehr notwendig macht.

Es bedarf aber weiterer Maßnahmen, weil die gewählte Konstruktion dem Geschäft der Prüfgremien von KV und Kassen entgegenläuft. Einer Praxis, die sich vermehrt älteren und chronisch Kranken widmet, darf das entbudgetierte Honorar nicht wieder von Prüfärzten abgejagt werden, wenn der Fachgruppendurchschnitt mit der Vorhaltepauschale und den damit verbundenen Leistungen, z.B. in der Geriatrie, überschritten wird!

Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Mehrfachverordnungen

Auch bei der Arzneiverordnung besteht Nachholbedarf. Wenn Praxen künftig, wie in der Gesetzesbegründung vorgesehen, chronisch Kranken die notwendigen Medikamente über einen längeren Zeitraum bevorratend verordnen dürfen, geraten sie eventuell in Regressgefahr. Eine solche Mehrfachverordnung ist seit April 2023 möglich, kann aber Auswirkungen auf die prüfungsrelevanten Kosten in den nachfolgenden Quartalen haben, in denen die jeweiligen Einzelverordnungen eingelöst werden. Diesen Kosten steht nämlich ggf. im betreffenden Quartal kein Behandlungsfall gegenüber. 

Die KBV rät, solche Mehrfachverordnungen zu dokumentieren, um im Fall einer Wirtschaftlichkeitsprüfung argumentieren zu können. Das wäre aber mit einem Zeitaufwand verbunden, der den durch die Honorarreform beabsichtigten Zeitgewinn zumindest wieder relativiert.

Medical-Tribune-Bericht