Profitabilität von Hybridpraxen Jeder zweite Fall wird nicht vom Arzt direkt behandelt
„Unser Antrieb ist es, mit innovativen Ansätzen die Allgemeinmedizin neu zu definieren“, erklärt Linus Drop der CEO der Lillian Care GmbH, und gibt damit die Richtung des Unternehmens vor. Das Konzept: Ein Ansatz, der helfen soll, „im Schulterschluss mit KVen und Kommunen Vorort-Praxen für die hausärztliche Versorgung zu unterstützen“. Als Berater fungieren u. a. Ulrich Weigeldt, Ehrenvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, und Dr. Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe. Dem allgemeinmedizinischen Beirat gehören die Ärzte Wolfgang Gerlach-Reinholz, Dr. Markus Frühwein und Dr. Thomas Urbach an.
Wer jetzt Kassenärzte hinter LillianCare vermutet, irrt, denn hinter dem Start-up stehen etablierte Investoren wie Nina Capital, caesar., Calm/Storm Ventures, Björn von Siemens, aber auch neue Investoren wie Ship2B Ventures (über den BSocial Impact Fund, unterstützt von FEI Banco Sabadell und AXIS).
Ziel von Kapitalgebern ist bekanntlich, mit Investition Geld zu verdienen. Mitgründer und CEO Linus Drop betont jedoch, dass es sich in diesem Fall nicht um „Heuschrecken handelt, die man Private Equity zuordnet und wie sie mittlerweile auch in der ambulanten Medizin zu finden sind“. Die Investoren bei LillianCare unterstützten Projekte, von denen auch ein gesellschaftlicher Impact zu erwarten sei. Recherchen belegen z. B., wie Nina Capital die Entwicklung der KI-basierten Telemonitoring-Plattform Noah Labs Ark unterstützt, mit deren Hilfe sich Vitalparameter von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Echtzeit in der Praxis verfolgen lassen. Bei Komplikationen kann somit schnell reagiert werden.
Offenbar hat auch LillianCare mit seinem Hybridpraxis-Modell überzeugt. Schnelle Gewinne seien nicht zu erwarten, so der CEO: „Unsere Investoren müssen ein Risiko eingehen, weil wir in den nächsten Jahren noch nicht profitabel sein werden.“ Wer einsteigt, muss langfristig denken. Kurzfristige Absprungmöglichkeiten sind vertraglich ausgeschlossen. Wer Anteile verkaufen will, muss erst einmal die Mehrheit der Investoren hinter sich bringen.
Vor der Terminbuchung ist eine Präanamnese auszufüllen
Drop berichtet von mehreren Phasen des Projekts. Nach der Konzeption folgte im März die Eröffnung der ersten Partnerpraxis in Nastätten (Rhein-Lahn-Kreis). Ziel war ein Proof-of-Conzept, also das Schauen, ob alles praktisch funktioniert. Die zweite Praxis eröffnete im Mai in Neuerburg (Eifelkreis Bitburg-Prüm). Bald gibt es eine dritte in Fürstenau (Landkreis Osnabrück).Weitere Standorte sind in Planung, denn das Interesse ist groß. Anfragen kommen auch aus Baden-Württemberg, etwa dem Schwarzwald. Der CEO zeigt sich optimistisch: „Die Perspektive ist, bis 2028 in die Größenordnung von knapp 200 Praxen kommen zu können.“ Vorerst aber gehe es um den regionalen Blick. „Wir wollen Cluster von acht bis zehn Praxen bilden, die sich gegenseitig vertreten können.“
Ärztinnen und Ärzte, die mit LillianCare zusammenarbeiten wollen, müssen Lizenznehmer werden und einen Servicevertrag abschließen, der Kassensitz bleibt bei der Praxisinhaberin bzw. dem -inhaber. „Der Inhaber ist zuständig dafür, dass die Praxis im Alltag läuft und das Personal wie geplant zur Arbeit erscheint“, erklärt Drop, alles andere sichere LillianCare.
Zur Dienstleistung gehören voll ausgestattete Räumlichkeiten, die initiale Rekrutierung des Personals, die komplette IT und die Abrechnung. Behandlungspfade sind vorgegeben. Implementiert sind auch das Terminmanagement sowie die Regelung der Arbeitsteilung zwischen Mediziner/Medizinerin und Physician Assistent (PA). Man könne somit „einfach nur Arzt oder Ärztin sein“, hebt Drop hervor.
Ungefähr jeder zweite Behandlungsfall wird vom PA beurteilt, der in der jeweiligen Praxis angestellt ist. Praktisch heißt das, will jemand einen Termin buchen, egal ob per Telefon, App oder Webseite, muss er eine sog. Präanamnese durchlaufen und Fragen zur Situation sowie Symptomatik beantworten. Ziel ist, die Dringlichkeit und Komplexität des Behandlungsfalls zu beurteilen. Ein Algorithmus unterstützt dabei.
Hat beispielsweise ein 18-Jähriger seit zwei Tagen mildes Fieber, wird der Termin automatisch beim PA eingebucht, der dann entlang eines definierten Behandlungspfads verfährt. Jedes Mal, wenn ein Patient vom PA behandelt wird, ist ein Arzt oder eine Ärztin in den Behandlungsprozess einbezogen. Dies kann persönlich geschehen, wenn der Arzt vor Ort ist, oder per Videoanruf, falls der Arzt an diesem Tag von zu Hause aus arbeitet. Gibt es besondere Auffälligkeiten in der Präanamnese oder Vorerkrankungen wird der Patient direkt von dem Arzt bzw. der Ärztin behandelt.
Die Behandelnden können in der Praxis sitzen, aber auch daheim. „Wir bieten Ärztinnen und Ärzten an, die Hälfte der Woche vor Ort in der Praxis zu arbeiten und die andere Hälfte der Woche von zu Hause aus“, so Drop. Faktisch sind das drei Tage Arbeit in der Praxis und an zwei Tagen werden die Mediziner per Video zugeschaltet. Vor dem digitalen Patientenkontakt muss nicht zwingend ein direkter Kontakt in der Praxis stattgefunden haben. Dies sei aus medizinischen Gründen zwar besser, habe aber für die Praxis ökonomische Nachteile, so Drop, „denn für den rein digitalen Kontakt kann man 20 % weniger abrechnen, deshalb machen das die meisten Praxen ja auch nicht“. Es gebe in den Hybridpraxen durchaus Patientinnen und Patienten, die innerhalb eines Quartals nicht physisch in die Praxis kämen.
Alle Hybridpraxen wurden neu gegründet, damit fehlte anfangs der Patientenstamm. Das war aber kein Problem, wie sich zeigte. „Wir haben im ersten Quartal über 1.000 neu registrierte Patienten behandelt und im zweiten Quartal sieht man schon, geht es jetzt Richtung 1.600 Patienten.“ Die Akzeptanz sei groß, freut sich Drop. 94 % der Patientinnen und Patienten seien mit dem Angebot zufrieden. Das bestätigt eine interne Befragung der im Schnitt 68 Jahre alten Patientinnen und Patienten nach der Behandlung. Ob privat oder gesetzlich versichert, spielt übrigens keine Rolle. Alle Patienten werden gleichermaßen versorgt. Individuelle Gesundheitsleistungen sind nicht im Angebot.
Flexible Arbeit im Team
Work-Life-Balance mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, Home-Office, ein modernes Arbeitsumfeld mit Entlastung von nicht-medizinischen Aufgaben – mit solchen Argumenten wirbt LillianCare für seine Praxiskonstruktion. Michael Hausen, Leitender Arzt in der LillianCare-Partnerpraxis Nastätten berichtet: „In unserer Praxis arbeiten Ärzte, Physician Assistants und MFA Hand in Hand für das Wohl des Patienten. Gemeinsam nutzen wir unser vielfältiges Fachwissen und unsere Erfahrungen, denn mehrere Köpfe denken besser als einer allein.“
Jeder neue Patient braucht überproportional viel Zeit
Für Drop ist der Zuspruch nicht verwunderlich: „Im Planungsbezirk Neuerburg fehlen knapp 20 Ärzte.“ Im benachbarten Luxemburg würden 20 % höhere Gehälter gezahlt als in Deutschland, das zöge Personal ab. Eine hohe Patientenzahl sei aber – zumindest anfangs – auch kein Garant für große Gewinne, denn „manche Patienten kommen mit dem Aktenstapel Papier unterm Arm und brauchen 20, manchmal sogar 30 Minuten Zuwendung“, berichtet Drop. Profitabilität erkennt er dennoch. Denn mit dem PA gebe es einen zweiten „Behandler“, der weniger koste wie ein angestellter Mediziner. Ärztin oder Arzt hätten aber immer die Verantwortung für die Qualität der Versorgung und die würden sie auch nicht los, stellt Drop klar.
Medical-Tribune-Bericht