Digitalisierung „Wir brauchen für Diabetes-Fachkliniken eine Perspektive”

diatec journal Autor: Dr. Winfried Keuthage

„Diabetes kommt im Krankenhaus viel häufiger vor als in der Bevölkerung”, sagt Prof. Dr. Susanne Reger-Tan im Interview. „Diabetes kommt im Krankenhaus viel häufiger vor als in der Bevölkerung”, sagt Prof. Dr. Susanne Reger-Tan im Interview. © zVg/ipopba – stock.adobe.com

Im Oktober tritt Prof. Dr. Susanne Reger-Tan die Stelle der Direktorin der Diabetesklinik am Herz- und Diabetes-Zentrum NRW an. Am Universitätsklinikum Essen, an dem sie bislang noch als Oberärztin tätig ist, war sie maßgeblich an der Entwicklung eines smarten Diabetes-Care-Konzepts beteiligt. Im Interview berichtet die Diabetologin über dieses Projekt und die Bedeutung der digitalisierten Diabetesversorgung im stationären Bereich. Zudem gibt sie eine Einschätzung zu den zu erwartenden Auswirkungen der geplanten Krankenhausreform.

Digitalisierungs-Strategien im Fokus

Prof. Dr. med. Susanne Reger-Tan hat sich auf Digitalisierungsstrategien in der Medizin spezialisiert und setzt sich u. a. als Mitglied der Kommission „Digitalisierung“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sowie des Vorstands des Bundesverbands Klinischer Diabetes-Einrichtungen (BVKD) für eine bessere Vernetzung zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Diabetes-Spezialisten ein, um die Diabetesversorgung zu verbessern.

Liebe Susanne, wie bist Du auf die Idee gekommen, Medizin zu studieren? War es ein Kindheitstraum? 

Prof. Reger-Tan: Kann man so sagen (lacht). Ich wollte schon immer Ärztin werden. Allerdings muss ich dazu Folgendes erwähnen: Meine Eltern haben auch schon immer den Wunsch geäußert, dass ich Medizin studiere. Es ist so ehrlicherweise also schwer für mich einzuschätzen, wie viel von diesem Wunsch mein eigener Wille war, aber so viel dazu: Es war genau die richtige Entscheidung, ich mag diesen Job wirklich sehr.

Zu welchem Zeitpunkt von Studium bzw. Weiterbildung ist Dir klar geworden, dass Du Dein Berufsleben vor allem der Diabetologie widmen würdest? Warst Du eine der ganz wenigen Medizinstudentinnen, die davon träumen, Diabetologin zu werden?

Prof. Reger-Tan: Das war ein fließender Prozess, der sich immer sehr natürlich anfühlte. Ich habe während des Medizinstudiums mehrfach positive Erfahrungen in der Diabetologie gemacht. Dies betraf nicht nur die inhaltlichen Themen und ersten beruflichen Erfahrungen, sondern vor allem den menschlichen Kontakt dort. Ich habe mich dann der Endokrinologie wegen für Essen als nächsten Ausbildungsort entschieden und mich dort hauptsächlich wissenschaftlich mit diabetologisch-metabolischen Aspekten des Polyzystischen Ovarsyndroms befasst. Im weiteren Verlauf wurde ich dann dort die Leiterin des Diabeteszentrums und habe mich dann u. a. mit spannenden Themen wie Diabetes im Kontext von Organtransplantation und Krebs befasst.  

In Essen hast Du das Thema Digitalisierung vorangetrieben und die Klinik als eine der ersten in Deutschland mit einem strukturierten Diabetesmanagement mithilfe digitaler Tools ausgestattet.

Prof. Reger-Tan: Die Diskrepanz, wie unterschiedlich digital ambulante und stationäre Diabetesversorgung stattfindet, ist doch erstaunlich. Wenn man so wie mein Team und ich gleichermaßen ambulant als auch stationär arbeitet, ist das schwer auszuhalten. Wir haben mit SmartDiabetesCare ein Konzept erarbeitet, in dem eine die stationäre Diabetesversorgung möglichst konsequent und unter Zuhilfenahme digitaler Tools erfolgt. Die Klinikleitung hat dieses Vorhaben voll unterstützt. Unser Konzept der digitalisierten Diabetesversorgung gliedert sich gut ein in die SmartHospital-Strategie der Universitätsklinik. 

Wie ist es eigentlich nach dem Pilotprojekt weitergegangen? 

Prof. Reger-Tan: Das eigentliche Projekt ist abgeschlossen. Danach hat sich diese Art der Versorgung in der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel als Standard etabliert. Alle Patienten werden am Aufnahmetag auf Diabetes gescreent. Patienten mit Diabetes erhalten eine kontinuierliche Glukosemessung und ein Smartphone zum Datenempfang und zur -teilung. Etwa die Hälfte unserer Patienten kommt wegen Diabetes, die andere Hälfte führt eine andere Diagnose wie zum Beispiel eine Tumorerkrankung zu uns, diese bringen oft einen Diabetes als Nebendiagnose mit. Hinsichtlich der kontinuierlichen Glukosesensoren ist ja bald mit einer Erweiterung des Verwendungszweckes zu rechnen. Dies wird uns die Anwendung im Krankenhaus hoffentlich zumindest rechtlich erleichtern. 

Nach langer Zeit in der Uniklinik Essen heißt es für Dich Ende September Abschied nehmen …

Prof. Reger-Tan: Ja, und der Abschied fällt mir wirklich schwer. Das liegt vor allem am tollen Team und den Kollegen, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeite. Ich bin mir sicher, dass sie auch gut ohne mich zurechtkommen und den eingeschlagenen Weg in Richtung Digitalisierung fortsetzen werden. 

Ein leidiges Thema sind bisher die proprietären Systeme der Diabetes-Industrie und die nicht vorhandene Konnektivität. Was sagst Du zu der Ankündigung, dass die Firmen Medtronic und Abbott zukünftig kooperieren wollen.

Prof. Reger-Tan: Die Ankündigung kam überraschend und ist doch eine sehr gute Nachricht. Die Konnektivität unterschiedlicher Systeme untereinander ist ein wichtiger Schritt und gibt unseren Patienten mehr Flexibilität. Diese Kooperation klingt nach einem potenziell sehr sinnvollen Joint Venture – Medtronics exzellente Pumpentherapie und Abbotts exzellente Sensortechnologie – ich bin sehr gespannt auf die ersten Erfahrungen.

Zum 1. Oktober wirst Du Direktorin der Diabetesklinik im Herz- und Diabeteszenrum NRW übernehmen. Dazu Herzlichen Glückwunsch! 

Prof. Reger-Tan: Vielen Dank! Ich bin ganz gespannt auf diese neue Aufgabe und Herausforderung. Das Herz- und Diabeteszentrum führt die größte universitäre Diabetologie. Ich hoffe, ich werde den Ansprüchen und Erwartungen gerecht. Unabhängig von meiner Person, die Ruhr-Universität Bochum und das Herz- und Diabeteszentrum haben sich für eine Zukunft der Diabetologie ausgesprochen. Allen sind die aktuellen Herausforderungen unseres Faches bewusst, daher bin ich für diese Chance dankbar. 

Die Nähe von Herzmedizin und Diabetologie im HDZ NRW empfinde ich gerade unter Berücksichtigung des holistischen Ansatzes in der Versorgung von Menschen mit Diabetes besonders attraktiv. Ich plane, auch an diesem starken Standort die Digitalisierung und Telemedizin in der Diabetologie auszubauen. Gerade eine universitäre Einrichtung bietet besonders gutes Umfeld, um neue Versorgungsformen zu entwickeln. Besonders wünsche ich mir, mithilfe der Digitalisierung die ambulante und stationäre Versorgung optimaler zu vernetzen – für mehr transsektorale Kooperation und Behandlungskontinuität. 

Du hast es eben schon angedeutet, die Vergütung für die Betreuung und Behandlung von Menschen mit Diabetes ist für Krankenhäuser nicht gerade üppig. Wie schätzt Du die Bedeutung der stationären Diabetologie in Deutschland ein?

Prof. Reger-Tan: Diabetes-Notfälle gehören professionell versorgt. Menschen mit Diabetes bedürfen häufiger, auch aufgrund anderer Erkrankungen, einer stationären Versorgung als Menschen ohne Diabetes. Diabetes kommt daher im Krankenhaus viel häufiger vor als in der Bevölkerung. Mindestens jeder fünfte Patient im Krankenhaus ist von Diabetes betroffen. Die Nebendiagnose Diabetes wird oft nicht erkannt und/oder nicht adäquat therapiert. Im Krankenhaus ist Diabetes mit einem höheren Risiko für Komplikationen wie beispielsweise postoperative Wundinfektionen assoziiert. Patienten mit Diabetes bleiben durchschnittlich länger im Krankenhaus und haben ein höheres Risiko für einen ungünstigen Verlauf nach Entlassung. Auch hier kann eine Diabetesexpertise signifikant positiven Einfluss auf den stationären Verlauf nehmen. 

Die aktuellen Planungen zur Krankenhausreform sehen auch massive Eingriffe in die Versorgung von Menschen mit Diabetes vor. Wie ist Deine Einschätzung dazu? 

Prof. Reger-Tan: Die aktuell geplante Krankenhausreform adressiert wichtige Punkte zur Sicherstellung der zukünftigen stationären Versorgung in Deutschland. Ihre wesentlichen Ziele unterstützen wir – glaube ich – alle vollumfänglich. Nach aktuellem Stand ermöglicht uns die Reform jedoch nicht, Menschen mit Diabetes wirtschaftlich zu versorgen. 

Diabetesversierte Gesundheitsberufe wie Diabetes- und Ernährungsberater und Psychologen spielen in unseren interdisziplinären Diabetesteams eine elementare Rolle, werden dennoch in dem Vorhaltebudget nicht berücksichtigt. Man würde sich sicher wünschen, dass diese Berufsgruppen als qualitativ wertvoll anerkannt werden. Man würde sich zudem eine Ausdifferenzierung der vorgesehenen „Koordinierungs- und Vernetzungsaufgaben“ in Netzwerken, aber auch innerhalb eines Krankenhauses inkl. Finanzierung dieser Aufgabe wünschen. 

Und zu guter Letzt: Die Qualitätskriterien bieten die Chance, eine qualitativ hochwertige diabetologische Spezialversorgung an Zentren sicherzustellen. Diabetes-Fachkliniken bieten solch eine wertvolle Spezialversorgung an, sie finden sich jedoch in der geplanten Leistungsgruppe nicht adäquat abgebildet. Wir brauchen für diese Fachkliniken eine Perspektive. Andernfalls droht eine Unterversorgung von Menschen mit diabetischem Fußsyndrom und in weiterer Konsequenz der Anstieg von Amputationsraten. Das gilt es unbedingt zu vermeiden. 

Liebe Susanne, vielen Dank für das Interview und einen guten Start für Deine neue Aufgabe im HDZ NRW!