Krankenhausreform DDG-Vorschläge für bessere Diabetesversorgung
Die Einschätzung der Expertenkommission zur Reform der Krankenhausversorgung, dass zu viele Diabetesfälle stationär behandelt werden, die angeblich ambulant versorgt werden könnten, halten wir für falsch“, sagt DDG Vizepräsident Prof. Dr. Andreas Fritsche. Das betrifft sowohl das 1 % der jährlich stationär betreuten Fälle (im Alter ab 20 Jahren) mit der Hauptdiagnose Diabetes als auch die weiteren 17–18 % mit der Nebendiagnose. Insgesamt finden jährlich rund drei Mio. Klinikbehandlungen mit oder wegen Diabetes statt.
Honorarzu- und -abschläge – je nach fachlicher Expertise
Die Volkskrankheit, die 8,7 Mio. Menschen betrifft, werde dramatisch unterschätzt, so Prof. Fritsche. Diabetes im Krankenhaus sei mit mehr Komplikationen, längeren Aufenthalten und häufiger mit Tod verbunden, als dies bei Patient*innen ohne Diabetes der Fall ist. Insbesondere Kinder und multimorbide ältere Menschen benötigten eine zeitintensive Betreuung. Das werde aber im DRG-System nicht kostendeckend bezahlt. Darum lauten zwei von fünf Forderungen, die die DDG im Zuge der Krankenhausreform an die Politik adressiert: Vulnerable Gruppen schützen! Versorgungsqualität muss sich lohnen!
Die Fachgesellschaft gibt zu bedenken, dass nur 17 % der Kliniken eine „ausreichend qualifizierte Diabetes-expertise gemäß DDG Zertifizierung“ haben. Sie schlägt als Anreiz vor, Krankenhäuser, die spezielle Strukturen zur Diabetesbehandlung vorhalten, mit Vergütungszuschlägen
zu belohnen, während Einrichtungen ohne diabetologische Expertise mit Abschlägen wirtschaften sollen.
Menschen mit Typ-1-Diabetes machten schlechte Erfahrungen
Immer wieder passiere es Diabetespatient*innen in Krankenhäusern, dass sie vor einem Eingriff aufgefordert würden, Insulinpumpe oder AID-System abzuschalten, oder dass diese falsch verwendet werden – weil die Behandelnden sich damit nicht auskennen. Das berichteten Prof. Fritsche, Arzt am Universitätsklinikum Tübingen, und DDG Vorstandsmitglied Dr. Tobias Wiesner, niedergelassener Diabetologe in Leipzig. Die Folgen können gefährlich, ja sogar tödlich sein. Niemand würde auf die Idee kommen, einer/einem stationär aufgenommenen Patient*in den Herzschrittmacher abstellen zu wollen, doch bei insulinpflichtigen Diabetespatient*innen passiere Entsprechendes, veranschaulichte Prof. Fritsche. Bei einer winDiab-Umfrage berichtete fast jeder dritte Mensch mit Diabetes Typ 1 über schlechte Erfahrungen in einer nicht für Diabetesbehandlungen zertifizierten Klinik. Insbesondere Pumpenpatient*innen blieben dort in über 80 % der Fälle ohne Ansprechpartner*in für ihre Technologie.
Die Aufmerksamkeit der DDG bei der Krankenhausreform gilt nicht nur dem Erhalt der jetzigen Diabetesabteilungen und -schwerpunkte. Die Leistungsgruppe Endokrinologie/Diabetologie ist nach den Vorstellungen der Regierungskommission in Häusern der Level II und III vorgesehen – das wären Stand jetzt nur etwa 450 von 1700 Klinikstandorten. Die Fachgesellschaft verlangt allerdings eine „qualifizierte, zertifizierte und stufengerechte Diabetesbehandlung“ auf allen Klinikebenen, also auch in Level-I-Häusern. Ferner schlägt sie die Einrichtung von „Diabetes Units“ vor. Gemeint sind Teams von Diabetolog*innen und Gesundheitsfachberufen, z. B. Diabetesberater*innen, die andere Abteilungen unterstützen. Ein „Hin-und-Her-Geschiebe“ von Patient*innen, wie es vielleicht bei Hüft-OPs vorstellbar sei, indem Angebote zentralisiert werden, komme bei der Volkskrankheit Diabetes nicht in Betracht, unterstrich Prof. Fritsche. Es müssten überall abgestuft und angepasst Know-how und Kapazitäten vorhanden sein.
Zudem zeigt eine Studie: Bis zu 23 % aller Patient*innen in Notaufnahmen haben einen nicht bekannten Diabetes. Die DDG fordert deshalb ein obligatorisches Screening (HbA1c) und Diabetesmanagement in den Notaufnahmen und auf den Stationen.
Option Telekonsile und Konsultationsverbünde
Vorstellbar ist bei Level-I-Einrichtungen auch eine telemedizinische Vernetzung mit Spezialist*innen aus Kliniken höherer Level sowie eine enge Kooperation mit Niedergelassenen. Das gebe es heute zum Teil schon regional, so Dr. Wiesner. Die kontinuierliche Betreuung von Patient*innen mit moderner Diabetestechnologie wie AID-Systemen oder DiGA könnten kleinere, allgemeininternistische Klinikabteilungen nicht leisten, wohl aber die Schwerpunktpraxen. Durch Telekonsile oder Konsultationsverbünde lasse sich eine gemeinsame Patientenbetreuung anbieten. Bislang bestehen jedoch strukturelle und finanzielle Hürden zwischen den Sektoren. Das wirkt sich u.a. auf die Weiterbildung aus. Um genügend Nachwuchs gewinnen zu können, setzen sich DDG und BVND dafür ein, Weiterbildungsverbünde zu schaffen, betonte Dr. Wiesner. Er erinnerte daran, dass es an 38 staatlichen medizinischen Fakultäten nur noch neun bettenführende Lehrstühle für Diabetologie gibt. Die Erkrankung sei kein fester Bestandteil des Studiums und der Facharztausbildung.
Prof. Dr. Armin Grau, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, kommentierte die Einschätzungen der beiden Diabetologen aus Sicht der Ampel. Der Neurologe und ehemalige Chefarzt zeigte für viele Forderungen Verständnis. Es sei gut, dass sich die Fachgesellschaften in die Reformdiskussion einbringen. Denn im Weiteren geht es auch um die Definition und Zuordnung von Leistungsbereichen. Dabei werden Qualitätsvorgaben wie Mindestmengen oder vielleicht „Diabetes Units“ eine wesentliche Rolle spielen.
Ordnung schaffen mit Levels und Leistungsgruppen
Prof. Grau erinnerte daran, dass Deutschland im OECD-Vergleich auffällig viele Klinikbetten unterhält. Eingriffe, die im Ausland zu großen Teilen ambulant erfolgen, werden hier überwiegend stationär erbracht. Er teilt die Kritik am DRG-System und dem Anreiz zur Fallzahlsteigerung. Der Klage der DDG, die Diabetologie sei unterbezahlt, stimmte Prof. Grau zu. Jedoch: Zwar schlägt die Reformkommission vor, 40 bzw. 60 % der DRG-Vergütung in fallzahlunabhängige Vorhaltebudgets zu überführen. Das bedeute aber nicht, dass insgesamt mehr Geld fließe.
Die von Landesgesundheitsministern geforderten Öffnungsklauseln seien „scharf“ zu definieren, ergänzte der Arzt. Mit den Levels und Leistungsgruppen wolle man Ordnung ins System bringen. Es seien zudem weitere Versorgungsgesetze in Planung. Mehr für Prävention und Früherkennung zu tun, z. B. mit einem Diabetesscreening, findet er gut.
DDG Jahrespressekonferenz